Materialien 2005
Rede am 2. April 2005 auf dem Marienplatz
Liebe Münchnerinnen und Münchner!
Der Nazipropagandaminister Joseph Goebbels hat auf dem Höhepunkt der Macht folgendes notiert: „ Es wird wohl immer einer der besten Witze der Demokratie bleiben, dass sie ihren Todfeinden die Mittel selber stellte, durch die sie vernichtet wurde“. Das darf sich in Deutschland niemals wiederholen! Es darf keine demokratischen Spielregeln wie Meinungsfreiheit, und Versammlungsfreiheit für Volksverhetzung, Rassismus und Antisemitismus geben. Gegenüber den Feinden der Freiheit, den Totengräbern der Demokratie darf es keine Toleranz geben. Diese stehen außerhalb des demokratischen Spektrums, außerhalb des Verfassungsrahmens.
Erich Kästner hat rückblickend auf die Weimarer Republik in seiner bildhaften Sprache ausgeführt: „Ein Schneeball muss bereits zertreten werden, ehe er den Berg herunterrollt, sich zu einer Lawine entwickelt, und unter sich alles erstickt.“
Angewandt auf heute sage ich: Es ist wichtig, dass sich viele Bürgerinnen und Bürger den Neonazis entgegenstellen, ihnen nicht unsere Straßen und Plätze überlassen. Mit welcher Aktionsform, in welcher Art jemand das macht, muss jeder für sich selbst entscheiden.
So erinnere ich mich an den 12. Oktober 2002, als die gebündelte Zivilcourage von ca. 3 000 Münchenerinnen und Münchnern den Nazimarsch zwischen Theresienwiese und Goetheplatz beendeten/stoppten. Auch heute wollen die Neonazis auf Teufel komm raus in München marschieren. Zeigen wir ihnen erneut, dass in unserer Stadt kein Platz ist für neonazistische Aufmärsche und Aktivitäten . Das verlangt nur etwas Zivilcourage, nicht einmal besonderen Mut, nichts, was auch nur annähernd mit dem antifaschistischen Widerstand bis 1945 vergleichbar wäre. Denn heute heißt Widerstand: Widerspruch, Zivilcourage, aufrechter Gang, nicht wegzusehen, wenn Gefahr droht, wenn Unrecht geschieht. Widerstand heute heißt aber auch in vielen Fällen Selbstüberwindung, Widerstand gegen die eigene Bequemlichkeit. Für mich haben Aufrufe und Appelle in den Flugblättern der Weißen Rose, – um Sophie und Hans Scholl – ihre eigene große Bedeutung zu jeder Zeit, also auch der heutigen.
Insbesondere jene die da lauten: „Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit, den ihr um euer Herz gelegt habt“ und „ Wenn jeder wartet, bis der andere anfängt, wird keiner anfangen.“ Ich, werte Anwesende, habe den Anfang des Naziregimes miterlebt, beginnend mit dem Terror gegen die Arbeiterbewegung, bald gegen alle Demokraten, die Judenpogrome und den Überfall auf andere Länder. Und ich habe das Ende erlebt mit dem Holocaust, mit 55 Millionen Toten, 34 Millionen Kriegskrüppeln, schrecklichem Elend und unermesslichen Zerstörungen.
Liebe Münchnerinnen und Münchner,
berücksichtigt bitte meine bitteren Erfahrungen und engagiert euch besonders heute gegen jegliche Form des Neofaschismus. Wir, die VVN-BdA, sagen seit langem: „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen.“ Ein von der Verfassung garantiertes Recht auf Nazipropaganda gibt es nicht. Nach Artikel 139 des Grundgesetzes sind die zur „Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus erlassenen Rechtsvorschriften“ immer noch in Kraft.
Abschließend rufe ich gemeinsam mit dem „Münchener Bündnis gegen Naziaufmärsche“ alle Anwesenden auf, anschließend friedlich und zahlreich dort präsent zu sein, wo die Nazis aufmarschieren. Ich wiederhole: Überlast ihnen nicht die Straßen und Plätze unserer Stadt!
Demonstrieren wir gemeinsam gegen den Naziaufmarsch, also auf der Strecke zwischen Theresienwiese und Goetheplatz und Sendlinger-Tor-Platz und beim Nazikonzert von ca. 15 – 18 Uhr auf der Südseite der Theresienwiese. Nie wieder Faschismus ist kein Lippenbekenntnis, sonder erfordert das aktive Handeln aller Demokraten. Auf Wiedersehen.
Martin Löwenberg
VVN-BdA