Flusslandschaft 1984
Bürgerrechte
„1. Auflagen zum Schutz des Straßenverkehrs für eine Demonstration sind nur möglich, soweit dadurch dessen Beeinträchtigung auf ein erträgliches Ausmaß reduziert werden soll; das Gebot, jede Beeinträchtigung zu vermeiden, verlangt etwas Unmögliches und ist deshalb rechtswidrig. 2. Ein Demonstrationsverbot zu Gunsten des Straßenverkehrs ist nur in äußerst gravierenden Not-
fällen und nur dann zulässig, wenn ein völliger Zusammenbruch des Fahrverkehrs droht, der nicht durch rechtzeitige Umleitungen verhindert werden kann, und es den Demonstranten zumutbar er-
scheint, hierauf Rücksicht zu nehmen. Dieser Verkehrszusammenbruch darf nicht durch geeignete Auflagen gegenüber dem Demonstrationszug abgemildert werden können.“1
Am 4. Februar findet eine Demo „gegen den Überwachungsstaat“ am Hohenzollernplatz in Schwa-
bing statt.
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9. März: „Tour de Terror“ — Versammlungsfreiheit und Widerstand im Schwabinger Bräu, Leopoldstraße 82.
Etwa zweihundert Menschen feiern die „Verehrung des großen Schweins“. Auf dem Transparent, das vorneweg getragen wird, heißt es: „1984: Big Brother is watching you!“ Am Anfang der Demo fährt ein Auto, auf dessen Dach sich ein riesiger Schweinskopf aus Pappmachee befindet. Ihm fol-
gen etwa zwanzig weiß gekleidete „Hohepriester“, die auf Stangen aufgespießte, echte Schweins-
köpfe tragen. Vor Überwachungskameras stoppt der Zug und verneigt sich mehrmals, wirft sich nieder. Untermalt wird die Prozession von gregorianischen Gesängen und Punk-Musik. Am Rande der Straße befinden sich immer wieder Gruppen „jubelnder“ Mitbürgerinnen und Mitbürger. „Viele Passanten in der Sonnenstraße, am Lenbachplatz oder am Odeonsplatz hatten an jenem grauen Märzsamstag im Orwell-Jahr 1984 ihre Mühe, dem jungen BR-Reporter die Ziele der De-
monstration zu deuten: ‚Des werd halt a Umzug der Münchner Metzgerinnung sei’, war sich der Zuschauer ziemlich sicher. Mit dieser Aussage kam er zwar in den legendären Zündfunk, lag aber trotzdem voll daneben.“3
Auf dem Marienplatz kommt es am 22. April zu einer Kundgebung gegen die Volkszählung.
Am 19. Mai soll Heinz Jacobi eine nicht angemeldete Kundgebung geleitet haben. Er verwahrt sich gegen den Vorwurf.4
Das Anti-Strauß-Komitee will am 1. Juni auf dem Marienplatz gegen die „Schwarzen Sheriffs“ de-
monstrieren, die in der U-Bahn, im Olympia-Gelände und im Bezirkskrankenhaus Haar schwerbe-
waffnet patrouillieren. Kreisverwaltungsreferent Dr. Peter Gauweiler untersagt die Kundgebung, da am selben Tag der Empfang des FC Bayern auf dem Marienplatz stattfindet.
Während Gewerkschafter am 4. Juni auf dem Marienplatz gegen Aussperrung und Unternehmer-
willkür demonstrieren, werden Polizisten „getestet“.5
Der Einzelhandel fordert am 5. Dezember von den Behörden, sie mögen Demonstrationen an lan-
gen Samstagen unterbinden.6
Siehe auch „Alternative Szene“.
(zuletzt geändert am 6.11.2024)
1 Verwaltungsgerichtshof München, 21. Senat, am 11.1.1984, Az: 21 B 83 A.2250
2 Plakatsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung
3 Abendzeitung 180/31 vom 6./7. August 2011, 18.
4 Siehe „Musterentwurf eines Briefes an Ämter“ von Heinz Jacobi.
5 Siehe „Alles unter Kontrolle …“.
6 Vgl. Süddeutsche Zeitung 283/1984.