Materialien 1983
Gedenkveranstaltung für Nazi-Militaristen Rudel
Laut Gerhard Frey, Herausgeber der Nationalzeitung, wäre diese Veranstaltung der DVU gar nicht nötig gewesen (da sind wir ausnahmsweise einer Meinung … !) wenn, ja wenn die Beerdigung Rudels entsprechend dessen Wünschen verlaufen wäre. Frey nannte es eine „Geschmacklosigkeit ohnegleichen, dass Rudel ohne die Ehrenbekundung einer Schützenkompanie, ohne Ordenskissen und ohne die Deutschland-Flagge auf dem Sarg beerdigt“ worden sei.
Die Volksfront München hatte zu kurzfristig von der Sache erfahren, um noch Verbotsantrag zu stellen. Dafür informierten wir noch schnell die verschiedenen anderen Gruppen. Trotzdem waren es nur fünfzig bis siebzig Leute, die sich am 9. Januar 1983 mit Transparenten und Tafeln vor dem Veranstaltungslokal aufbauten. Leider waren weder Mitglieder der VVN noch des Anti-Strauß-Komitees erschienen. Dafür aber viele junge Punks, mit denen wir – meist nicht ganz taufrische – Volksfrontler unsere „Nazi-raus“-Parolen schrieen. Eine empfindliche Störung oder gar Verhinderung dieses widerlichen Nazi-Rummels konnten wir also mangels Masse nicht erreichen. Einer von uns Demonstranten wagte sich in die „Höhle des Löwen“. Hier sein Bericht.
Ein Augenzeuge berichtet.
Die ersten Schwierigkeiten schon am Eingang – mulmiges Gefühl, soll meinen Aus- weis zeigen und komme offensichtlich nur deshalb rein, weil neben den Ordnern auch Polizei steht. Der LöwenbräukeIler ist voll; etwa tausend Teilnehmer bei der Veranstaltung der Deutschen Volksunion, bei der Gedenkfeier für Oberst Hans-Ulrich Rudel am Nachmittag des 9. Januar 1983. Eine Blaskapelle spielt, auf der Bühne ein langer Tisch mit den Plätzen für die Redner. Ein Rednerpult mit Adler und DVU-Signet und über allem ein riesiges Portrait Rudels. Im Bierdunst des Saales neben Fahnen der AKON (Aktion Oder-Neiße) auch eine schwarz-weiß-rote. Bei mir am Tisch drei Lehrlinge. Einer mit seinem Vater. Und zwei ältere Männer – Kriegsgeneration.
Als erster Redner spricht David Irving, englischer „Historiker“. Verfasser unter anderem einer Rommel-Biographie und Vertreter der These, dass Hitler von den Gaskammern nichts gewusst habe; das alles sei hinter seinem Rücken passiert. Irving redet von den Bonner Charakterschweinen, dass sie Rudel die Ehre nicht erwiesen hätten, und dass heute auch die Engländer und die Amerikaner wüssten, gegen wen sich die Deutschen („sich und ganz Europa“) verteidigt hätten. Unter frenetischem Applaus denkt natürlich jeder, dass das heute besser klappen würde. Irving redet kurz, abgehackt, sein Nussknackergesicht verrät die Spannung in seiner Gesichtsmuskulatur. Er ist noch ziemlich jung, aber ein autoritärer Knochen. Und er weiß demagogisch den Beifall einzuheimsen.
Die Inszenierung der Großveranstaltung ist perfekt, und die Statisten spielen begeistert mit: Es sind kleine Leute, mehr Männer als Frauen. Schmale Lippen, abgearbeitet und unscheinbar, und sie springen auf und klatschen frenetischen Beifall. Wenn es Irving oder Gerhard Frey oder ein späterer Redner es denen in Bonn und den Vaterlandsverrätern und dem roten Gesindel gegeben hat. Und es geht immer wieder um Treue und um die Ehre, die soldatische und darum, dass „man sie uns genommen hat“.
Dr. Gerhard Frey, Herausgeber der „National-Zeitung“ und des Deutschen Anzeigers besinnt sich auf das Grundgesetz: Dieser Staat, in dem wir heute leben, ist in Ordnung. Schließlich habe er bis heute alle seine fünfhundert Prozesse gewonnen. Und wer „unserer“ Sache schade, das sind die mit dem Hitler-Gruß an Rudels Grab, denn die kompromittieren die Bewegung. Wörner wird gelobt. Er habe Rudel einen Helden genannt, müsse halt Rücksicht nehmen auf das rote Meinungskartell, aber er habe Rudel die Ehre erwiesen. Ich denke mir, wozu diese Ehre nur immer taugt, diese beständig geleierte Formel, die den Blutgeruch überdecken soll. Denn nein: Rudel hat auf zweitausendfünfhundertdreißig Feindflügen nicht über dreihundert, sondern fünfhundertneunzehn sowjetische Panzer, mehrere Kriegsschiffe und achthundert (!) Fahrzeuge vernichtet. Und ich denke an die Toten.
Bei der Gedenkminute für Oberst Rudel erhebt sich alles. Schräg hinter mir stehen zwei noch recht junge Ordner, kurze Haar, Lederjacken, die mich schon länger beobachten. Offenbar fällt es auf, dass ich nicht nur etwas anders aussehe, sondern bis jetzt immer noch nicht geklatscht habe. Auch aufstehen, das bringe ich nicht fertig. Auf diese Situation bin ich nicht vorbereitet, merke, dass ich Angst habe. Ohne weiter zu überlegen, und noch bevor die beiden Ordner bei mir sind, stehe ich auf und gehe. Den Helden zu spielen überlasse ich lieber anderen. Und erst draußen, nach dem ich dieses Schreckenskabinett verlassen habe, atme ich kräftig durch.
Fünfzig Demonstranten in der Kälte vor der Tür. Tausend im Saal, wir sind noch sehr wenige …
Günther
Volksecho (Aachen) 2 vom Februar 1983, 10.