Flusslandschaft 1987
Religion
Während das Anti-Strauß-Komitee am Tag vor der Bundestagswahl eine Kundgebung auf dem Marienplatz abhält, lässt der Glöckner von St. Peter gerade mit Fleiß seine Glocken erschallen.1
In Ottobrunn bei München verhindert der katholische Gemeindepfarrer im Zusammenspiel mit der CSU-Mehrheit im Gemeinderat die Aufführung von Rolf Hochhuths „Der Stellvertreter“.2
Am 3. Mai beehrt Ihre Heiligkeit Johannes Paul II. die bayerische Landeshauptstadt mit Ihrem Besuch. Schon am 2. Mai haben sich die Mitstreiter der Aktion Froher Heide als Teufel verkleidet und ziehen durch sie Stadt. Auf den Schildern, die sie tragen, heißt es: „Der Papst soll arbeiten gehen!“ Sie bleiben von den Ordnungshütern unbehelligt; manche Passanten, die der höllischen Gruppe ansichtig werden, applaudieren fröhlich. – Der Papst will bei seinem München-Besuch Pater Rupert Mayer selig sprechen.3 Der Weg, auf dem der Papst durch die Stadt zur Theresien-
wiese fährt, ist von Polizei abgesperrt und gesäumt von Schaulustigen und Gläubigen. In der Schwanthalerstraße steht ein kleines Häufchen Protestierender, die mit einem handgemalten Transparent auf die katholische Doppelmoral hinweisen. Sie fallen nicht weiter auf, und auch
der Papst hat sie bei seiner späteren Vorbeifahrt nicht gesehen. Aber schon in der Ludwigstraße geschieht Erstaunliches, bevor der Papst kommt. Rechtsanwalt Konrad Kittl war zu Besuch bei einem Mandanten, der an der Münchner Freiheit in Schwabing wohnt. Jetzt strampelt er mit seinem Fahrrad die Leopold- und Ludwigstraße hinunter, um am Odeonsplatz rechts abzubiegen, weil er in die Richtung Hauptbahnhof fahren will. Links und rechts von ihm säumen die Schau-
lustigen hinter Polizeiketten seinen Weg. Kittl, der in seinem Leben noch nie so viele Zuschauer hatte, radelt, huldvoll nach links und rechts winkend, und freut sich, dass einige Polizisten grinsen, während der Großteil der Zuschauer „einfach nur blöde gaffte“.4 Der Feministin Hannelore Mabry und ihrer Gruppe, die am Siegestor ein Transparent hochzuhalten übt, dessen Text vielleicht die Kirche kritisieren könnte, geht es nicht so gut. Mabry wird, noch bevor der Papst vorbeifährt, festgenommen, ihr Fahrzeug durchsucht. Sie muss sich im Polizeipräsidium nackt ausziehen und kommt erst nach Abreise des Papstes – sieben Stunden später – wieder frei.5
Am 11. Mai spricht bei den Freidenkern Gerhard Ramp über Militärseelsorge, am 16. Mai leitet Frieder Köllmayr eine antimilitaristische Rundfahrt durch Oberbayern.6
Zu Beginn des neuen Schuljahres weist das Kultusministerium darauf hin, dass das Schulgebet regelmäßig zu absolvieren sei. Es steht damit in Opposition zu einem Entscheid des Bundesver-
fassungsgerichts.7
1987 verlassen 74.000 Bundesdeutsche die katholische und 140.000 die evangelische Kirche.
1 Siehe „Kirche und Immissionsschutzgesetz“ von Heinz Jacobi.
2 Siehe „Offener Brief“ und „Zu böser Letzt“ von Henning Venske.
3 Siehe „Pater Rupert Mayer – oder: Das Komplott zwischen Kirche und Naziführung“ von Frieder Köllmayr.
4 Konrad Kittl am 29. April 2010.
5 Siehe „Hannelore Mabrys Subsumtionsirrtum“ 1987. Siehe auch „Geheimprozesse“ von Marc Fritzler.
6 Siehe „Tag der Geistesfreiheit 1987“.
7 Siehe „Das Schulgebet in Bayern – unvereinbar mit dem Grundgesetz“ von Johannes Glötzner.