Flusslandschaft 1966
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Allgemeines
Frantz Fanons Manifest der antikolonialen Revolution „Die Verdammten dieser Erde“ erscheint bei „Suhrkamp“. Zur Guerilla-Haltung der Situationisten gesellt sich eine zweite und legiert zu einer brisanten Mischung.1
Ulrich Harsch schreibt am 12. Juni 2018: „… Ich selbst war in München in einer rätesozialistischen Gruppierung aktiv, der unter anderem Dieter Kunzelmann, der Soziologe Jürgen Hofmann und der Historiker Lutz Ziegenbalg angehörten. Sie war von zwei Gewerkschaftern gegründet worden: Ru-
dolf Gramke und Hans-Werner Saß. Angesichts des Vietnamkriegs und der Niederschlagung von Aufstandsbewegungen in den ehemaligen Kolonien beschäftigten wir uns in zunehmendem Maße mit der Frage, wie die Linke in den »Metropolen« die unterdrückten Völker in Asien, Afrika und Lateinamerika unterstützen sollte. In diesem Zusammenhang ist das von mir gestaltete … Plakat entstanden. Es wurde in der Nacht des 4. Februar 1966 in München und Berlin geklebt. Dabei sind in Berlin vier Mitglieder des SDS verhaftet worden: »Erhard und die Bonner Parteien unterstützen MORD Mord durch Napalmbomben! Mord durch Giftgas! Mord durch Atombomben! Die US-Aggression in Vietnam verstößt nicht gegen das Interesse des demokratischen Systems: Wer es wagt, sich aufzulehnen gegen Ausbeutung und Unterdrückung, wird von den Herrschenden mit Brutalität niedergemacht. – Die Völker Asiens, Afrikas und Lateinamerikas kämpfen gegen Hun-
ger, Tod und Entmenschlichung. Die ehemaligen Sklaven wollen Menschen werden. Kuba, Kongo, Vietnam – die Antwort der Kapitalisten ist Krieg. Mit Waffengewalt wird die Herrschaft aufrecht-
erhalten. Mit Kriegswirtschaft wird die Konjunktur gesichert. – Ost und West arrangieren sich immer mehr auf Kosten der wirtschaftlich unterentwickelten Länder. Jetzt bleibt den Unterdrück-
ten nur noch der Griff zu den Waffen. Für sie heißt Zukunft: Revolution Wir sollen den Herr-
schenden beim Völkermord helfen. Deshalb beschwören sie das Gespenst der gelben Gefahr. – Wie lange noch lassen wir es zu, daß in unserem Namen gemordet wird? AMIS RAUS AUS VIET-
NAM! INTERNATIONALE BEFREIUNGSFRONT« Mit den Vorgängen an der Münchner LMU war ich nur indirekt konfrontiert, aber es gab dort wichtige Bezugspersonen, etwa den Ökonomen Elmar Altvater, den Zeitungswissenschaftler Peter Glotz und den Soziologen Horst Holzer. So war z.B. die Vortragsreihe des SDS im Wintersemester 1966/67 im berühmten Hörsaal 147 ein Höhe-
punkt, an den ich mich noch relativ gut erinnern kann. Die Veranstaltungsreihe war von dem Alt-
philologen Rudolf Führer organisiert worden …“2
VIETNAM und USA
Die Bundesregierung veröffentlicht am 7. Januar eine Erklärung, in der sie den US-Krieg in Vietnam unterstützt. In der Nacht vom 3. zum 4. Februar kleben Mitglieder der Internationalen Befreiungsfront und des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) in München und in Berlin Plakate, die Bundeskanzler Erhard und die Bonner Parteien der Unterstützung des Mordes in Vietnam bezichtigen.3
Am 24. Februar kommt es zu einer Demo gegen den Vietnam-Krieg, zu der vier Studentenverbände aufgerufen haben.4 Am Tag danach demonstrieren noch einmal vierhundert Studenten gegen den Vietnamkrieg.5 Am 28. Februar distanzieren sich andere Studentengruppen von den Vietnam-Demonstranten.6
25. bis 27. März: „Internationale Vietnamtage“ der Kampagne für Demokratie und Abrüstung.7 — Die Demonstration vom 13. Juni plädiert für ein baldiges Ende des Vietnamkrieges.8
Samstag, 2. Juli: Bei einer Podiumsdiskussion in der Technischen Hochschule begrüßen Studie-
rende den US-amerikanischen Professor Klaus Herrmann mit „Sieg-Heil“-Rufen. Herrmann versucht, die Haltung der US-Regierung zu verteidigen. Der Schweizer Publizist Hans Henle meint dagegen, die Nationale Befreiungsfront sei die wirkliche Repräsentanz der südvietnamesischen Bevölkerung: tosender Applaus. — Am 4. Juli kommt es zu heftigen Rangeleien vor dem US-Generalkonsulat in der Königinstraße 5 – 7. Mit roter Flüssigkeit gefüllte Flaschen fliegen gegen die Fassade. Dieter Kunzelmann wird verhaftet.10 — Bei einer Podiumsdiskussion über die Vietnampolitik kommt es am 5. Juli zu einer Demonstration.11 — Am 6. Juli kommt es zu Tumulten vor dem US-Generalkonsulat.12
29. November: „Zwischenfall bei Vietnam-Demonstration“.13 „Vietnam-Protest und Handgemenge – MÜNCHEN, 29. November (UPI). Bei einer Demonstration von rund 500 Studenten und Gastarbeitern vor dem amerikanischen Generalkonsulat in München ist es zu einem Handgemenge zwischen den Demonstranten und der Polizei gekommen, die die in den Vorgarten des Konsulats drängende Menge zurückhielt. Dabei riefen die Demonstranten, unter ihnen eine Reihe von langhaarigen Jugendlichen, der Polizei Worte wie ,Nazis’, ,Gestapo-Methoden’ und ,Ami-Polizei’ entgegen. Ein Demonstrant wurde verletzt. Nach Auskunft der Münchener Polizei wurde niemand verhaftet, jedoch seien von den ‚lautesten Schreiern’ Fotos gemacht worden. Möglicherweise werde gegen sie ein Verfahren wegen Beleidigung eines fremden Staatsoberhauptes eingeleitet.“14
KOLUMBIEN
Priester Camilo Torres, Mitglied der kolumbianischen Nationalen Befreiungsarmee (ELN), kommt bei seinem ersten Gefecht mit Regierungstruppen am 15. Februar ums Leben. „Dort wo Camilo fiel, / ward ein Kreuz geboren, / aber nicht aus Holz, / sondern aus Licht. / Sie töteten ihn als er ging, / sein Gewehr zu holen. / Camilo Torres stirbt, / um zu leben. / Man erzählt, dass nach dem Schuss / eine Stimme zu hören war: / Es war Gott, der schrie / Revolution! / Durchsucht die Sutanen, / mein General, / denn in der Guerilla / ist Platz für einen Sakristan. / Sie nagelten ihn mit Kugeln / an ein Kreuz. / Sie nannten ihn Bandit, / so wie Jesus. / Und als sie kamen, / sein Gewehr zu su-
chen, / da entdeckten sie: / im Volk hat’s hunderttausend, / hunderttausend Camilos, / bereit zum Kampf. / Camilo Torres stirbt, / um zu leben.“ Text von Daniel Viglietti, gesungen von Victor Jara
SPANIEN
„Die Humanistische Studentenunion München sandte am 22. März 1966 zusammen mit der Münchner Gesellschaft der Freunde junger Kunst an General Franco ein Telegramm, in dem gegen die Verhaftung zahlreicher Studenten und Professoren der Universität Barcelona protestiert und die sofortige Freilassung aller Inhaftierten gefordert wird.“15
VR CHINA
„Das Neue mit kritischem Blick auf das Alte wachsen lassen!“
Die chinesische Kulturrevolution dauert von 1966 bis 1969. Mao Zedong: „Auch nach dem Sieg im Bürgerkrieg hat der Klassenkampf nicht aufgehört. Zur neuen Ausbeuterklasse gehören in China Funktionäre, Verwaltungsfachleute, Techniker, Intellektuelle usw., die den Kontakt zu den Volks-
massen verloren haben. Man muss das revolutionäre Bewusstsein der Massen fördern und den Kampf wieder aufnehmen.“ – Die Kulturrevolution fordert mindestens 400.000 Tote in ganz Chi-
na, Millionen Menschen werden gepeinigt, gefoltert, verhaftet, landen in Gefängnissen und Ar-
beitslagern oder werden in entlegene Gegenden des Landes verbannt. Auch in München gibt es gläubige Maoisten, die in ihrer Ablehnung des ihrer Ansicht nach degenerierten Sozialismus in den Warschauer-Pakt-Staaten die antibürokratischen und antirevisionistischen Motive der chinesi-
schen Kulturrevolution gutheißen. Nachrichten über Greuel in China sind ihrer Meinung nach Propaganda. Erst nach Jahren oder gar nach Jahrzehnten werden die Ausmaße der Massaker in ihrer ganzen Grausamkeit bekannt. Da sind es nur noch wenige, die an Mao glauben. Die anderen haben erkannt: Politik und Glauben sind unvereinbar.
(Zuletzt geändert am 3.2.2020)
1 Siehe „Aspekte der Guerilla-Form“ von Jens Kastner.
2 https://literaturkritik.de/public/artikel.php?art_id=1129&ausgabe=51
3 Siehe „Erhard und die Bonner Parteien unterstützen MORD“.
4 Vgl. Süddeutsche Zeitung 47/1966.
5 Vgl. Süddeutsche Zeitung 48/1966.
6 Vgl. Münchner Merkur 49/1966.
7 Broschüre/Programm: Stadtarchiv, Zeitgeschichtliche Sammlung 190/5.
8 Vgl. Süddeutsche Zeitung 140/1966.
9 Flugblattsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung
10 Vgl. Rainer Langhans/Fritz Teufel, Klau mich, München 1977, unpag.
11 Vgl. Münchner Merkur 157/1966.
12 Vgl. Süddeutsche Zeitung 160/1966.
13 Vgl. Süddeutsche Zeitung 285/1966.
14 Frankfurter Rundschau vom 30. November 1966.
15 Mitteilungen der Humanistische Union 26 vom März/April 1966, 13.