Flusslandschaft 2011

Rechtsextremismus

Am Ostermontag, 25. April, wollen Rechtsextremisten ab 20 Uhr auf dem Münchner Marienplatz eine Mahnwache in Erinnerung an Reinhold Elstner durchführen. Elstner hatte sich 1995 vor der Feldherrnhalle in Brand gesetzt und ein geschichtsrevisionistisches Schreiben hinterlassen. „Die angekündigte und von Roland Wuttke angemeldete Mahnwache ist der erste Versuch der Münch-
ner Neonaziszene, nach ihrem gefloppten Aufmarsch im November letzten Jahres, eine ausserhalb interner Zirkel beworbene Kundgebung in München durchzuführen. Doch seit letztem November hat sich in der Münchner Neonaziszene einiges getan. Philipp Hasselbach, damals Anführer der „Freien Nationalisten München“, sitzt mittlerweile wegen Körperverletzung im Knast, wohingegen Martin Wiese, der wegen eines geplanten Anschlags auf die Grundsteinlegung des jüdischen Ge-
meindezentrums am Münchner Jakobsplatz sieben Jahre im Knast saß, seit einigem Monaten wieder auf freiem Fuss ist und in den letzten Wochen verstärkt in der Münchner Naziszene auf-
taucht, zuletzt bei einem kurzfristig verhinderten Treffen Münchner Neonazis in Erding. In den letzten Wochen traten Münchner Neonazis auch durch kleinere Verteilaktionen und zwei sponta-
ne Kundgebungen, in Bezug auf den Krieg in Libyen vor dem französischen Konsulat im Westend und vor dem österreichischen in Bezug auf die Verhaftung des österreichischen Neonazis Gottfried Küssel, in Erscheinung. – Zeigen wir den Nazis gemeinsam, dass sie weder in München, noch sonst irgendwo etwas verloren haben! Knüpfen wir an die erfolgreichen, antifaschistischen Aktionen der letzten Jahre an, durch die Nazis bei ihren öffentlichen Auftritten gestört bzw. gehindert werden konnten.“1

Zum Tag der Befreiung: 8. Mai, 12.30 Uhr, Sendlinger-Tor-Platz, Demo „Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg“.

16. Juli: Dreihundert demonstrieren gegen den „Festkommers“ der „Burschenschaftlichen Gemein-
schaft“.2

Die Bürgerinitiative Ausländerstopp (BIA) sowie Mitglieder neonazistischer Kameradschaften führen am Samstag, 22. Oktober, einen konspirativ geplanten und nicht öffentlich angekündigten „Aktionstag“ in München durch. „Ein Paukenschlag“, loben sich die Neonazis in einem anschlie-
ßend auf der BIA-Website erschienenen Artikel. a.i.d.a. beobachtet dagegen ein Trauerspiel.3

Im Semesterprogramm der extrem rechten Münchner Burschenschaft „Cimbria“ ist für 10.00 Uhr am 13. November ein „Heldengedenken“ im Hofgarten vermerkt. Der Termin steht – ohne dabei allerdings auf den nationalsozialistischen Terminus des „Heldengedenkens“ zurückzugreifen – auch in den Kalendern der völkischen Münchner Burschenschaft „Danubia“ sowie der Burschen-
schaft „Sudetia“
. Die SDAJ München ruft zu einer antifaschistischen Demo gegen von Burschen-
schaften angekündigte „Heldengedenken“ auf. Beginn: Um 9.30 Uhr am Platz der Opfer des Natio-
nalsozialismus. Aus dem Aufruf: „Auch dieses Jahr soll zum Volkstrauertag wieder ein sogenanntes ‚Heldengedenken’ durchgeführt werden. Geschichtsrevisionismus und Täter_innenverherrlichung sollen die Opfer der Deutschen Kriege in den Schatten stellen. Die Studentische Verbindung ‚Cim-
bria’ ruft mit Unterstützung der radikal-völkischen Burschenschaft ‚Danubia’ und der Burschen-
schaft ‚Sudetia’ dazu auf, an diesem Tag den gefallenen Soldat_innen zu gedenken, die im Namen der Deutschen Expansionsinteressen in den Krieg ziehen mussten und auch heute noch müssen. Wenn Deutsche Täter_innen zu sogenannten ‚Helden’ werden, sind Freiheit und Frieden noch weit entfernt …“ – Schließlich sind am 13. November im Hofgarten alle versammelt: Bundeswehr, Or-
densgemeinschaft der Ritterkreuzträger
, Burschenschaften, Reservistenverbände. In Vertretung des Ministerpräsidenten spricht Innenminister Joachim Herrmann. Einige protestierende Antifa-
schisten und Antifaschistinnen erhalten von der Polizei Platzverweise.4 Ausgerechnet das vom Verfassungsschutz als verfassungsfeindlich eingestufte und vom Bayrischen Innenministerium gebrandmarkte antifaschistische Informationsarchiv a.i.d.a. informierte von vorneherein über die Teilnahme von Gruppen bei der Feier, deren Gesinnung mehr als zweifelhaft sein dürfte. Erst nach Berichten in der bürgerlichen Presse ist Innenminister Herrmann völlig überrascht: „Bedauerlich“ sei, dass „keiner“ die Präsenz von „Gruppen mit politisch fragwürdigem Hintergrund erkannt“ habe. Siegfried Benker antwortet, dass der bisherige Umgang mit dem Volkstrauertag „ein Muster-
beispiel dafür ist, wie die offizielle Politik solche Themen über Jahrzehnte heruntergespielt hat und jetzt empört und überrascht darauf reagiert, dass es rechtsextreme Strukturen gibt.“5

Mitte November wird bekannt, dass ein Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos zwischen 2000 und 2007 bundesweit mindestens neun Kollegen mit griechischer oder türkischer Herkunft, zwei von ihnen in München, und eine Polizistin ermordet hat. Die Rolle des Verfassungsschutzes ist dabei mehr als dubios und manche Zeitgenossen fragen sich, wer die Verfassung vor dem Verfassungsschutz schützt. Genauso bitter ist auch die Erkenntnis, dass führende Politikerinnen und Politiker ganz plötzlich Betroffenheit und Erschütterung zeigen und dann als einziges Argument gegen die Morde den Imageschaden für die Bundesrepublik erwähnen, der sich in den Köpfen ausländischer Investoren festsetzen könne. – Die erste Protestkundgebung findet am Samstag, 19. November, mit etwa dreihundert Teilneh-
mern auf dem Platz der Opfer des Nationalsozialismus statt.6 Das Motto lautet „Gegen die Nazi-
mörder und ihre Komplizen vom Verfassungsschutz“. Auf Tafeln sind Porträts der zehn von den Nazis ermordeten Menschen zu sehen. Bei der Abschlusskundgebung spricht u.a. Walter Listl.7 Ebenfalls für den 19. November hat Roland Wuttke für die Bürgerinitiative Ausländerstopp eine Versammlung unter dem Motto „Kriminelle Ausländer raus“ auf dem Heimeranplatz im Westend angemeldet. Das Kreisverwaltungsreferat verbietet die Kundgebung mit der Begründung, sie ver-
höhne die Mordopfer und sei eine nicht hinnehmbare Provokation. Die Rechtsextremen weichen aus und erreichen mit einer kurzfristigen Eilanmeldung einen neuen Versammlungsort in Send-
ling.8 — Am 26. November demonstrieren etwa dreihundert Menschen von der Theresienwiese, dem Ort des Oktoberfestattentats, zum Innenministerium; sie fordern das Verbot der NPD und die Abschaffung des Verfassungsschutzes.9 Bei der Schlusskundgebung vor dem Innenministerium spricht Wolfgang Blaschka.10

Am Dienstag, 29. November, versammeln sich von 15 bis 18 Uhr Pax Europa und Politically Incor-
rect
auf dem Franz-Joseph-Platz. Redner wettern gegen die Islamisierung Europas. Mitglieder der Antifa machen mit Sprechchören und Trillerpfeifen Lärm.

10. Dezember, Samstag: Teilweise vermummte Rechtsextreme, die eine linke Demo aufmischen wollen, aber von der Polizei daran gehindert werden, ziehen hinter einem Transparent mit der Aufschrift „Wir stürmen dem Siege entgegen – Kampf der Rotfront“ über die Lindwurmstraße. Sie haben eine spontane Eilversammlung angemeldet und spontan Transparente und Lautsprecher-
wagen dabei.

Ende November demonstrierten Schülerinnen und Schüler des Grafinger Gymnasiums, nachdem ihre Schule mit rechtsextremen Parolen beschmiert wurde. Am Montag, 19. Dezember, kommt es in der Frühe zu einer anonymen Bombendrohung. 1.200 SchülerInnen und ihre LehrerInnen wer-
den gegen 10.30 Uhr evakuiert. Die Polizei sucht nach Sprengstoff – vergeblich. Der Direktor des Gymnasiums sieht einen Zusammenhang zwischen der Drohung und der Protestaktion vor drei Wochen.

Siehe auch „Bürgerrechte“, „Militanz“ und „Religion“.


1 www.le-monde.tk/

2 Siehe www.bashback.blogsport.eu/ und www.luzi-m.org/nachrichten/artikel/datum/2011/07/25/479/

3 Siehe www.aida-archiv.de.

4 Siehe „Rechtsum im Hofgarten“ auf www.aida-archiv.de sowie www.luzi-m.org/nachrichten/artikel/datum/2011/12/02/506/

5 Zit. in Süddeutsche Zeitung 289 vom 15. Dezember 2011, R 3. Benker hat schon 1996 den Charakter der Feier zum Volkstrauertag kritisiert, 1998 meinte Christian Ude, das „Säbelrasseln in Uniformen des 19. Jahrhunderts“ sei unangemessen, 2003 empfand Bürgermeisterin Gertraud Burkert „die Anwesenheit von Burschenschaften peinlich“.

6 Flugblatt mit Aufruf zur Demonstration unter www.muenchen-gegen-krieg.de. Siehe die Fotos von Werner Rauch unter http://www.galerie-arbeiterfotografie.de/galerie/reportage/index.html.

7 Siehe „Gegen die Nazimörder und ihre Komplizen vom Verfassungsschutz“ von Walter Listl.

8 Vgl. „Antifascism made in Munich“, Münchner Lokalberichte 24 vom 24. November 2011 und www.schlamassel.blogsport.de.

9 Siehe die Bilder der Demonstration „weg mit dem verfassungsschutz“ von Franz Gans.

10 Siehe „Rede von Wolfgang Blaschka für das Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus am 26. November 2011“.