Flusslandschaft 1985

Bürgerrechte

Am 14. Februar 1981 beschlossen Bürgerinitiativen, am 28. Februar eine Großdemonstration gegen das Atomkraftwerk Brokdorf in der Wilstermarsch durchzuführen und riefen öffentlich zur Beteili-
gung auf. Der Landrat erließ ein Verbot der Demonstration mit der Begründung, dass es zu un-
friedlichen Aktionen kommen könne. Der Widerspruch gegen das Verbot löste einen Rechtsstreit durch die Instanzen bis zum Bundesverfassungsgericht aus, das am 14. Mai 1985 zu einer grund-
sätzlichen Entscheidung kommt, die als „Brokdorf-Entscheidung“1 in die Geschichte eingeht.2

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Am 6. September findet die ll. KSZE-Nachfolgekonferenz in Madrid statt (KSZE = „Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“). Der Münchner Rechtsanwalt Hans-E. Schmitt-Ler-
mann, der zahlreiche vom Berufsverbot betroffene Menschen vertritt, wirbt am Dienstag, 18. März, im Löwenbräukeller in einer Rede dafür, das die Aktivistinnen und Aktivisten in den Initiativen gegen Berufsverbote sich mit der Friedensbewegung enger zusammenschließen.4

Am 28. Juni durchsuchen Landeskriminalamt (LKA) und Polizei sechs Wohnungen, eine Drucke-
rei und den Infoladen in der Breisacherstraße 12 in Haidhausen.5

Die bereits seit den 70er Jahren praktizierte Rasterfahndung findet Eingang in die Strafprozess-
ordnung. Dies bereitet Bürgerrechtlern große Sorgen. Am 5. Juli verschärft die Bundesregierung das Demonstrationsstrafrecht. Am 23. Juli dagegen bestärkt das Bundesverfassungsgericht noch einmal die demokratische Bedeutung der Versammlungsfreiheit in der „Brokdorf-Entscheidung“.

Am 4. Juni 2000 berichtet das Magazin Focus, „dass Siemens regelmäßig bis 1985 den Zentral-
rechner ‘S4000’ der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) des MfS gewartet habe.“6

Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof wird im November der Berufsverbotsprozess des DFU-Landesvorsitzenden Gerhard Bitterwolf verhandelt. Seit 1974 kämpft Bitterwolf darum, als Grundschullehrer tätig sein zu dürfen. Rechtsanwalt Hans-E. Schmitt-Lermann erinnert sich am 17. Januar 2021: „Der ‚Vorsitzende‘ war Dr. Dieter Bosch (SPD), der wie nicht wenige Alibi-Sozial-
demokraten an unionsdominierten Gerichten die CSU-ler rechts zu überholen versuchte. Ich ver-
bündete mich meist mit kraft Gespürs für historische Gebrochenheit souverän gewordenen Alt-
konservativen kurz vor der Pensionierung.“7 Ein kleiner Ausschnitt aus dem Sitzungsprotokoll: „… Klägervertreter Schmitt-Lermann: Eine negative Entscheidung läge so weit ab von der politischen Normallage, dass sie weiterhin kaum akzeptiert würde und einen Polarisierungseffekt hätte. In den unionsregierten Ländern hätte sie gleichzeitig einen Lawineneffekt, denn in der DFU gibt es viele und z.T. hochgeehrte Professoren und Beamte. Beklagtenvertreter: Von wem hochgeehrt? Kläger-
vertreter: Nun z.B. hat der DFU-Funktionär und ‚Vater der bundesdeutschen Gefängnisfürsorge‘ Heinz Kraschutzki vom Bundespräsidenten das Verdienstkreut 1. Klasse bekommen. Beklagten-
vertreter: Von Gustav Heinemann? … Aha!! Vorsitzender Dr. Bosch: Meine Herren, wir sitzen hier nicht über den verstorbenen Gustav Heinemann zu Gericht. Bitterwolf: Freut mich zu hören …“

(zuletzt geändert am 26.1.2021)


1 Beschluss des Ersten Senats vom 14. Mai 1985, Az. 1 BvR 233, 341/81.

2 Siehe „Das Recht der Arbeitnehmer auf Protest“ von Jürgen Seifert.

3 Berufsverbot für die Friedenstaube. Dokumentation einer Veranstaltung, München (1985), 1.

4 Siehe „Nach Madrid des Friedens wegen“ vom Hans-E. Schmitt-Lermann.

5 Siehe „Die langen Finger des LKA“.

6 Geheim 2 vom 30. Juni 2000, 26.

7 Siehe „Schuldvorwurf friedliche Koexistenz“ vom Hans-E. Schmitt-Lermann. (DFU = Deutsche Friedensunion)

8 2. Verhandlungstag am 6. November 1985 vor dem BayVHG, Manuskript Sammlung Hans-E. Schmitt-Lermann.