Flusslandschaft 1964

Gewerkschaften/Arbeitswelt

Um den blinden Rolf Gramke hat sich die Gesellschaft für wissenschaftlichen Sozialismus gebildet. Gramke wirbt für eine gewerkschaftliche Position und für den Rätesozialismus.1 Viele erinnern sich noch Jahre später daran, dass er sie umsichtig in kritische Denkmethoden eingeführt hat. Der in Brannenburg in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit tätige Reinhard Ruch: „Die Teilnehmen-
den müssen natürlich bereit sein, neue Lernerfahrungen zu machen. Dies scheint ein Allgemein-
platz zu sein und dennoch ist es wichtig, darauf aufmerksam zu machen. Einer meiner gewerk-
schaftlichen, politischen Lehrer – Rolf Gramke – hat dies einmal so beschrieben: ‚Lernen heißt, sich öffnen, heißt, sich bewusst die Welt in ihrer Vielfalt anzueignen, nie aufzuhören, sich Neuem und Unbequemem auszusetzen.’ Rückmeldungen von Teilnehmenden bestärken mich in meiner Überzeugung, dass dieses Bildungs- und Lernverständnis zum Erfolg führt. Die mündlichen wie schriftlichen Rückmeldungen der Teilnehmenden am Ende der Seminare sind bisher immer posi-
tiv ausgefallen. Diese insgesamt zustimmende Resonanz ist ein Beleg dafür, dass dieser Ansatz angenommen wird.“2 Siehe auch „Alternative Szene“.

Am 14. März demonstrieren Tausende auf dem Königsplatz gegen hohe Preise; die Lohn- und Gehaltserhöhungen des vorigen Jahres seien vollkommen aufgezehrt worden.3 Wer tatsächlich mehr Lohn verlangt, der fliegt.4

Erst streiken 350 Metaller in der Maschinenfabrik Robel, dann 2.000 bei Rathgeber und dann 5.500 bei Agfa. Am 22. April versammeln sich die Münchner Metallarbeiter im Zirkus Krone an der Marsstraße 43 und fordern ein Urlaubsgeld von 10 DM pro Tag.

Das Motto zum Ersten Mai lautet „Sonst wären wir nicht so weit – DGB“.5

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Der technische Fortschritt bewirkt, dass Maschinen menschliche Arbeitskraft ersetzen. Entlassun-
gen sind die Folge.7 Wenn natürlich alle kürzer für denselben Lohn arbeiten würden, gäbe es keine Probleme.


1 Dass Entscheidungen der Basiseinheiten nicht schnell genug gefasst werden könnten, dieses Argument läßt Gramke, Verfechter des Rätegedankens, nicht gelten. Und heutzutage dürfte dies über die Internetvernetzung noch weniger ein Problem sein, die jederzeitige Abwählbarkeit der weisungsgebundenen Abgeordneten und Neuwahl eines Nachfolgers ebenso wenig. Sich an Marx erinnernd, „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“, meint er zu einem Mitstreiter: „Ich habe einen Traum: Stell dir vor, jeder liefert das an Arbeit ab, was er gut kann und gerne tut, und nimmt sich das zum guten Leben, was er braucht.“ Angesichts der hoch entwickelten Produktivkräfte wäre auch dies absolut möglich.

2 Siehe www.haus-brannenburg.de/koepfe/reinhard_ruch.htm; siehe auch „Trauerrede für Rolf Gramke“ von Eberhard Kremer.

3 Siehe „Herunter mit den Preisen!“.

4 Siehe „Die billige Krawatte“.

5 Fotos von Rudolf Pröhl befinden sich in der Fotosammlung des Archivs der Münchner Arbeiterbewegung.

6 werden. Jahrbuch für die deutschen Gewerkschaften, Köln 1965, 210/211.

7 Siehe „Opfer des technischen Fortschritts“.