Flusslandschaft 1987

Frieden/Abrüstung

„16. Januar: Anhänger der Friedensbewegung beginnen um 10 Uhr auf dem Rotkreuzplatz mit einer Mahnwache für Frieden und Abrüstung. Abwechselnd soll 24 Stunden lang für den Frieden demonstriert werden.“ Auf dem eingerüsteten Brunnen sind Transparente aufgespannt: „Nein zu Star War! Nein zur WAA!“ und „Bunkerbau = Kriegsvorbereitung“.1

„16. Februar: Vor dem Hilton-Hotel wollen rund 40 Demonstranten auf ein Seminar aufmerksam machen, das für diesen Zeitpunkt bereits abgesagt war. Manager aus verschiedenen interessierten Branchen sollten dort ursprünglich von einem amerikanischer Experten über neue Entwicklungen in der U-Boot-Kriegführung unterrichtet werden. Die Demonstranten fordern, München müsse zur ‚Kriegstechnologie-Seminar-freien Zone’ werden.“2

15. März: „Verschiedene Gruppierungen der Friedensbewegung beginnen auf dem Stachus mit einer 48stündigen Mahnwache gegen Atomrüstung und für Rüstungsstopp. Bei andauernd kaltem und nassem Wetter finden die Veranstalter wenig Resonanz. Mitteilung des Chronisten, Fotos, Bei-
lagen.“3 Eine weitere Mahnwache findet am 17. März statt.

Das Motto des Ostermarschs mit 10.000 Teilnehmern am 18. April lautet: „Nein zu WAA und Weltraumrüstung! Für eine neue Politik – Abrüstung jetzt!“

Am 20. Juni startet die Initiative Sportlerinnen und Sportler für den Frieden – gegen Atomrake-
ten
in Mainz mit ihrer „Friedensstafette ’87“. Am 27. Juni treffen die SportlerInnen im Hirschgar-
ten in Neuhausen ein. Bürgermeister Hahnzog empfängt sie gegen Abend im Olympiapark, wo sie bei einem Open-air-Fest gefeiert werden. Am nächsten Morgen geht es weiter Richtung Farchant und Garmisch-Partenkirchen. Ziel der Stafette: Die Zugspitze.

Am 1. September veranstaltet der DGB-Kreis München im Pschorrkeller an der Theresienhöhe 7 den Antikriegstag. Es spricht Dr. Alfred Mechtersheimer.4

„13. September: Mit einer Kundgebung und Informationsständen auf dem Marienplatz demon-
strieren mehrere Friedensinitiativen für ein ‘Europa ohne Atomwaffen’. Die Aktion bildet den politischen Höhepunkt des ‘Olof-Palme-Friedensmarsches’ in München. Vor den rund 300 Kundgebungsteilnehmern betont Bürgermeister Hahnzog als Schirmherr der Münchner Olof-
Palme-Aktion, damit wir alle glücklich in Frieden ohne Angst leben könnten, bedürfe es großer Anstrengungen angesichts der menschenverachtenden Waffenarsenale. Der tschechoslowakische Ex-Langstreckenläufer Emil Zatopek wirbt in einer kurzen Ansprache für die Verständigung zwischen den Völkern.“5

Seit 1987 existiert das Münchner Friedensbündnis mit rund vierzehn Einzelgruppen; in ihm befinden sich auch Teile der ehemaligen Bürgerinitiative für Frieden und Abrüstung (BIFA). — Am 11. Oktober findet das „Friedensfest“ mit Infoständen, Kultur und Kinderprogramm im Hirschgarten in Nymphenburg statt.





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Die Stadt München sollte sich nicht beschweren. Sie hat kriegsverherrlichende Kriegerdenkmäler in Hülle und Fülle. Die Spätverweigerer-Gruppe München und die Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsgegnerInnen planen einen Kontrapunkt zum offiziellen Heldengedenken. Am 14. November ist vor der Feldherrnhalle ein Transparent aufgespannt mit der Aufschrift „DEN DE-
SERTEUREN“. Unter ihm ist ein Denkmal für Deserteure zu sehen. Geschaffen haben es Stefan von Reiswitz und die SteinmetzInnen Barbara und Karl Oppenrieder. Es spricht „Spätverweigerer“ Rudi Seibt. Jennifer Minetti trägt das Gedicht „Der Soldat von La Ciotat“ vor, das Bert Brecht 1928 schrieb.7 Nach einer mehrjährigen Auseinandersetzung mit dem Münchner Stadtrat widersetzt sich dieser der Aufstellung des Steinobelisken. Im Jahre 1993 holen die Initiatoren das Denkmal schließlich nach Mannheim.

Der Export deutscher Waffen in alle Welt boomt. Anfragen an die zuständigen politischen Instan-
zen erhalten die Antwort, „Angaben zu Rüstungsexporten“ vertrügen „nur ein begrenztes Maß an Publizität“. Exportkontrollgesetze werden nur lasch angewendet. Kommt aus unerfindlichen Grün-
den ein schmutziges Exportgeschäft ans Tageslicht der Öffentlichkeit, drückt die Justiz ein Auge zu. „… Im November 1987 verurteilte ein Gericht den ehemaligen Vizepräsidenten des Polizeiprä-
sidiums Oberbayern, Willi Schmutterer, wegen versuchten Verstoßes gegen das Kriegswaffenkon-
trollgesetz zu zehn Monaten Haft mit Bewährung und 10.000 Mark Geldbuße. Das Gericht hielt den Beamten für schuldig, die Lieferung von 600 Maschinenpistolen und 125 Gewehren an den Irak vermitteln zu wollen. Dem Urteil zufolge handelte Schmutterer ‚im Auftrage seiner Dienst-
herren, die Beziehungen zwischen dem Irak und der Bundesrepublik zu verbessern’. Seine Tätig-
keit als Kontaktmann bei Bund und Freistaat Bayern sei ‚nicht nur geduldet, sondern erwünscht gewesen’ …“8

„Bunkerbau wird fortgesetzt – Gegen die Stimmen der SPD und der Grünen hat eine Stadtrats-
mehrheit von CSU, FDP und USD die Fortsetzung des am 11. Dezember 1985 gestoppten Bunker-
baus beschlossen. 25.000 Bunkerplätze gibt es schon in München, 5.000 sind im Bau und weitere 5.000 bereits genehmigt. Zukünftig sollen nun alle Tiefbauprojekte als ‚Mehrzweckanlagen’ ge-
baut, bzw. umgebaut werden. Als Pilotprojekt will die Stadt als erstes den Straßentunnel Landshu-
ter Allee und den U-Bahn-Abschnitt Stiglmaierplatz-Rotkreuzplatz umfunktionieren. 11.500 Bun-
kerplätze sollen dort entstehen. Kosten pro Platz: 1.000 DM. Von verschiedenen Organisationen und Initiativen wird dieser Bunkerbau als Kriegsvorbereitung gewertet.“9

Der 1929 geborene Physiker Prof. Dr. Hans Peter Dürr, Direktor des Münchner Max-Planck-Insti-
tuts für Physik und Astrophysik
erhält in Anerkennung seiner fundierten Kritik der „Strategischen Verteidigungsinitiative“ des US-amerikanischen Präsidenten Reagan und seiner Arbeit, hochent-
wickelte Technologien für friedliche Zwecke nutzbar zu machen, den Right Livelihood Award, den alternativen Nobelpreis. Dürr sitzt im Vorstand von Greenpeace, engagiert sich bei David gegen Goliath (DaGG), hat für die DaGG am 8. Oktober des vergangenen Jahres auf einem Leiterwagen 200.000 Unterschriften gegen die WAA Wackersdorf zur Bayerischen Staatskanzlei gebracht, agiert auf Friedens-Foren oder bei den regelmäßigen „Pugwash“-Konferenzen.10 Nach der Quan-
tentheorie wäre, wie Dürr weiß, „davon auszugehen, daß die Katastrophen, die möglich sind, im Prinzip auch passieren“. Daraus folgt für ihn: „Wir dürfen uns nicht in immer mächtigere, komple-
xere und explosivere Systeme einlassen, bei denen der letztlich unvermeidliche Fehler zur großen Katastrophe führt.“11 Dürr fordert einen radikalen Wandel hin zu lebenswerten, ökologisch nach-
haltigen Lebensstilen. Auf die Frage, wieso er als Naturwissenschaftler sich politisch engagiert, antwortet er elf Jahre später im Bayrischen Fernsehen.12

In der Adventszeit veranstaltet die Schwabinger Friedensinitiative eine Mahnwache am Sieges-
tor.13

Am 8. Dezember unterzeichnen die Regierungen der Sowjetunion und der USA die Intermediate Range Nuclear Forces-Verträge (INF) zur Vernichtung aller landgestützten Flugkörper mit kürze-
rer und mittlerer Reichweite (500 bis 5.500 Kilometer). Die Großdemos der vergangenen Jahre haben die politische Stimmung geschaffen, die diesen wichtigen Abrüstungsschritt ermöglichen. Erst der US-amerikanische Präsident Trump kündigt am 1. Februar 2019 die Verträge.

Siehe auch „Religion“ und „Denkmal für Deserteure: Monument verhöhnter Rechtsordnung“ von Brigadegeneral Zedler.

(zuletzt geändert am 23.2.2022)


1 Süddeutsche Zeitung 11/1987, 1; Stadtchronik, Stadtarchiv München. Fotos: Stadtarchiv Standort ZB-Ereignisfotografie-Politik-Demonstrationen.

2 Stadtchronik, Stadtarchiv München; Süddeutsche Zeitung 39, 1, 7; vgl. Spion. Zeitung für München 53 vom März 1987, 4.

3 Stadtchronik, Stadtarchiv München. Fotos: Stadtarchiv Standort ZB-Ereignisfotografie-Politik-Demonstrationen.

4 Oberstleutnant a.D. Mechtersheimer versteht sich seit den Neunziger Jahren als »Theoretiker und Praktiker des nationalen Befreiungskampfes für ein neues Deutschland«, leitet seit 1995 die »Deutschlandbewegung« und wird zu einem einflußreichen Stichwortgeber der »Neuen Rechten«.

5 Stadtchronik, Stadtarchiv München; Süddeutsche Zeitung 210, 1, 24.

6 Foto: Gustl Dittrich

7 Siehe zwei Leserbriefe aus einer Fülle von Zuschriften „Denkmal für Deserteure“.

8 Herbert Wulf: „Das Geschäft mit dem Tod“ In: Metall. Zeitung der Industriegewerkschaft Metall 3 vom 10. Februar 1989, 8 f.

9 Münchner Lokalberichte 21 vom 17. Oktober 1987, 1.

10 Siehe die Dankesrede von Dürr am 9. Dezember unter www.wissenschaft-und-frieden.de/seite.php?artikelID=0742.

11 www.spiegel.de/spiegel/print/d-13527987.html

12 Siehe „Ich habe mich dort aus zweierlei Gründen eingemischt …“ von Hans Peter Dürr.

13 Siehe „Friedensinitiative Schwabing gibt nicht klein bei“.