Flusslandschaft 1988
CSU
Staatsbesuche Ende Januar: Franz Josef Strauß besucht nicht nur Moçambique und Südafrika,
er taucht auch im so genannten Homeland Bohputhatswana und in Namibia auf. Schwarze Süd-
afrikaner werden mit Gewalt in diese „Homelands“ umgesiedelt. Und in Namibia, der ehemaligen deutschen Kolonie Südwestafrika, herrscht eine von Südafrika eingesetzte Regierung, die von keinem Staat der Welt, nicht einmal von den USA, anerkannt wird. 1971 hat der Internationale Gerichtshof die südafrikanische Verwaltung in Namibia für völkerrechtswidrig erklärt.1
Eine neue Dienstanweisung vom 18. Januar geht allen Referaten und Abteilungen des Finanzmi-
nisteriums zu: „Ministerpräsident Strauß hat zur ‚Richtlinie der Politik’ erklärt, dass alle Angrif-
fe gegen die Staatsregierung, einzelne Ressorts oder ihnen nachgeordnete Behörden in der Presse unverzüglich zurückzuweisen sind. Ab sofort ist deshalb wie folgt zu verfahren: In jedem Einzelfall eines Presseberichtes (Zeitungen, Rundfunk, Fernsehen) mit einem Angriff, Vorwürfen oder auch nur negativen Bemerkungen von welcher Seite auch immer, über das Finanzministerium oder eine dem Finanzministerium nachgeordnete Behörde ist dem Pressereferat seitens des betroffenen Re-
ferats von sich aus, ggf. nach telephonischer Besprechung mit dem Pressereferenten unverzüglich (in der Regel am selben Tag) ein schriftlicher Entwurf einer Stellungnahme (in der Regel Entwurf eines Leserbriefs) vorzulegen.“2 Auch im Innenministerium wird ein ähnliches Rundschreiben verschickt.
»Ansonsten … erklärte Bayerns Kultusminister Hans Zehetmair den oberbayerischen Bezirksver-
bänden des Wehrpolitischen Arbeitskreises der CSU: ,Friedfertigkeit als Gesinnung garantiert allein noch lange nicht den Frieden. Wer den Frieden nur will oder wünscht, hat ihn noch lange nicht. Friedenssicherung und Verhütung eines Krieges sind bei der heutigen Weltlage keine Frage des Gefühls, sondern eine Frage des Verstandes.‘ Kapiert? Abtreten!»3
40 Jahre CSU sind eine Erfolgsgeschichte. Höhen und Tiefen hat die Partei erlebt. Wenn es beson-
ders tief wurde, hat sie sich wie weiland Münchhausen selbst aus dem Sumpf herausgezogen. Die Geschichte der bayrischen Union erzählt von glasklaren Positionen, von entschlossener Haltung und von heroischen Taten.4
„Fritz Pirkl, Sprecher der CSU im Europaparlament und Vorsitzender der Christlich-Sozialen Ar-
beitnehmerschaft (CSA), hat kein Verständnis für seinen Parteivorsitzenden Franz Josef Strauß. Statt dessen äußerte er in einem Brief ‚herbe Kritik‘ an dessen Plan einer Mineralölsteuerbefreiung für Flugbenzin, durch die Pirkl eine ‚schädliche Wählerwirksamkeit … zugunsten bestimmter Per-
sonenkreise‘ befürchtet. Strauß hat diese Vorwürfe als ‚Neidkomplexe‘ und ‚fortschrittsfeindliche Grundhaltung‘ zurückgewiesen. Der Kommentar des Chefredakteurs des ‚Münchner Merkurs‘, Werner Giers, der sonst zu den Strauß-Freunden gehört: ‚Sein ausgeprägter politischer Instinkt wird offensichtlich narkotisiert, wenn er steuerpflichtiges Flugbenzin riecht.‘“5
Auf den Rasen neben der Baustelle zum „Straußoleum“ – hier entsteht die neue Staatskanzlei – hat Beate Passow einen vergoldeten Wachturm errichtet.6
„Wickert POM – kommt! Jede Nacht, pünktlich, fleißig, zuverlässig. Um zu überprüfen, dass wir unseren Biergarten (bis 22.00 Uhr) sowie Kneipe und Theater (bis 1.00 Uhr) rechtzeitig zumachen. Falls nicht, hat er seinen dicken Quittungsblock dabei, mit dem er Stoltenbergs Steuerreform allei-
ne finanzieren will. So hofft der ehrliche, aufstrebende Polizeiobermeister Wickert, in wenigen Jahren im Sessel seines heutigen Chefs Gaupeter zu sitzen. Dann darf er auch mit dem Hubschrau-
ber ins Büro fliegen und mit Blaulicht zum Brotzeitholen fahren. – Also, liebe Gäste, geht‘s bitte rechtzeitig nach Hause.“7
Am 3. Oktober stirbt Franz Josef Strauß. Vor dem Prinz-Carl-Palais in der Maxvorstadt bilden sich in den folgenden Tagen lange Schlangen trauernder Mitbürgerinnen und Mitbürger, die sich in das dort aufliegende Kondolenzbuch eintragen wollen. Für den 6. Oktober hat der bundesweite „Kon-
gress der kritischen Tiermediziner“, der in diesen Tagen in der Münchner Universität tagt, beim DGB die alternative Stadtrundfahrt „Das andere München“ geordert. Neben dem Busfahrer sitzt Richy Meyer, der die Gäste mit Hilfe eines Mikrophons über die angefahrenen Sehenswürdigkeiten informiert. Als der Bus am Prinz-Carl-Palais vorbeifährt, setzt er sich eine Franz-Josef-Strauß-
Maske auf und imitiert den Verstorbenen mit rhythmischen Körperbewegungen. Bevor die Trau-
ernden die blasphemische, geschmack- und pietätlose Vorführung in ihrer ganzen Tragweite be-
greifen, ist der Bus schon in die Ludwigstraße eingebogen.78 – Nachrufe in den Medien der soge-
nannten Linken lassen ein wenig Wehmut aufkommen; einer ihrer profiliertesten Gegner lebt nicht mehr.9
7. Oktober: „Am Rande der Trauerfeierlichkeiten für den verstorbenen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß kommt es zu Demonstrationen der Gegner der Apartheidpolitik Südafrikas und gegen den Staatspräsidenten der Südafrikanischen Republik Botha, der zur Trauerfeier für Strauß nach München gekommen ist. Rund 200 Menschen protestieren im Rahmen einer Mahnwache am Stachus gegen die Anwesenheit Bothas und seines Außenministers bei der Trauerfeier. Gegner der südafrikanischen Politik aus den Reihen der Grünen versuchen zweimal, am Rathaus Transparente gegen Südafrika aufzuhängen, die Transparente werden jeweils von der Polizei entfernt.“10 – Beim Marsch des Trauerzuges durch die Ludwigstraße meint ein Zuschauer: „De Rautn aufm Sargtuch san ja vui z’kloa, der schaut ja aus wiara vapackta Leberkas’ vom Dallmayr.“11 – Joseph Kardinal Ratzinger in seinem Pontifikalamt zum Tod von F.J. Strauß: „Wie eine Eiche ist er vor uns gestan-
den, kraftvoll, lebendig, unverwüstlich, so schien es. Und wie eine Eiche ist er gefällt worden.“12
Unzufriedenheit allerorten: „Die bayerische Staatsflagge besteht seit jeher aus zwei waagrecht an-
geordneten Stoffbahnen, nämlich einer weißen (oben) und einer blauen (unten). Dass nach dem letzten Krieg daneben auch ein weiß-blau gerautetes Fahnentuch als ,gleichberechtigt‘ zugelassen wurde, war ein heraldischer Missgriff. Das Rautenmuster gehört auf den Wappenschild, wie ihn ursprünglich die Grafen von Bogen auch geführt haben, aber keinesfalls auf die Fahne. (Andere Länder, die ebenfalls das Rautenmuster im Wappen führen, wie z.B. das Fürstentum Monaco, ha-
ben sich wohlweislich vor dem Fehler gehütet, es in der Fahne zu verwenden.) Das gerautete Tuch ist herkömmlicherweise eine Faschingskleidung. Als solche trägt sie, wie jeder Münchner weiß, der Hanswurst beim Schäfflertanz. Besonders peinlich wirkt natürlich die Verwendung des Rautentu-
ches als Sargdecke, wie sie leider auch beim Staatsbegräbnis für den bayerischen Ministerpräsi-
denten zu beobachten war. In diesem Fall hätte – wie bei allen ernsten und feierlichen Anlässen – selbstverständlich nur die traditionelle zweibahnige Landesflagge verwendet werden dürfen. – Walter Müller, Implerplatz 2, 8000 München 70“13 — Auch Carl Amery zieht ein resigniertes Re-sümee.14
In den folgenden Jahren wird dem Innenminister und späteren Ministerpräsidenten Edmund Stoiber immer wieder ein von ihm im November getätigtes Zitat vorgehalten. Stoiber hat angeblich davor gewarnt, bei einem unveränderten Asylrecht entstehe in der BRD eine „durchmischte und durchrasste Gesellschaft“. Das Präsidium des PEN sieht darin einen Appell an Rassismus und Fremdenhaß. Stoiber kann dieses an ihm klebende Pickerl nie mehr richtig loswerden.15
Siehe auch „Schwule/Lesben“.
(zuletzt geändert am 18.1.2021)
1 Vgl. Jürgen Leinemann: „Das macht ihm keiner nach“ in Der Spiegel 5 vom 1. Februar 1988, 29 ff.
2 Süddeutsche Zeitung vom 7. Mai 1988. Siehe „Die bayerische Staatsregierung zensiert, beschlagnahmt, verbietet“.
3 päd. extra & demokratische erziehung 5 vom 13. Mai 1988, Köln, 41.
4 Siehe „Die Geschichte der Christlich-Sozialen Union“ von Jörg Metes.
5 Deutsche Volkszeitung/die tat 18 vom 6. Mai 1988, Düsseldorf, 8.
6 Vgl. tendenzen. Zeitschrift für engagierte Kunst 164 vom Oktober 1988, 60.
7 Oktober-Programm des Hinterhof-Theaters im Wirtshaus am Hart, Sudetendeutschestraße 40
8 Siehe dazu auch „Betreff: Streiflicht/Benennungen nach Herrn Ministerpräsidenten Dr. h.c. Franz Josef Strauß“ von Heinz Jacobi.
9 Siehe „Buntspecht im Mainstream“ von Achim Bergmann und „Gottvater als Holzfäller“ von Norbert Seitz.
10 Stadtchronik, Stadtarchiv München; Süddeutsche Zeitung 233, 1, 20.
11 Zit. in Tilman Spengler: „Die Virtuosität zu trauern. Franz Josef Strauß und die Seinen – Beobachtungen bei einem Staatsbegräbnis“ in Die Zeit 42 vom 14. Oktober 1988, 67.
12 Zit. in www.zeit.de, 28.9.2006.
13 Süddeutsche Zeitung 251 vom 29./30. Oktober 1988, 151.
14 Siehe „Die Achse München – Palermo“ von Carl Amery.
15 Siehe „SZ-Redakteur stellt klar: Das ‚Rasse’-Zitat gibt es gar nicht“ von Peter Schmalz.