Flusslandschaft 1998

CSU

Der ehemalige Oberbürgermeister Erich Kiesl kommt mit seinen dubiosen Geschäften nicht aus den Schlagzeilen. Am 18. Januar soll er verhaftet werden.1

Am 27. April veranstaltet die CSU ihren Parteitag im Hofbräukeller am Wienerplatz in Haidhau-
sen. Es kommt zu Protesten gegen die CSU-Parolen „Bayern ist kein Einwanderungsland“ und „Ausländerzuzug auf Null reduzieren“.2

Am 13. September wird der bayrische Landtag gewählt, zwei Wochen später der Bundestag. Im Frühjahr herrscht Wahlkampf. In aller Munde ist „Mehmet“, auf dessen Konto sechzig Straftaten gehen. Erst nachdem Innenminister Beckstein im neuen Jahrtausend den Bad Reichenhaller Liedermacher Hans Söllner wegen Beleidigung anzeigt, wird in den folgenden Gerichtsverfahren deutlich, wie sehr Beckstein und Kreisverwaltungsreferent Hans-Peter Uhl, der in den Bundestag will, den „Fall Mehmet“ zu rechten Zeit in der Öffentlichkeit zu Wahlkampfzwecken 1998 präsen-
tierten. Auf Söllners 2001 erschienener CD heißt es: „Früher hams Hitler ghoaßn oder Himmler / wisst’s es no, heit hoaßn’s Beckstein oder Haider / früher warn’s die Juden, heit de Türken /des kimmt ja echt aufs selbe raus /Ihr schürt’s den Hass von Millionen / und suachts für eure Fehler Leut / de ma verhoazn ko wia damals / und koana merkt’s, was ihr da treibts.“ Der Angeklagte Söllner in einem der Prozesse: „Wie ich das mal miterlebt habe, wie 2.000 Bierzeltbesucher grölen, dass sie dem Mehmet schon zeigen werden, wo der Bartel den Most holt, da krieg ich eben die Angst, dass sich die Zeiten wiederholen könnten.“3

„Man muss kein Freund von Hans Söllner sein, um über das Auftrittsverbot den Kopf zu schütteln. Grund zu diesem Verbot sollen Aufrufe an Söllners Publikum sein, Marihuana zu konsumieren. Wer die wahre Statistik unserer Suchtprobleme kennt, der versteht die Welt nicht mehr. Neben ca. 2.000 sogenannten Drogentoten sterben in Deutschland ca. 50.000 Alkoholkranke an ihrer Sucht. Diesen Süchtigen steht nunmehr das größte Bierfestival auf Erden bevor, das Münchner Oktober-
fest. Auf diesem Fest werden die Alkoholsuchtkranken und die Einsteiger alle paar Minuten mit der Aufforderung ,oans, zwoa, gsuffa’ zu mehr Alkoholkonsum animiert. Das Resultat sieht der Spaziergänger, der abends unterhalb der Bavaria über die Bierleichen stolpert. Herr Beckstein ist mit dem Auftrittsverbot für Söllner in eine missliche Lage geraten. Folgt er seinem christlichen Ge-
wissen, so muss er die Aufforderungen zum Alkoholkonsum auf der Wiesn verbieten. Folgt er sei-
nem Gewissen nicht, so muss er die Frage stellen, wie verlogen kann ein CSU-Politiker sein, der einem harmlosen Liedermacher das Singen verbietet. – Tino Gasche, München“4

Bei der anstehenden Landtagswahl will die CSU „den Rechtsextremen keine Stimme überlassen“. Gerhard Frey von der Deutschen Volksunion (DVU) verzichtet auf eine Kandidatur, da er seine Positionen bei der CSU bestens vertreten sieht. „Die CSU Mutter aller Glatzen? – Zu den Forde-
rungen der CSU erklärt die Humanistische Union, älteste deutsche Bürgerrechtsorganisation: Die CSU droht auf ihrem Weg nach rechts da anzukommen, wo seinerzeit die Republikaner aufgehört haben. Es ist dann wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis auch Herr Frey von der DVU seine Politik in der bayerischen Staatspartei wiederfindet. – Wer Ausländer zur sprachlichen Umerziehung zwingen und nach Gutsherrenart abschieben will, betreibt letztlich die Politik ‚Deutschland den Deutschen’. Eine solche nationale Propaganda würdigt unsere nicht-deutschen MitbürgerInnen zum Freiwild für Missachtung und Schikane herab. Die CSU schadet mit ihrer offensichtlichen Wahlkampfstrategie auch dem internationalen Ansehen der Bundesrepublik. Sie beschädigt das, was sie vorgibt zu schützen, das wirtschaftliche Wohlergehen der Menschen in der Bundesrepublik. – Wer in solcher Weise Menschen wie ‚Störfaktoren’ behandelt, darf sich nicht wundern, wenn andere diese Propaganda in die Tat umsetzen. Die CSU und auch der Bundeskanzler sollten aber wissen, dass sie sich einer Verantwortung für die Folgen ihrer Sprüche nicht werden entziehen können. – Jürgen Roth, 9. Juli 1998“5

Die CSU erhält in diesem Jahr von der Bay. Hypo- und Vereinsbank 10.277 DM, von der Deut-
schen Bank
51.129 DM, vom Deutschen Sparkassen- und Giroverband 12.782 DM und von der Dresdner Bank 35.790 DM Spenden.6

(zuletzt geändert am 25.1.2021)


1 Siehe „Grundwerte eines Ehrenbürgers“ von Thies Marsen.

2 Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 24. März 1998.

3 Zit. in Hans Holzhaider, „Mehmet“ – ein Knüller für den Wahlkampf. Beckstein soll öffentliche Empörung über jugendlichen türkischen Straftäter gezielt geschürt haben, in: Süddeutsche Zeitung vom 16. Januar 2006.

4 Süddeutsche Zeitung 215 vom 18. September 1998, 13.

5 Mitteilungen der Humanistischen Union 163 vom September 1998, 77.

6 Rechenschaftsberichte der Parteien nach dem Parteiengesetz (1998 – 2006), Berlin 2007.

Überraschung

Jahr: 1998
Bereich: CSU

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