Flusslandschaft 1975

Internationales

Allgemeines

- Chile
- UdSSR
- Äthiopien
- Spanien
- Türkei
- Iran
- Portugal
- Osttimor, Indonesien und USA
- USA


Allgemeines

Weltweit
– ist eine zunehmende Verknappung der Rohstoffe und der fossilen Energieträger festzustellen,
– verfügen 30 Prozent der Weltbevölkerung in den Industrieländern über 82 Prozent der Welt-
produktion,
– verbrauchen diese 30 Prozent der Weltbevölkerung 7/8 aller Güter der Erde,
– werden die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer,
– kontrollieren ausländische Firmen einen Großteil der Produktion in Entwicklungsländern,
– sind die Gewinnrückflüsse aus Entwicklungsländern in die Industrieländer nahezu doppelt so groß wie die Investitionen,
– ist das Lohnniveau eines Industriearbeiters bezogen auf die Lebenshaltungskosten in der BRD zehnmal so hoch wie in Singapur,
– beherrschen wenige Konzerne einen Großteil des Marktes,
– steigen die Preise für Rohstoffe weniger stark als die Preise für Fertigprodukte,
– sind 25 Prozent der Bevölkerung in den Entwicklungsländern unterernährt (über 460 Millionen),
– stirbt jede Sekunde ein Mensch an Hunger,
– lebt jede/r dritte Bewohner/in der Entwicklungsländer (über 560 Millionen Menschen) in abso-
luter Armut,
– befinden sich Millionen von Menschen ständig auf der Flucht vor Kriegen und bewaffneten Kon-
flikten,
– wandert die Intelligenz der Entwicklungsländer (Ärzte, Ingenieure, Wissenschaftler) in die Indu-
strieländer ab,
– wird in den Industrieländern dreimal soviel Getreide pro Kopf verbraucht wie in den Entwick-
lungsländern.

CHILE

1
Das Kollektiv „Rote Rübe“, das Internationale Forum für Filmavantgarde (iff) und chilenische Exilgruppen planen für den 20. April eine Großveranstaltung im Schwabinger Bräu, Leopold-
straße 82, um gegen das Pinochet-Regime zu protestieren.

UdSSR

Juden protestieren am 9. Mai beim Auftritt eines sowjetrussischen Balletts in der Olympiahalle.2

ÄTHIOPIEN

Die Äthiopier haben ihren Negus Negusti („Herrscher der Herrschenden“) Haile Selassie davon-
gejagt. Eines der ärmsten Länder der Welt, gebeutelt von Hungerkatastrophen, Korruption und staatlicher Unterdrückung versucht nun mit Hilfe marxistisch orientierter Militärs einen Wandel. Äthiopische Studenten laden für den 7. Juni zu einer Informationsveranstaltung in die Olympia-
mensa
am Helene-Mayer-Ring 9.

SPANIEN

„Na bitte, am Freitag, den 26. September ist es endlich soweit: auch in diesem Jahr wieder das große Herbstfest des Kollektivs Rote Hilfe München, diesmal in Zusammenarbeit mit Blatt, dem Trikont-Verlag, dem Entlassenen-Kollektiv und der HAM. Sparifankal serviert Bayern-Rock, N.L.D. Corner singt Lieder aus der Knastgesellschaft („Die Würde des Menschen ist unantastbar“, LP). Thomas wartet mit politischen Songs auf und Hansi Heldmann singt Lieder von der Münchner Rockerscene. Dabei läuft ein Live-Mitschnitt, den man später zur Erinnerung als Langspielplatte erwerben kann. – Diesmal steigt auch endlich die tolle Versteigerung: Ein handgeschriebenes Manuskript von Martin Walser: ‚Vorspiel zu Dürer’, von Heinrich Böll die Originaldruckfahnen der ‚Katharina Blum’, dazu ein Drehbuch des in Kürze anlaufenden Filmes. Von Wim Wenders das Originaldrehbuch ‚Die Angst des Tormannes beim Elfmeter’, von Ulf Miehe ‚Output’ und viele andere Überraschungen. Für die Tombola sind wieder massenhaft Geschenke da: Langspielplatten, Bücher, Poster, und – und – und … Jedes Los ein Gewinn, keine Nieten! – Für die Reise in den Süden gibt’s wieder die Original RH-T-Shirts, bekannt durch weltweite Fernsehwerbung. Wer Ruhe sucht vom Musiktrubel, findet sie in den Nebenräumen. Dort läuft
ein Non-Stop-Programm der Video-Gruppe, dort gibt’s Bier, Wein, Kaffee, Schmalzbrote und Würstchen. – Deshalb: am Freitag, den 26. September um 19.00 Uhr in die Mensa-Olympiadorf am Helene-Mayer-Ring (U-Bahn-Station Olympia-Zentrum). Der Reinerlös aus den Eintritts-
preisen (5.- DM, für Schüler und Lehrlinge 3.- DM) wandert an die Knasthilfe.“3

Noch in der Nacht begeben sich einige Feiernde zum Spanischen Konsulat in der Oberföhringer Straße 45. Hier befinden sich schon einige Exilspanier vor dem von einem starken Polizeiaufgebot geschützten Haus. Am Samstag, dem 27. September, sollen nämlich fünf spanische Antifaschisten mit der Garotte hingerichtet werden. An diesem Tag kommt es jetzt zu einer Demonstration vor der Botschaft. Eine Frau, die ein Schild mit der Aufschrift „Franco – Mörder“ hochhält, wird fest-
genommen. Ein Beamter meint: „‚Der Franco ist doch der feinste Kerl, wo’s gibt. Wenn einer wie der hier wäre, dann hätten wir wenigstens Ordnung hier!’ Ein anderer Beamter, der bei der De-
monstration vor der spanischen Botschaft die Personalien eines Spaniers feststellen ließ, meinte dann auch: ‚Deine Adresse kommt morgen in die Botschaft, und Du bist der nächste, der hinge-
richtet wird.’ Der Spanier will gegen diesen Beamten gerichtlich vorgehen.“4

Im März 1974 wurde Puig Antich mit der Garotte erwürgt, am 27. September 1975 werden Angel Ortaegui, Jose Umberto Baena, Ramon Garcia Sanz, Jose Luis Sanchez-Bravo und Juan Paredes hingerichtet. Am 2. Oktober findet auf dem Marienplatz eine Kundgebung gegen die Hinrichtun-
gen in Spanien statt.5

TÜRKEI

Am 16. März 1975 demonstrierten 7.000 Türken auf dem Königsplatz.6 – Türkische Arbeiterver-
eine protestieren am 1. November gegen Ermordung türkischer Botschafter.7

IRAN

Die Conföderation Iranischer Studenten – National-Union (CISNU) feierte am 22. März das ira-
nische Neujahrsfest „Nouruz“ im Schwabinger Bräu, Leopoldstraße 82, und protestierte damit gegen das Schah-Regime. Sie wies darauf hin, dass 1953 mit Hilfe us-amerikanischer Unterstüt-
zung der Schah seinen persischen Thron retten konnte und dass es heute, im Jahre 1975, im Iran etwa 40.000 politische Gefangene gebe. – Am 8. November 1975 feiern Exiliraner in der Olympia-
mensa
am Helene-Mayer-Ring 9 ihr Mehregan-Fest.

PORTUGAL

Der portugisische Diktator ist nach Brasilien ins Exil geflohen, die Macht liegt noch beim Movi-
mento das Forcas Armadas
, in dem sich heterogene politische Positionen bekämpfen. Zugleich ringen Parteien, linke Organisationen und das Militär um den richtigen Weg im Lande. Und der Einfluss von außen ist nicht unbeträchtlich. Die USA werden es mit Sicherheit nicht zulassen, wenn an der europäischen Südwestflanke der NATO ein Partner abhanden kommt. Und so finden im Februar vor Portugals Küste NATO-Seemanöver statt.

Am 23. November 1975 sprechen in der Münchner Olympiamensa Matos Gomes, Hauptmann
der portugiesischen Armee, Adelino Gomes, Journalist bei Radio Clube Portugues, Artur Cardoso, Setzer und Mitglied der Arbeiterkommission bei Republica, und Jorge Rato, Bewohnerkommission von Cova da Piedade, über die augenblickliche Situation in ihrem Land. Die Besucher der Veran-
staltung sammeln für die portugiesische Basisbewegung.

OSTTIMOR, INDONESIEN und USA

In der ehemaligen portugiesischen Kolonie Osttimor ruft die Befreiungsbewegung Frente Revo-
lucionária do Timor-Leste Independente
(Fretilin) am 28. November die Republik aus. Die USA verweigern die Anerkennung des neuen Staates und unterstützen neun Tage später die Invasion des Landes durch das indonesische Suharto-Regime. In den folgenden 24 Jahren der indonesi-
schen Besatzung werden bis zu 183.000 der 800.000 Einwohner getötet.

USA

US-Senator Frank Church berichtet am 4. Dezember 1975 im Sheraton-Hotel in Washington:

Wir beseitigten die Regierung von Guatemala, als uns ihre Linkstrend missfiel;
wir versuchten, einen Bürgerkrieg gegen Sukarno in Indonesien anzuzetteln;
wir intervenierten, um den Schah wieder auf den Thron in Iran zu bringen, nachdem (der gewählte Ministerpräsident) Mossadegh die Monopolherrschaft von British Petroleum über das iranische Erdöl gebrochen hatte;
wir versuchten, mit einem gescheiterten Landeunternehmen einer Exilarmee in der Schweinebucht eine Konterrevolution in Kuba zu starten;
wir führten sogar einen geheimen Krieg in Laos und bezahlten Angehörige des Meo-Stammes und thailändische Söldner dafür, dass sie dort für uns kämpften.
Alle diese Einsätze wurden ohne Wissen und Einverständnis des Kongresses begonnen. Kein Land war zu klein, kein ausländischer Staatsmann zu unbedeutend, um unserer Aufmerksamkeit zu entgehen.
Wir schickten tödliches Gift mit der Absicht in den Kongo, Lumumba mit einer lebensgefährlichen Krankheit zu infizieren;
wir bewaffneten Dissidenten in der Dominikanischen Republik, obwohl wir ihre Absicht kannten, Trujillo umzubringen;
wir waren Teil eines militärischen Staatsstreichs in Südvietnam, mit dem dieselbe Regierung gestürzt wurde, die wir versprochen hatten zu verteidigen; und als sich Ministerpräsident Diem widersetzte, wurden er und sein Bruder von eben den Generalen ermordet, denen wir Geld und Unterstützung gaben;
jahrelang versuchten wir, Fidel Castro und andere kubanische Staatsmänner zu ermorden. Die verschiedenen Anschläge verteilten sich über drei (US)-Regierungen und schlossen eine ausge-
dehnte Zusammenarbeit zwischen CIA und Mafia ein.“

Zusammenfassend meint der Senator: „Assassination (politische Morde) ist nichts geringeres als ein Akt des Krieges, und unsere Zielscheiben waren Führer von kleinen, schwachen Ländern, die wahrscheinlich die Vereinigten Staaten nicht bedrohen konnten.“8

(zuletzt geändert am 22.8.2021)


1 Siebdruck, Plakatsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung. Siehe dazu auch „Die Zeit ist knapp“ vom Kollektiv „Rote Rübe“.

2 Vgl. Süddeutsche Zeitung 107/1975.

3 Blatt. Stadtzeitung für München 53 vom 19. September 1975, 3.

4 Blatt. Stadtzeitung für München 54 vom 3. Oktober 1975, 5.

5 Vgl. Süddeutsche Zeitung 223/1975 und 227/1975.

6 Vgl. Süddeutsche Zeitung 63/1975.

7 Vgl. Süddeutsche Zeitung 252/1975.

8 Zit. in Ilse und Horst Schäfer: „Mord-Report. Der Staatsterrorismus der USA vom US-Senat dokumentiert, von George W. Bush wieder legalisiert“ in: Ossietzky. Zweiwochenschrift für Politik/Kultur/Wirtschaft, Sonderdruck vom Dezember 2001, 2 f.