Flusslandschaft 1989

Internationales

Allgemeines

- Iran
- Südafrika
- Jordanien
- Kurdistan und Türkei
- El Salvador
- Bulgarien und Türkei
- VR China
- Nordamerika
- Nicaragua
- Ukraine
- USA
- DDR und BRD
- Rumänien
- USA und Panama


Allgemeines

Folgende Gruppen sind aktiv: DRITTE WELT CAFE e.V., RECHTSHILFEFONDS FÜR AUSLÄN-
DER e.V., PHILIPPINENGRUPPE München, SRI LANKA Arbeitskreis, SRI LANKA Freundeskreis, EL SALVADOR KOMITEE, FREUNDSCHAFTSGESELLSCHAFT BRD-CUBA, GUATEMALA KO-
MITEE, NICARAGUA LIBRE e.V., NICARAGUA KOMITEE, PERUGRUPPE, ERITREISCHE JUGENDGRUPPE, Arbeitskreis KEIN GELD FÜR APARTHEID, INTERNATIONALE FRAUEN-
LIGA FÜR FRIEDEN UND FREIHEIT (IFFF), GESELLSCHAFT F0R SPRACHE UND SPRACHEN (GeSuS), DRITTE WELT FORUM Münchener entwicklungspolitischer Aktionsgruppen, NORD-SÜD-F0RUM München

Dritte-Welt-Läden sind eigentlich Einrichtungen, in denen Initiativen wirken, die, solidarisch mit den Befreiungsbewegungen in der dritten Welt, Kontakte aufbauen, über imperialistisch motivierte Vorgänge und den Widerstand dagegen berichten und Kampagnen führen. Eigenartigerweise gibt es in Haidhausen zwei dieser Läden. Der eine von ihnen scheint aber nicht ganz koscher zu sein.1 Am 2. September veranstaltet der „Dritte-Welt-Laden“ in der Breisacherstraße 19 gemeinsam mit dem Deutsch-Iberoamerikanischen Jugendausschuss (DIJU) ein Straßenfest. Nachdem die Besu-
cherinnen und Besucher mit Hilfe von Flugblättern aufgeklärt werden, dass hinter der Veranstal-
tung Peter Gauweiler, Jonny Klein, Herbert Frankenhauser, Otto Pfaffel und Otto Lerchenmüller (alle CSU) sowie Ludwig Maximilian Faßold von der FDP stecken, verlässt etwa die Hälfte der fünf-
zig Anwesenden das Fest.

Das Nord-Süd-Forum veranstaltet am 12. September zum ersten Mal den „Dritte-Welt-Tag“. Es treten Künstler wie José Feliciano, Azana African Beat, Brickhouse und Redner wie Jakob von Uexküll und Malangatana auf.2

Siehe auch „CSU“ und „Frauen“.

IRAN

Das iranische Khomeini-Regime lässt Oppositionelle bei Massenhinrichtungen ermorden. Dagegen protestieren fünfhundert Menschen am 14. Januar auf dem Marienplatz und fordern die Bundes-
regierung zu einem Wirtschaftsboykott über den Iran auf.

SÜDAFRIKA

„12. Februar: Bei einer Protestaktion der Anti-Apartheid-Bewegung vor einem Stand des staatli-
chen südafrikanischen Reisebüros auf der Ausstellung Caravan und Boot und internationaler Reisemarkt auf dem Messegelände nehmen Zivilbeamte der Polizei insgesamt 5 Teilnehmer fest, darunter auch den SPD-Stadtrat Gerd Baumann. Der Kommunalpolitiker hat sich an der Ver-
teilung von Handzetteln beteiligt. Die Polizei begründet den Einsatz mit einer Information, der zufolge ein Farbbeutelanschlag auf den Stand des Reisebüros geplant gewesen sei. Der verhaftete Stadtrat erklärt, dass ein Zivilbeamter ihm sofort den Arm in den Rücken gerissen und dann Handschellen angelegt habe. Da er bereit gewesen sei, sich auszuweisen, sei keinerlei Anlass zur Festnahme und schon gar nicht zu einer Fesselung gewesen. Der Betroffene will Anzeige wegen Körperverletzung gegen den Beamten erstatten.“3

4

Banken räumen dem Regime in Südafrika neue Umschuldungsbedingungen ein, von denen Länder der Dritten Welt nur träumen können. Damit unterstützen sie die Aufrechterhaltung der Apart-
heid. Am 16. November demonstrieren der Arbeitskreis „Kein Geld für Apartheid“, Frauen für Südafrika – gegen Apartheid und die Anti-Apartheid-Bewegung München vor der Dresdner Bank in der Weinstraße 4.

JORDANIEN

„14. Februar: Gegen die Finanzierung von acht Tornado-Flugzeugen für Jordanien durch die Baye-
rische Landesbank
demonstrieren die Landtags-Grünen vor der Giro-Zentrale in der Brienner Straße. Sie verteilen dort Flugblätter, während im Gebäude der Kreditausschuss erneut aber die Finanzierung berät. Mit der Aktion wollen die Grünen erreichen, dass sich auch die Bankkunden gegen den Kredit wenden.“5

KURDISTAN und TÜRKEI

„Im Rahmen der Kurdistan-Solidaritätswoche, die vom 13. – 17. März stattfand, wurde folgende Resolution beschlossen: ‚Wir, die Besucherinnen und Besucher der Veranstaltung „Kurdenverfol-
gung in der BRD“ erklären uns mit den Forderungen von Feyka-Kurdistan solidarisch. Mit ihren Angriffen auf die Kurdinnen und Kurden mit Hilfe des Paragraphen 129a stellt sich die BRD auf die Seite der Unterdrückung eines ganzen Volkes, um ihre imperialistischen Interessen zu vertei-
digen. Der kurdische Befreiungskampf in der Türkei ist auch ein Teil unseres antiimperialistischen Kampfes. Wir schließen uns deshalb den Forderungen von Feyka-Kurdistan an: 1. Einstellung aller § 129a-Verfahren gegen Kurden und Kurdinnen in der BRD; 2. Freilassung aller inhaftierten Kur-
den; 3. Schluss mit der Verfolgung, der Willkür und den rechtswidrigen Behinderungen der Arbeit kurdischer Organisationen in der BRD.’ Am 5. Mai soll eine Veranstaltung stattfinden, auf der Ver-
treter von Feyka-Kurdistan authentisch berichten und für Fragen und Diskussionen zur Verfügung stehen werden.“6

Am 2. Juni treffen sich im Schwabinger Bräu, Leopoldstraße 82, etwa tausend Menschen bei einem Solidaritätsfest für verfolgte Kurden.

Zum 9. Jahrestag des Militärputsches in der Türkei findet am 9. September eine große Demo in Köln statt. Aus München kommen Busse.

Zur großen, bundesweiten Demonstration am 21. Oktober in Düsseldorf, die die Einstellung aller politischen Verfahren gegen Kurdinnen und Kurden und die Freilassung der zwanzig in der BRD inhaftierten Kurdinnen und Kurden verlangt, fahren auch viele Münchnerinnen und Münchner.

EL SALVADOR

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FAACN-Mitglied in San José de las Flores

»Sie, die Herren, wissen nicht, wofür sie töten, aber ich weiß genau, wofür ich sterbe.« Salvadorianischer Gewerkschafter

Am 19. März wird der Kandidat der Arena-Partei, Alfredo Cristiani, ein Abkömmling der salva-
dorianischen Kaffeeoligarchie, mit 53 Prozent der Stimmen zum Präsidenten gewählt. Tatsäch-
lich sind es aber nur 18 Prozent, da nur 41 Prozent aller Wahlberechtigten zur Wahlurne gingen. Gewerkschaften und die Frente Farabundo Martí de Liberación Nacional (FMLN) haben diese Wahlen als Farce bezeichnet und zum Wahlboykott aufgerufen. Die unabhängige Menschen-
rechtskommission registriert seit dieser Wahl bis zum 30. Juni 517 getötete SalvadorianerInnen, 325 Festnahmen und 56 Verschwundene.

Das El Salvador Komitee München, El Salvador libre e.V. und Studentenvertreter wollen am
11. Mai ein Solikonzert in der Mensa der TU veranstalten. Motto: „Waffen für El Salvador – Den Widerstand hier organisieren“. Präsident Meitinger zieht zwei Tage vor der Veranstaltung die Genehmigung zur Raumbenutzung zurück. Darauf protestieren hundertfünfzig Menschen am
11. Mai vor der Mensa.8

„21. November: 7 Frauen und 3 Männer eines Komitees ‚Freiheit für El Salvador’ ketten sich am Gittertor des US-Konsulates an der Königinstraße 5 – 7 fest. Sie wollen damit gegen den ‚Massen-
mord an der Zivilbevölkerung El Salvadors’ protestieren. für den die US-Regierung mitverant-
wortlich sei. Die Polizei trennt die Ketten auf und nimmt die Personalien der Demonstranten auf.“9

BULGARIEN und TÜRKEI

„1. Juni: Mit Plakaten und Kränzen marschiert eine demonstrierende Gruppe von Türken vor die Vertretung der bulgarischen Botschaft am Wintrichring, um gegen die systematische Verfolgung der türkischen Minderheit in Bulgarien zu protestieren.“10

VR CHINA

Am 5. März verkleiden sich 300 Angehörige chinesischer Spezialeinheiten als tibetische Zivilisten und fromme Mönche, betreten das tibetische Lhasa, zünden den Gebetsmasten am Jokhang-Tem-
pel an, ein Getreidelager, ein chinesisches Handelshaus und weitere chinesische Geschäfte, um die Tibeter zum Plündern zu verleiten. Die Provokation funktioniert, die chinesische Armee eröffnet das Feuer. Hunderte Tibeter sind tot, 3.000 werden verhaftet. Die in München ansässige Tibetini-
tiative Deutschland
protestiert. Die chinesischen Behörden heben das am 8. März verhängte Kriegsrecht erst am Ersten Mai 1990 wieder auf.

„4. Juni 1989: Tief betroffen von den Ereignissen in Peking, wo das kommunistische Regime sich gegen nach Freiheit rufende Studenten mit brutaler Gewalt durchgesetzt hat, zeigen sich chinesi-
sche Studenten und Wissenschaftler bei einer Kundgebung auf dem Marienplatz. Sie bringen ihre Trauer über den Tod tausender von Menschen zum Ausdruck, die in diesen Tagen im Stadtzen-
trum der chinesischen Hauptstadt niedergemetzelt wurden. Viele der etwa 500 Demonstranten aus ganz Bayern haben selbst Angehörige oder Freunde in Peking und erfuhren inzwischen telefonisch über die Vorgänge. Sie berichten über Soldaten, die wahllos in die Menge oder in Fenster von Häu-
sern schossen, aus denen Parolen des Protestes zu hören waren.“11

„6. Juni: Die Studentenvertretungen der Universität und der Technischen Universität veranstalten eine Demonstration der Solidarität mit den Studenten in Peking, die Opfer des Massakers von Mi-
litärs wurden. Rund 4.000 Teilnehmer marschieren von den beiden Hochschulen zum Marien-
platz, wo eine Schlusskundgebung stattfindet.“12

Auch in der linken und alternativen Szene finden sich viele, die gegen das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking protestieren. Sie argumentieren, dass in China ein autoritä-
rer, bürokratischer Kapitalismus die Grundsätze einer kommunistischen Haltung schon längst zerstört habe. Am 7. Juni protestieren siebzig Leute von der Marxistisch-leninistischen Partei Deutschlands (MLPD) mit der Parole „Verurteilt das sozialfaschistische Massaker in China!“

Donnerstag, „22. Juni: Zwischen 1.500 und 2.000 Demonstranten bilden mit Fackeln in den Händen auf der Theresienwiese zu Füßen der Bavaria das chinesische Schriftzeichen für Men-
schenrechte ‘Ren Quan’ nach. Veranstaltet wird diese Solidaritätskundgebung für die Opfer der blutigen Unterdrückung in der Volksrepublik China von Amnesty International und der Fach-
schaft Sinologie der Universität München.“13

„30. Juni: Auf Initiative von Friedensgruppen und der Gefangenenhilfsorganisation Amnesty International ertönen bis zum Sonntag vor der Erlöserkirche ‘Trauertrommeln gegen den Terror
in China’.“14

„22. Juli: Die in München lebenden Chinesen und Amnesty International veranstalten aus Protest gegen die vor 49 Tagen in Peking stattfindenden Massaker an demonstrierenden Studenten und Arbeitern einen Protest-Sternmarsch in Richtung Marienplatz. Dort stellen die Teilnehmer auf einer Fläche von 15 Quadratmetern ein chinesisches Schriftzeichen auf, das ‚Trauer’ bedeutet.“15

NORDAMERIKA

Die Aktionsgruppe Indianer und Menschenrechte (AGIM) beginnt mit der Herausgabe ihres Periodikums Coyote. Indianische Gegenwart. Entwicklungen – Hintergründe – Engagement.16

NICARAGUA


… ab 10. Juni: Veranstaltungsreihe „Viva Nicaragua libre“ …17

UKRAINE

„23. Juni: Aus Solidarität mit ukrainischen Katholiken in Moskau, die für die Wiederzulassung
der katholischen Kirche des slawisch-byzantinischen Ritus in der Ukraine, die 1946 von Stalin verboten und zwangsweise in die orthodoxe Kirche überführt wurde, demonstrieren, ist eine Gruppe von in München lebenden Ukrainern vor dem Arsatius-Portal des Domes in einen Hun-
gerstreik getreten, der bis zum 8. Juli dauern soll.“18

USA

Im Phillips Chemiekomplex in Huston wird am 23. Oktober nach Explosion und Brand Polyethylen freigesetzt, mindestens 23 Menschen sterben und 314 werden verletzt.

DDR und BRD

In der linksalternativen Szene in München ist die Begeisterung über den Fall der Mauer verhalten. Auch bei denen breitet sich ein mulmiges Gefühl aus, die jahre- oder jahrzehntelang die DDR als ein Land kritisierten, in dem die richtigen Ziele mit den falschen Mitteln anvisiert werden. Der politische Psychologe Hans Werner Saß und seine Freundinnen und Freunde in der Aktion Le-
bensqualität
reicht es nicht, bedenklich den Kopf zu schütteln. Saß will, dass die Revolution in der DDR in die richtigen Bahnen läuft. Er schreibt einen „Brief an die DDR“, seine Freundinnen und Freunde wälzen Telefonbücher aus der DDR, um Adressen zu ermitteln, drucken zehntausend Exemplare des Briefs im Dezember und versenden sie. In der DDR werden sie in unbekannter Zahl noch einmal vervielfältigt. In weiten Kreisen wird der Brief diskutiert. Eine Flut von Antworten er-
reicht die Absender. Zustimmende, nachdenkliche und wütende und beleidigende, die Saß zum Teil wieder beantwortet. Die Wirkung des Briefs ist nur schwer zu beurteilen.19

RUMÄNIEN

„19. Dezember: Mit einem öffentlichen Gebet vor dem Frauendom protestieren Exil-Rumänen, Ungarn und Deutsche gegen die blutige Niederschlagung von Demonstrationen in zwei rumä-
nischen Städten. Die Proteste sollen fortgesetzt werden.“20

USA und PANAMA

20. Dezember 1989 bis zum 3. Januar 1990: „Ein Bombardement zerstört große Teile von Panama City. 27.000 US-Soldaten übernehmen die Kontrolle und verhaften die Regierung Noriega. Über 2.000 Menschen sterben, 15.000 werden obdachlos. Angeblich geht es um die Verhaftung Norie-
gas, dem Drogenhandel vorgeworfen wird. Ein Verbrechen, das der Expräsident jahrelang mit Wissen und zum großen Teil im Auftrag der CIA begangen hat. Die Invasion findet zwei Monate vor den Wahlen in Nicaragua statt, bei denen die Sandinisten mit guten Aussichten antreten.“21

(zuletzt geändert am 22.6.2024)


1 Siehe „Dritte Welt-Läden: Solidarität pro und Contra“.

2 Siehe www.nordsuedforum.de.

3 Stadtchronik, Stadtarchiv München; Süddeutsche Zeitung 36, 1, 7, 20.

4 Die grüne MAMBA. Monatlicher Rundbrief der Fraktion DIE GRÜNEN/ALM im Rathaus 42 vom Mai/Juni 1989, 7.

5 Stadtchronik, Stadtarchiv München; Süddeutsche Zeitung 38, 1, 5.

6 Der Stadtbote. Politischer Rundbrief für München 37 vom 15. April 1989, 1.

7 werden 89/90. Jahrbuch der deutschen Gewerkshaften, Köln 1989, 137.

8 Vgl. Münchner Lokalberichte 11 vom 22. Mai 1989 3.

9 Stadtchronik, Stadtarchiv München; Süddeutsche Zeitung 269, 1, 20.

10 Stadtchronik, Stadtarchiv München; Süddeutsche Zeitung 124, 1, 20.

11 Stadtchronik, Stadtarchiv München; Süddeutsche Zeitung 126, 1, 20.

12 Stadtchronik, Stadtarchiv München; Süddeutsche Zeitung 128, 1, 20.

13 Stadtchronik, Stadtarchiv München; Süddeutsche Zeitung 142, 1, 4, 9, 20.

14 Stadtchronik, Stadtarchiv München; Münchner Merkur 148, 1, 9.

15 Stadtchronik, Stadtarchiv München; Süddeutsche Zeitung 167, 1, 20.

16 Siehe www.agim-online.de/

17 Plakatsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung

18 Stadtchronik, Stadtarchiv München; Süddeutsche Zeitung 145, 1, 8.

19 Siehe „Brief an die DDR“ von Hans Werner Saß. Siehe auch „Antwort an das Volk“ von Hans Werner Saß 1990.

20 Stadtchronik, Stadtarchiv München; Süddeutsche Zeitung 292, 1, 20.

21 Conrad Schuhler, Return to sender? In: konkret 11 vom November 2001, 19.