Flusslandschaft 1971

Stadtviertel

Im Januar nimmt die Aktion Maxvorstadt Kontakt zu den Stadtratsfraktionen, zum Bezirksaus-
schuss und zur Verwaltung auf und formuliert erste Forderungen. Es entsteht außerdem ein Grundlagenpapier.1 Hier sind u.a. Kaplan Ralf Dantscher von St. Ludwig, Ali Mitgutsch2 und der Stadtplaner Karl Klühspies3 aktiv, der sich Jahre später mit dem Architekten Rudi then Bergh4 („Aktion Nikolaiplatz“) im „Arbeitskreis Verkehrsberuhigung Schwabing-Maxvorstadt“ engagiert. In der Aktion Maxvorstadt, wird deutlich, wie sich erstens die Interessenlage der Betroffenen, zweitens eine politisch motivierte Opposition und drittens der Diskurs von Stadtplanern und Architekten sich bündeln, um einem neuen zivilgesellschaftlichen Engagement in Konfrontation zum städtisch-staatlichem Handeln den Weg zu bereiten. Ausstellung und Protestversammlung vom 13./14. März im Pfarrsaal von St. Ludwig schaffen Öffentlichkeit; die überkonfessionelle und überparteiliche Aktion Maxvorstadt bekommt neue aktive Mitglieder. Mit Hilfe von Infoständen sammelt die Bürgerinitiative im Juli 12.000 Unterschriften für die Erhaltung des Viertels.

1965 wurde Haidhausen im neuen Stadtentwicklungsplan als „Stadterneuerungsgebiet“ ausge-
wiesen. 1970 haben DKP-Mitglieder den evangelischen Pfarrer, dann die katholische Gemeinde St. Johann Baptist und schließlich viele SPD-Mitglieder gewinnen können, so dass am 11. Februar 1971 im Klostergarten etwa fünfundvierzig Menschen den „Organisationsausschuss“ einer künfti-
gen „Bürgerinitiative Haidhausen“ wählen. „… In den ‚Kopf’ der Initiative wurden je ein SPD- und ein DKP-Mitglied gewählt, dazu noch je ein Kirchenvertreter und ein parteipolitisch nicht gebun-
dener Haidhauser. Neben dem Organisationsausschuss bildete man den Tangente 3-0st/Gasteig-Ausschuss, den Sanierungsausschuss und den Ausschuss für Mieten und Kündigungen. Nachdem das alles sich entwickelt hatte, wurde das erste Flugblatt in 10.000 Auflage im Viertel verteilt. … Die erste große öffentliche Veranstaltung der Bürgerinitiative Sanierung Haidhausen (BISH) wird auch in den „Pfarrnachrichten“ von St. Johann Baptist angekündigt und die Kirchenmitglieder zur Teilnahme aufgefordert. Am 7. Mai 1971 kommt es dann zur Veranstaltung im Kolping-Saal in der Kirchenstraße. 300 Haidhauser kommen und alle Politiker des Münchner Osten wollen dabei sein. OB Vogel schickt seinen ersten Stadtplaner H. Abreß …“5

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Für den 24. Juni 1971 lädt die Wohngebietsgruppe Haidhausen der DKP ins Ansbacher Schlössl unter dem Motto „Schluss jetzt mit Bodenspekulation, Mietwucher, Kündigungen“. Aber erst im Jahr 1976 beginnt die umfassende „Stadtteilsanierung Haidhausen“.

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Im Dezember entsteht die „Bürgerinitiative Laim/Pasing“.8 Und im Dezember solidarisieren sich die Münchner Bürgerinitiativen gegen den geplanten Standort des Europäischen Patentamts.


1 Siehe „Thesen zur Maxvorstadt“ von Hafner, Hartl, Kürzinger, Lauter.

2 Siehe „Die wirklich nachhaltigen Frustrationen …“ von Ali Mitgutsch.

3 Vgl. „Schwarzes Loch“ in Hella Schlumberger, Türkenstraße. Vorstadt und Hinterhof. Eine Chronik erzählt, München 1998, 69 – 72.

4 Vgl. „Transitorisch“ in Hella Schlumberger, Türkenstraße. Vorstadt und Hinterhof. Eine Chronik erzählt, München 1998, 72 – 75.

5 Haidhauser Nachrichten. Monatszeitung für den Münchner Osten 3 vom März 1981, 7.

6 Zum Plakat von Renate Sendler-Peters heißt es: „Die Wörthstraße gehört zu den Magistralen des gründerzeitlichen Bau-
booms im Münchner Osten, um die sich ein typisches Arbeiterviertel mit gestaffelten Höfen, Mietskasernen, kleinen Werk-
stätten und Betrieben ausbreitete. Einzelne und ganze Gruppen dieser veralteten Gebäude werden heute komplett zu hor-
renden Preisen an ausländische Arbeiter vermietet. So entstehen die Ghettos des modernen Kapitalismus. Vor allem türki-
sche und griechische Arbeiter leben heute außerhalb und unterhalb einer Gesellschaft, deren Funktionen und Illusionen auf der Existenz einer neuen Sklavenklasse beruhen. Die körperliche Schwer- und Dreckarbeit wird in den reichen Ländern des Kapitals an das Proletariat abhängiger Länder oder rassischer Minderheiten delegiert. Die Münchner Müllabfuhr beispiels-
weise beschäftigt fast ausschließlich türkische Arbeiter.“ Richard Hiepe, Die Kunst der neuen Klasse, München/Gütersloh/ Wien 1973, 181.

7 reproduziert in: Haidhauser Nachrichten. Monatszeitung für den Münchner Osten 3 vom März 1981, 7.

8 Siehe „Der Westen“.