Flusslandschaft 1993

Rechtsextremismus

Vierhundert Menschen demonstrieren am 16. Januar gegen den „AVÖ-Laden“ („Althans Ver-
triebswege und Öffentlichkeitsarbeit“ oder auch „Amt für Volksaufklärung und Öffentlichkeits-
arbeit“) von Bela Ewald Althans in der Herzog-Heinrich-Straße 30. Dieser hisst Reichskriegsflagge und Zündelfahne, beschallt den öffentlichen Raum mit Marschmusik und zeigt den Hitlergruß. Aus der Menge fliegen Eier. Vier Leute werden festgenommen. Ende Mai bekommt die Demoleitung einen Strafbefehl über 2.400 DM. Sie habe vor der Kundgebung des Demoauflagenbescheid nicht vorgelesen, keine Ordner gestellt und die Eierwürfe nicht verhindert. Mitte Mai war Althans wegen Auschwitzlüge und Hitlergruß freigesprochen worden. Dabei hatte „Richter Schenk die Demon-
strantInnen vom 16. Januar als ‚Verbrecher’, ‚Mob’ und ‚Gesindel’“1 bezeichnet.

Seit dem 18. Januar gibt es das „Anti-Rassistische Telefon“ (ART). Unter der Nummer 543 72 81 kann sich jeder Mensch melden, der sich bedroht fühlt oder rassistische Vorkommnisse melden möchte.2

Einige Tausend demonstrierten am 30. Januar gegen die geplante Demontage des Asylrechts. In der linksalternativen Szene werden verschiedene Strategien diskutiert.3 Ende April soll der Artikel 16 des Grundgesetzes geändert werden. Im Anschluss an die Demo ziehen ungefähr siebzig bis hundert Schülerinnen und Schüler zum Goethe-Platz, um gegen Althans’ „AVÖ-Laden“ zu pro-
testieren. Schon beim U-Bahn-Aufgang werden vierzig von ihnen verhaftet. Die anderen flüchten ins Gewerkschaftshaus an der Schwanthalerstraße 64. Aber auch dort fahndet die Polizei nach ihnen.

Am Samstag und Sonntag, 13. und 14. Februar, marschieren etwa sechstausend „Haidhauser Wanderfreunde“ hinter der Reichskriegsflagge durch Trudering und Neuperlach. Start- und Zielpunkt dieses rechtsmotivierten Marsches ist die Schulmensa des Schulzentrums Perlach-Nord. Teilnehmer dieser Veranstaltung erhalten am Ziel ein Weißbierglas mit aufgedruckter Reichs-
kriegsflagge. Die Behörden sehen sich nicht in der Lage, etwas dagegen zu unternehmen. Aller-
dings verteilen etwa fünfzig Schülerinnen und Schüler sowie Erwachsene Protest-Flugblätter. Das Unterstützungskommando (USK) verhaftet am Samstag ein Dutzend Antifaschisten.

Der Erste Mai ist für Rechtsextreme der „Tag der Deutschen Arbeit — Nein zur EG“. Unter dieser Losung marschiert ein „Nationaler Block“ von etwa siebzig Gesinnungsgenossen, die aus ganz Bayern angefahren sind, unter schwerer Polizeibedeckung mit Fackeln in der Hand gegen Abend durch die Stadt. Bis zu 600 Gegendemonstrierende versuchen den Aufmarsch zu stören und zu verhindern, Polizeibeamte räumen die Straße für die Nationalen frei.

Auf einem Ska-Konzert im Rahmen des Feierwerk-Sommerfests tauchen am 24. Juli Sieg-Heil-brüllende Nazis auf. Der Sänger der Band fordert die Rechtsextremen auf, das Konzert zu verlas-
sen. Später kommt es zu einer Schlägerei. Schließlich kann man die sechs bis acht Nazis vom Gelände vertreiben.

Am 14. August veranstaltet die Deutsche Volksunion (DVU) im Mathäser im Hasenbergl an der Dülferstraße 16 ihren Landes- und Bundesparteitag. Etwa achtzig Antifas demonstrieren dagegen.

Für den 30. Oktober plant die rechtsextreme Szene eine Demo unter dem Motto „Keine Ausländer in der Polizei“ und „Gegen ein Ausländerwahlrecht“. Am 29. Oktober verhaftet die Polizei zwei Menschen, denen sie vorwirft, Plakate mit Aufrufen zur Verhinderung des Nazi-Aufmarschs ge-
klebt zu haben. Am selben Tag stürmen vierzig Polizisten gegen 17 Uhr den Infoladen in der Breisacherstraße 12 in Haidhausen und beschlagnahmen Flugblätter, die für eine Mahnwache vor der zentralen Flüchtlingsunterkunft in der Untersbergstraße in Giesing vorbereitet worden sind. Am 30. Oktober protestieren ungefähr zweihundert Antifaschistinnen und Antifaschisten und marschieren spontan vom Tegernseer Platz zur Untersbergstraße. Das Unterstützungskommando (USK) prügelt auf die Leute ein und verhaftet vier von ihnen.

(zuletzt geändert am 26.9.2020)


1 Ökolinx 13 vom Januar 1994, 38.

2 Vgl. Westend Nachrichten. Stadtteilzeitung für das Westend und die Schwanthalerhöh’ 7 vom Mai/Juni 1993, 12.

3 Siehe „Das schwarz-rot-goldene Manifest“.