Flusslandschaft 1980

Gewerkschaften/Arbeitswelt

- Allgemeines
- DGB

- Polizei
- Bundespost
- Gemeindebeamten und Gemeindeangestellte


Allgemeines

19. April: „München, Deutschlands Touristenziel Nummer 1, wird für Arbeitnehmer immer unin-
teressanter. Rund 17.000 offene Stellen können zur Zeit nicht besetzt werden. Bei der Stadt und der Universität fehlen z.B. … 440 Krankenschwestern und Pfleger, die städtischen Verkehrsbe-
triebe suchen über 100 Bus- und Trambahnfahrer, die Stadtwerke 100 Ingenieure, Elektriker und Techniker. Die Firma Siemens errechnet einen Fehlbedarf von 1.377 Mitarbeitern, Kraus-Maffei sucht 150 Leute, BMW 800 … Hauptursache für diesen allgemeinen Personalmangel ist die ka-
tastrophale Wohnsituation in München.“1 Trotzdem gab es im Monat April 9.117 arbeitslose Männer und 12.330 Frauen ohne Job. Auf dem Lehrstellenmarkt kamen auf einen Bewerber rechnerisch 2,5 Ausbildungsstellen.

4. Juli: „Nach einer Hochrechnung des Landesarbeitsamtes sind in München zur Zeit rund 45.000 illegale Gastarbeiter beschäftigt. Sie stammen zumeist aus Jugoslawien, der Türkei und Österreich. Angeworben werden diese Männer schon bei der Ankunft am Hauptbahnhof. Sie kommen als Tou-
risten und bleiben als Arbeiter ohne Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis. Für Stundenlöhne zwi-
schen 5 und 10 Mark arbeiten sie zumeist auf Baustellen. Ihr Chef, der als sog. Subunternehmer die Illegalen an deutsche Großfirmen ausleiht, kassiert für jeden von ihnen bis zu 30 Mark in der Stun-
de. Bei der Münchner Staatsanwaltschaft laufen derzeit zahlreiche Verfahren gegen die Chefs die-
ser illegalen Verleihfirmen. […] Jährlich werden schätzungsweise in München rund 800 Mio. Mark an Steuern und Sozialversicherungsabgaben auf diese Weise hinterzogen.“2

Im Oktober kursiert in den Münchner Betrieben folgender Flugzettel: „Weihnachtsgeld 1980! Lt. Verfügung der Geschäftsleitung wird das Weihnachtsgeld für das Jahr 1980 nicht in Form von Bargeld, sondern in Form von Büchern vergütet! Diese Maßnahme ist mit dem Betriebsrat abge-
sprochen und soll zur Erhöhung der Allgemeinbildung beitragen. Für die einzelnen Berufsgruppen sind folgende Bücher vorgesehen: Direktoren ‘Gauner im Frack’, Abteilungsleiter ‘Wenn das Ge-
wissen schweigt’, Hauptgruppenleiter ‘Denn sie wissen nicht, was sie tun’, Gruppenleiter ‘Ein Mann sieht rot’, Buchhalter ‘Der Millionendieb’, Rechtsabteilung ‘Der Gewissenswurm’ oder wahl-
weise ‘Meineidbauer’, Lager ‘Gewissen in Aufruhr’, Sekretärinnen ‘Nackt unter Wölfen’, Konstruk-
teure ‘Und bauten am Abgrund’, Telephonistinnen ‘Zwischen zwei Fronten’, Sachbearbeiter ‘Der Gejagte’, Boten ‘Soweit die Füße tragen’, Pförtner ‘Der Spion, der aus der Kälte kam’, sonstige An-
gestellte ‘Betrogen bis zum jüngsten Tag’ oder ‘Verdammt in alle Ewigkeit’ Auch ehemalige Be-
triebsangehörige, die im Rentenalter stehen, sollen berücksichtigt werden. Sie erhalten das Buch ’Hunde, wollt ihr ewig leben.“3

Siehe auch „Frauen“ und „Internationales“, hier: Guatemala.

DGB

Als Maiabzeichen dient dieses Jahr eine rote Nelke mit einem Fähnchen, auf dem „1. Mai 1980 – 90 Jahre 1. Mai – DGB“ steht. Sechzehntausend Menschen sind bei der Kundgebung auf dem Marienplatz. Das Motto lautet „Unabhängig, stark, erfolgreich – wir bauen auf unsere Kraft“. Hauptredner Bundesjustizminister Hans-Jochen Vogel erwähnt Afghanistan und die US-Geisel-
affäre im Iran. Der Einmarsch der Sowjettruppen in Afghanistan verschärfe das Klima im „Kalten Krieg“. Viele Demonstranten fordern ein Festhalten an der Entspannungspolitik. Auf einem der Transparente ist zu lesen „Frieden! Keine Nibelungentreue mit Carter – kein neues 1914“.4 Zum ersten Mal gibt es den Infomarkt der 17 Gewerkschaften.


POLIZEI

Am 4. März demonstrieren 8.000 Polizeibeamte in Bonn gegen den Wechselschichtdienst. Das Bayrische Innenministerium untersagt den vierhundert Münchner Beamten, die dort hin wollen, in Uniform zur Kundgebung zu fahren. Aus diesem Grund demonstrieren die Münchner in einheitli-
cher bayrischer Tracht.

BUNDESPOST

Mit dem Aufkommen eines modernen Staates entsteht im 19. Jahrhundert unter anderem die Post als Einrichtung der öffentlichen Hand. Nicht mehr der Fürst regelt staatliche und wirtschaftliche Angelegenheiten, sondern der lebenslänglich ernannte und dadurch unabhängige Beamte tut dies für alle Menschen nach einheitlichen Grundsätzen. Jede Bürgerin und jeder Bürger haben unab-
hängig von den je unterschiedlichen Kosten einen Anspruch auf diese staatliche Dienstleistung. Wogegen sich die Postler jetzt wehren: Der Staat wandelt sich immer mehr zu einem Arbeitgeber, der den Sozialabbau auch im öffentlichen Dienst forciert. Er beginnt sich damit aus der Verant-
wortung für seine Beschäftigten und für die gesamte Gesellschaft zu verabschieden.

Am 22. März marschieren um 10.30 Uhr etwa tausend Postbeamte von der Oberpostdirektion am Augustinerkeller an der Arnulfstraße 52 vorbei zum Gewerkschaftshaus in der Schwanthalerstraße 64 und demonstrieren für „Mehr Freizeit für Schichtarbeit“. Auf einem Transparent steht „Nacht-
schichtarbeit ist Tod auf Raten“.5

Im Oktober streiken für jeweils zwei Stunden die Postämter 2 und 3, das Bahnpostamt, das Post-
fuhramt und die Fernmeldeämter. In einer Urabstimmung votieren im November neunzig Prozent für den Arbeitskampf. Das Ziel lautet: „Mehr Freizeit für Schichtdienstleistende!“ Am 19. Novem-
ber wird der Schichtdienststreik ausgerufen. Die Verwaltung versucht durch den Einsatz von Be-
amten auf den bestreikten Arbeitsplätzen den Streik zu unterlaufen. Nach vier Tagen wird durch Abschluss eines Tarifvertrages der Arbeitskampf beendet. Die geforderte Freischichtenregelung kann durchgesetzt werden.

GEMEINDEBEAMTE und GEMEINDEANGESTELLTE

10. September: „Die Berufsfachgruppe der Gemeindebeamten und Gemeindeangestellten der Stadt in der ÖTV tritt mit massiven Tarif- und Personalforderungen an den Stadtrat heran. Nach Ansicht der ÖTV im Rathaus spitzt sich die Personalsituation bei der Stadt immer mehr zu … Lange Schlangen an den Schaltern des MVV, der Kfz-Zulassungsstelle, der Pass-Stelle und monatelange Wartezeiten auf Bescheide vieler Dienststellen seien nur die auffälligsten Erscheinungen. Die Berufsfachgruppe fordert die Stadtspitze und den Stadtrat auf, im Hinblick auf die Aufstellung des Stellenplanes für 1981 die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Rund sechshundert Arbeitsplätze seien derzeit nicht besetzt. Die Belastungen für die Beschäftigten der Stadt hätten in vielen Fällen die Grenze des Zumutbaren erreicht.“6

(zuletzt geändert am 18.8.2018)


1 Stadtchronik, Stadtarchiv München

2 Stadtchronik, Stadtarchiv München

3 Flugblattsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung

4 Siehe „‚Mir macht der 1. Mai Mut’“ von RG.

5 Vgl. Süddeutsche Zeitung 71/1980.

6 A.a.O.