Flusslandschaft 1982

Zensur

Während der bayrische Ministerpräsident zum Neujahrsempfang ins Antiquarium in der Residenz geladen hat, flimmert die vom Sender Freies Berlin (SFB) produzierte Silvester-Sendung des „Scheibenwischer“ über die heimischen Glotzen. Dieter Hildebrandt, Gerhard Polt und Gisela Schneeberger beschäftigen sich mit dem Rhein-Main-Donau-Kanal, dessen zentrale Bauabschnitte zur Zeit in Angriff genommen werden. Während Millionen von Quadratmetern Naturschutzgebiet in Form von Feuchtwiesen dem Vorhaben zum Opfer fallen würden, säße gleichzeitig eine große Zahl bayrischer Regierungsmitglieder in der Chefetage der entsprechenden Betreibergesellschaf-
ten. „… Die bayrischen Kanalarbeiter zu karikieren, deren teures Werk sogar der amtierende Bun-
desverkehrsminister Volker Hauff als das ‚dümmste Projekt seit dem Turmbau zu Babel’ verspotte-
te, konnte dem Ulk-Trio wahrlich nicht schwer fallen. Sie brauchten sich nur an die Daten des Ge-
schäftsberichts der Kanalbaugesellschaft zu halten. ‚Unsere internen Zahlen’, verriet in der Sen-
dung der für den Kanal stehende ‚Dr. Schwamm’ alias Gerhard Polt, ‚die san so wahnsinnig, die san so gespenstisch’, die könne ein Normal-Politiker wie Schmidt, Strauß oder Goppel gar nicht öffent-
lich verkünden: ‚Dann sagt doch der kleine Mann, ja jetzt spinnen’s ganz, die wollen uns verar-
schen.’ Polt in der Sendung zu Hildebrandt: ‚Sehen Sie, das ist der Grund, warum wir so einen pro-
fessionellen Spaßvogel wie Sie brauchen, der uns diese Geschäftsberichte veröffentlicht.’ … ‚Bei allem Verständnis für Karikatur, Satire und Kabarett’, so schimpfte der Landesherr, sei solche ‚ver-
leumderische und bösartige Ehrabschneidung’ einfach ‚unerträglich’ und ‚skandalös’. Unter dem ‚Deckmantel der Satire’ sei eine ‚wahre Fülle von falschen Tatsachenbehauptungen in die Welt ge-
setzt’ und ‚der Kanalbau als Idiotie des Jahrhunderts’abgetan worden. Schlimmer noch: ‚Wie ein roter Faden’ habe sich der ‚Verdacht der passiven Bestechung’ von bayrischen Ministern durch die Sendung gezogen. Mit dem ‚empörenden Vorfall’ müssten sich, so Strauß, der Rundfunkrat des Bayern-Senders, die zuständigen Gremien der ARD und der anderen Rundfunkanstalten befassen, vielleicht sogar, wie CSU-General Stoiber drohte, die Staatsanwaltschaft. Das hatte Wirkung. Wenn die ARD-Satire nicht mehr ‚gemeinschaftsverträglich’ sei, drohte Intendant Vöth letzten Donners-
tag den Kollegen vom Berliner Kanal, müsse sich der Bayern-Sender künftig aus dem ‚Scheibenwi-
scher’-Programm ‚ausschalten’. Zumindest verlangt der beleidigte Parteichef in seinen Briefen eine Richtigstellung der Satire ‚an gleicher Stelle durch einen Sprecher der verantwortlichen Anstalt’ (Strauß) …“1

Klaus Peter Schreiner: „Da gab es doch diesen >Rhein-Main-Donaukanal-Scheibenwischer< mit dem Gerhard Polt und der hatte Auswirkungen. Jahrelang hatte ich für den Triumphator-Stark-
bieranstich im Löwenbräukeller am Stiglmaierplatz ein Satireprogramm zusammengestellt, ge-
schrieben und Regie gemacht. Es war kürzer als auf dem Nockherberg und unterhaltender. Politi-
ker waren auch da, aber sie wurden weniger >derbleckt<. Es war eher ein Dialog zwischen Maxl Graf und Gustl Bayrhammer, die Lisa Fitz war auch dabei. Irgendwann hat es dann geheißen: wir wollen auch mehr Politik. Da kam die Idee: der Polt soll mitmachen. Er machte auch mit und es schlug riesig ein. Dann kam die Scheibenwischersendung über den Rhein-Main-Donaukanal und der nächste Starkbieranstich stand vor der Tür. >Was machen wir?< fragten sich die Leute vom Löwenbräu. >Wenn der Polt kommt, bleiben die Politiker weg, der Strauß, der Jaumann, der Streibl.< Also, sie haben den Polt praktisch ausgeschlossen. Da sagten wir Autoren: wenn der Polt nicht mitmacht, schreiben wir auch nicht! Da ist der Starkbieranstich ins Wasser gefallen. Seitdem gibt’s ihn nicht mehr. Das Ergebnis eines >Scheibenwischers<.“2

Carl Wiedmeiers Ziviler Sicherheitsdienst (ZSD) fühlt sich durch eine Postkarte beleidigt und zieht vor Gericht.3

„Kleine Liste aktueller Zensurfälle: … Blatt, Münchner Stadtzeitung. Von vielen und immer wieder neuen Prozessen überzogen. Mal ist es Verunglimpfung des Staates, mal ein Aufruf zur Gewalt (Autobahnblockade), mal auch Pornographie. Stets aufmerksamer Staatsanwalt lässt mitunter die Abonnentenkartei beschlagnahmen und manchmal alle Kioske der Stadt nach Blatt absuchen. – August Kühn: Die Affären des Herrn Franz. Wer prozessiert da wohl? Richtig geraten. Weltkreis Verlag … Freizeit 81 (Zeitung autonomer Gruppen in München). In mehreren Münchner Buch-
handlungen beschlagnahmt (auch wegen Aufforderung zur Gewalt und Verletzung des Rechts
am eigenen Bild) … Harold Robbins: Goodbye Janette. C. Bertelsmann Verlag. Beschlagnahmt in München. — Gaiser/Voth/Würz (Hg.): Milchsilber. Eine schwule Anthologie. Verlag Rosa Winkel. Beschlagnahmt in München. — Kasimir Dukahz: Knabenliebe. Melzer Verlag. Beschlagnahmt in München. — Peter Schult/Olaf Stüben: Ich liebe Jungs. Selbstverlag. Beschlagnahmt in München. — Grafiken einer Ausstellung aus dem Buch ‘Sumpffieber’, Medizin für schwule Männer. Verlag Rosa Winkel. Beschlagnahmt in München. — J.R. Gomez: Massimissa oder die Lust der Freiheit. Rowohlt Taschenbuch Verlag. Beschlagnahmt in München. — Nancy Friday: Traumland der Lust. Sexuelle Phantasien der Männer. Scherz Verlag. Beschlagnahmt in München. — Will Mc Bride: Zeig mal. Ein Aufklärungsbuch. Jugenddienst Verlag. Beschlagnahmt in München. — Günther Amendt: Sex Buch. Weltkreis Verlag. Beschlagnahmt in München …“4

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Karikatur von Gerhard Seyfried

Siehe auch „Alternative Medien“, „CSU“ und „Medien“.


1 Der Spiegel 4 vom 25. Januar 1982, 163; siehe „Wahre Fülle“ und „Sturm am Kanal“ von Karl Stankiewitz.

2 Hella Schlumberger, Türkenstraße. Vorstadt und Hinterhof. Eine Chronik erzählt, München 1998, 266.

3 Siehe „Geblendeter Sheriff“ von Karl Forster.

4 Literatur und Zensur … gehören doch zueinander wie Teufel und Weihwasser, Lollar/Hamburg/Bensheim/Frankfurt/Heidelberg, September 1982, 19 f.

5 Literatur und Zensur … gehören doch zueinander wie Teufel und Weihwasser, Lollar/Hamburg/Bensheim/Frankfurt/Heidelberg, September 1982, 7.