Flusslandschaft 2006
Bürgerrechte
pro-information.de: Bürger, die mit entscheiden wollen, benötigen Informationen – unabdingbare Voraussetzung in der direkten Demokratie. Deutschland gehört zu den letzten Industrienationen, in denen das „Amtsgeheimnis“ gilt: Informationen werden von öffentlichen Stellen grundsätzlich als geheim behandelt, Akteneinsicht wird nur ausnahmsweise gewährt. Um dies zu ändern, warb Mehr Demokratie e.V. gemeinsam mit anderen Verbänden im Jahr 2004 für ein Informationsfrei-
heitsgesetz. Das von Mehr Demokratie e.V. mit Partnern gegründete „Bündnis für mehr Transpa-
renz“ arbeitete im Jahr 2005 einen Gesetzentwurf für Informationsfreiheit aus: Die Bürger sollen hinter die Aktendeckel schauen können. 2006 aber ist in Bayern ein schwarzes Jahr für die Demo-
kratie. Nicht nur, das die Volksgesetzgebung nicht reformiert wird, die CSU verhindert auch ein Informationsfreiheitsgesetz.
Die Gewerkschaft Deutsche Journalistinnen- und Journalistenunion (dju), der Kreisjugendring München, der Verein Insight und das Antifaschistische Informations- und Dokumentationsarchiv A.I.D.A. laden für den 19. Juli zu einer Diskussion über rechtsextreme Gewalt ins EineWeltHaus. Nachdem Versammlungsleiter Michael Backmund unter den Anwesenden zwei zivil gekleidete Staatsschützer entdeckt, die offensichtlich im Dienst sind, verweist er die beiden des Saales. Die beiden Polizisten kommen 35 Minuten später mit einer Verstärkung von zwanzig uniformierten Beamten zurück, so dass Backmund die Veranstaltung unter Protest für beendet erklärt. Die Poli-
zisten reagieren mit einer Anzeige wegen Beleidigung. Beinahe drei Jahre dauern die juristischen Auseinandersetzungen. „Das Grundsätzliche wurde dann vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (VGH) geklärt, und das in einem Urteil, dem bundesweite Bedeutung zugemessen wird, denn es war das erste zu diesem Thema. Die Polizei, so der Tenor, dürfe nicht ohne konkreten Hinweis auf zu erwartende Straftaten eine Versammlung in geschlossenen Räumen besuchen. Genau das aber hat der Staatsschutz seit Jahren routinemäßig getan.“1 Zu der Forderung der CSU-Fraktion, das EineWeltHaus wegen der Vorkommnisse zu schließen, stellt Siegfried Benker fest: „Das Eine-Welt-
Haus ist in die gesamte Angelegenheit nicht involviert. Es hat lediglich Räumlichkeiten an externe Veranstalter vermietet – und zwar an Verbände, die auch aus der verquasten Sicht eines CSU-
Stadtrats politisch unverdächtig sein dürften, wie den KJR oder die dju. Daraus die Forderung nach Schließung des Eine-Welt-Hauses abzuleiten, zeigt, dass es der CSU ausschließlich darum geht, ein ihr missliebiges Projekt aus ideologischen Gründen zu torpedieren. Das Eine-Welt-Haus ist und bleibt ein wichtiger Baustein in der politischen Kultur dieser Stadt.“2
Am 21. Oktober findet eine Demonstration gegen Sicherheits- und Überwachungswahn statt.
Im November kommt es zu zahlreichen Hausdurchsuchungen in München und Augsburg. Die Be-
hörden suchen nach Unterlagen, die die Unterstützung der verbotenen türkischen „Devrimci Halk Kurtulus Partisi – Cephesi“ belegen. Christian Luppatsch informiert die Münchner Lokalberichte und Martin Fochler kommentiert: „Wenn der Staat in die Rechte der Bürgerinnen und Bürger ein-
greift, hat die Öffentlichkeit einen Anspruch zu erfahren, was los ist. Das ist gewöhnlich gegeben, wenn die Sache vor Gericht kommt. Aber was ist, wenn die Sonderrechte der Ermittlungsbehörden gar nicht mit dem Ziel eingesetzt werden, einen Sachverhalt aufzuklären, sondern zur Repression, zur Niederhaltung von Mitbürgern, gegen die nichts vorliegt, deren Bestrebungen aber nicht zur Staatspolitik passen? Wenn vom ersten Schritt der Ermittlungen an klar war, dass diese ergebnis-
los bleiben würden? Dann kommt es zu keinem Verfahren, die Sache bleibt im Dunkeln und der Missbrauch schleift sich ein. – Den Betroffenen, die mit der Rettung ihrer wirtschaftlichen Exi-
stenz gut zu tun haben, ist es hoch anzurechnen, dass sie sich die Zeit und den Mut nehmen, die Vorgänge gegenüber der Öffentlichkeit darzustellen und die Maßnahmen, von denen sie getroffen wurden, in den politischen Zusammenhang zu rücken. Für die Redaktion der Münchner Lokalbe-
richte dankt Martin Fochler.“3
Der Bundestag beschließt am 1. Dezember die so genannte „Anti-Terror-Datei“.4
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EIN KOMPLIMENT DER UNRUHESTIFTERIN
Sie sagen Du
störst den Frieden
stiftest Unruhe
Selbst
in der Uhr
ist es die
Unruh
die für
Bewegung sorgt
Knut Becker5
Siehe auch „Internationales“.
(zuletzt geändert am 18.11.2019)
1 Süddeutsche Zeitung vom 2. Juni und 23. Juli 2009.
3 Münchner Lokalberichte 26 vom 21. Dezember 2006, 8. Siehe „Ein Hauch von Faschismus …“ von Christian Luppatsch.
4 Siehe „Meinung wird terrorrelevant“ von Frank Brendle.
5 Knut Becker, Zeitung vom 17. Oktober 2006. Texte von einem ganz normalen Tag, Rothenbuch 2007, 29.