Flusslandschaft 1984

Rechtsextremismus

Am 7. Januar werfen Mitglieder der rechtsextremen Gruppe Ludwig Brandsätze in die Diskothek Liverpool in der Schillerstraße im Bahnhofsviertel. Acht der dreißig Gäste werden verletzt. „Tage später starb die 20-jährige Barfrau Corinna Tatarotti an den schweren Verbrennungen. Sie war das letzte Opfer der Terrorzelle …“1

Im März spricht im Live aus dem Alabama, das vom bayrischen Fernsehen ausgestrahlt wird, einer der Mitglieder der Wiking Jugend von „Rassenschande“ und „Deutschtum“. Spontan mischt sich ein Kameramann ein, als der Neonazi die Existenz der Konzentrationslager bezweifelt, und ruft lautstark, dass dies hier eine Sauerei sei. Die Moderatorin Amelie Fried meint, der Neonazi solle den Mund zu halten, schließlich sei ihr Vater im KZ gewesen. Nur fragt man sich, wieso lädt der Bayerische Rundfunk überhaupt Neonazis ein …

Das bayrische Innenministerium bezeichnet in seinem „Sicherheitsbericht“, Grundlage für den jährlich erscheinenden Verfassungsschutzbericht, die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes — Bund der Antifaschisten (VVN/BdA) als „Sicherheitsrisiko“. Der bayrische Landesverband der VVN protestiert.

„Wiking-Jugendliche aus Aschaffenburg verprügelten in einem Münchner Lokal Gäste, weil diese sich weigerten, zu ‚geloben’, daß sie Hitler für ‚den Größten’ hielten … Mit dem Fuß ins Gesicht trat ein FC-Bayern-Fan einem 43jährigen Türken nach dem Spiel gegen Stuttgart im S-Bahnhof Mün-
chen-Marienplatz. Insgesamt wurden 24 Randalierer festgenommen. Neben Waffen wurden bei einigen auch faschistische Embleme gefunden.“2

Vor vierzig Jahren kam es am 20. Juli zum Attentat auf Hitler, Anlass für die VVN, eine Dokumen-
tation mit dem Titel „Die Neonazis in Bayern — eine wachsende Gefahr im Klima von Hochrü-stung, Krise und Rechtswende“ herauszugeben.3

„In München wurde der Fuldaer ANS/NA-Aktivist Dieter Erich Weißmüller festgenommen. Er hatte im März mit einer Schlägertruppe eine Wahlveranstaltung der Grünen in Haidhausen über-
fallen und den als Bundestagsnachrücker vorgesehenen Grünen Herbert Rusche mit einem Schuss aus einer Gaspistole verletzt. Seitdem war Weißmüller untergetaucht … Bei dem 33jährigen Mün-
chener Neonazi Norbert Brückner fand die Polizei Hakenkreuzaufkleber, acht Exemplare ‚Mein Kampf’, antisemitisches Material und drei Gaspistolen. Sein Name wird in der Hetzschrift ‚Stan-
darte’ als Kontaktadresse ‚Nationaler Basisgruppen’ angegeben.“4

Die VVN protestiert am 26. Juli gegen Ausländerfeindlichkeit.5

„In München rotteten sich an die 30 Neonazis vor einem Lokal im Stadtteil Freimann zusammen, um gegen die Verhaftung ihres Anführers Kühnen Krach zu machen. Polizeibeamte schritten ein und beschlagnahmten Flugblätter mit Aufschriften ‚Freiheit für alle NS-Täter’, ‚Kühnen für Deutschland’ und ‚Freiheit für Kühnen’.“6

Wer hier wen benutzt, das ist die Frage. Vor allem wenn es um „Querfronten“ geht. Bei den „2. Bogenhausener Gesprächen“, die der Ostpolitische Deutsche Studentenverband e.V. (ODS) und die Burschenschaft Danubia vom 28. bis 30. Oktober veranstalten, geht es um „Konservative Revoluti-
on und Nationalbolschewismus“. Vorgestellt werden Oswald Spengler, Moeller van den Bruck, Wil-
helm Stapel, Ernst Niekisch und Edgar Julius Jung; Pierre Krebs spricht über die Theorien der französischen „Neuen Rechten“ und Richard Scheringer von der DKP berichtet über seinen Werde-
gang vom Nationalisten zum Kommunisten. Siehe auch „Rechtsextremismus“ 1989.

Am 3. und 4. November veranstaltet die NPD ihren Bundesparteitag im Schwabinger Bräu, Leo-
poldstraße 82. Es kommt am 3. November zu Protesten; schon um 8 Uhr morgens stehen etwa Hundert Menschen vor dem Haupteingang in der Feilitzschstraße. Die Polizei versucht die Demon-
stranten auf die gegenüberliegende Straßenseite zu drängen, was ihr angesichts wütender Proteste nicht gelingt. Um 10 Uhr gehen aber doch zu viele Menschen zur abseits gelegenen VVN-Kundge-
bung, so dass es jetzt der Polizei leicht fällt, die verbliebene Mahnwache zu räumen, zwei Personen festzunehmen und die Feilitzschstraße mit Gittern vollständig abzusperren. Gegen Mittag prote-
stieren ungefähr dreihundert Menschen beiderseits der Absperrgitter. Die Polizei muss den Dele-
gierten einen Weg durch die Protestierenden bahnen. Am Nachmittag werden wiederum mehrere Personen festgenommen, so eine Frau, die eine antifaschistische Parole mit einer S-Rune auf der Jacke trägt sowie ein Punk wegen eines am Galgen baumelnden, auf die Jacke gemalten Haken-
kreuzes. Die Jacken werden beschlagnahmt. — Am 4. November demonstriert die VVN gegen den Parteitag.7


1 Andrea Röpke/Andreas Speit (Hg.), Blut und Ehre. Geschichte und Gegenwart rechter Gewalt in Deutschland, Berlin 2013, 40. Siehe auch www.spiegel.de/spiegel/print/d-13509386.html.

2 antifaschistische rundschau 5 vom Mai 1984, 8.

3 Siehe „Was ist das — die DVU?“.

4 antifaschistische rundschau 8 vom August 1984, 9.

5 Vgl. Süddeutsche Zeitung 172/1984.

6 antifaschistische rundschau 11 vom November 1984, 5.

7 Vgl. Süddeutsche Zeitung 256/1984. Siehe „Mußgnug verordnet der NPD eine Tarnung“ von Hermann Müller und „Der Schoß ist fruchtbar noch …“.