Flusslandschaft 1989

CSU

„Heinz Klaus Mertes (47), Leiter der Redaktionsgruppe ‚Aktuelles und Report’ beim Bayerischen Fernsehen, lässt sogar das letzte Feigenblatt journalistischen Anstands fallen, wenn er damit die Blöße eines CSU-Nachwuchstalents bedecken kann. Die Nachricht, dass der Vorsitzende der Jun-
gen Union Bayerns, Gerd Müller, für Rauschgiftdealer die Todesstrafe fordert, war zunächst von einem politisch unbefangenen Redakteur zu Papier gebracht worden – landete dann aber durch Mertes’ eigene Hand im Papierkorb. Letztendlich lief eine vom Chef persönlich verfälschte Fassung über den Sender, in der Müllers Forderung nach Todesstrafe fehlte. ‚Man muss Politiker auch mal vor sich selbst schützen’, belehrte Mertes seine Redakteure.“1

„Ein enger Strauß-Freund aus der CSU-Führung erregt: ‘Wer behauptet, Strauß habe mit Frau Pil-
ler keine sexuellen Kontakte gehabt, lügt. Solche Darstellungen schaden dem Ansehen des To-
ten.’“2

Am 20. November demonstrieren etwa 1.000 Menschen gegen das „Franz-Josef-Strauß-Symposi-
um“ der Hanns-Seidel-Stiftung im Hotel Vierjahreszeiten in der Maximilianstraße. Zum Sympo-
sium eingeladen sind der Präsident von El Salvador, Alfredo Christiani von der rechtsextremen ARENA-Partei, Jonas Savimbi, Chef der von Südafrika unterhaltenen UNITA-Truppen in Angola und Violete Barrios de Chamorro, Präsidentschaftskandidatin des von den USA unterstützten Oppositionsbündnisses UNO in Nicaragua. Auf einem der Transparente ist zu lesen: „Hanns-Sei-
del-Stiftung – nicht nur Geld – sondern auch MassenMörderwaschanlage“.3 Am 21. November ketten sich acht Menschen aus Protest gegen den „Massenmord an der Zivilbevölkerung in El Salvador“ an den Eingang des US-Konsulats in der Königinstraße an.

In allen Parteien ist das gleiche Phänomen zu beobachten: Menschen wollen sich engagieren und werden Mitglied der Partei, die ihnen am sympathischsten ist und die ihnen zwei Möglichkeiten verheißt: Das Engagement verbindet sich mit Anerkennung, vielleicht sogar mit einer Parteikarrie-
re. Das Engagement für sich bleibt garantiert, Anerkennung und Parteikarriere aber können nur realisiert werden, wenn das frischgebackene Parteimitglied die in der Binnenarchitektur der Partei herrschenden Regeln begreift und sie sich aneignet. Geschieht dies nicht, wächst Enttäuschung, Protest und manchmal sogar erbitterte Gegnerschaft. Zuweilen waren besonders engagierte Partei-
mitglieder zuerst Mitglieder einer konkurrierenden Partei. Es finden sich auch Mitmenschen, die sich in diversen Parteien aufhielten, bis sie ihren Hafen gefunden haben. Dieses Parteihopping lässt andere, oft nicht „erfolgreiche“ Mitglieder besonders wachsam sein. Sie beäugen das „Fremd-
mitglied“ und wittern Unterwanderung und Sabotage, lesen das Parteiorgan von der ersten bis zur letzten Zeile und suchen nach Abweichungen von der Parteilinie. Im Bayernkurier hat ein M.K.B. geschrieben. Parteimitglied Rauscher entdeckt, dass es sich hier um einen „Ex-Grünen“ handelt und protestiert empört.4


1 Metall. Zeitung der Industriegewerkschaft Metall 8 vom 21. April 1989, 5.

2 Bild vom 29. Juni 1989.

3 Siehe „1.000 demonstrieren gegen Hanns-Seidel-Stiftung“.

4 Siehe „Betrifft: Bayernkurier Nr. 46 vom 18.11.1989“ von J.R.