Flusslandschaft 1988
Rechtsextremismus
Rolf Eckart meint, dass der Verfassungsschutzbericht für 1986 die Gefahr von rechts verharmlost.1
Um zu verhindern, dass der mehrfach vorbestrafte Rechtsextremist Michael Kühnen bei der Ver-
sammlung einer neonazistischen Gruppe in einer Gaststätte in Siegertsbrunn verfassungswidrige Propaganda betreiben kann, nimmt die Polizei den 32jährigen am 14. Mai in Unterbringungsge-
wahrsam. Von seinen Anhängern, die am Abend gegen diese Maßnahme vor dem Polizeipräsidium demonstrieren und sich anschließend im Festzelt der Giesinger Festwoche durch neonazistisches Gebaren hervortun, werden 27 vorübergehend in Gewahrsam, ein 18jähriger aus Österreich in Haft genommen.
Immer öfter beschimpfen etablierte Politiker ihre Gegner mit den Worten „Links-“ oder „Rechtspo-
pulist“. „Linkspopulisten“ sind für sie diejenigen, die die tradierte Parteienlandschaft als überholt kritisieren: Parteien werden von Lobbygruppen gesponsert, schielen auf Wahlergebnisse und ge-
hen um taktischer Vorteile Willen faule Kompromisse ein. Die großen Probleme der Zeit führen sie keiner Lösung zu. Nicht zuletzt ist für sogenannte Linkspopulisten der Kapitalismus als struktur-
bestimmendes Moment der Ökonomie verantwortlich. Die Konkurrenz der Kapitalien verlangt von jedem Akteur auf dem Markt, dass er bei Strafe des eigenen Untergangs auf Kosten anderer wächst. Es gibt nur die Alternative Wachsen oder Schrumpfen. Insofern sind Nutznießer des Kapitalismus, soweit sie keine Regeln brechen, die in der Gesellschaft vereinbart wurden, für ihr Agieren unter den Bedingungen der strukturellen Gewalt individuell nicht zu verurteilen. „Links-
populisten“ wollen weg von der formalen Demokratie zur wirklichen Demokratie. Bei sogenannten Rechtspopulisten erscheint das Weltbild einfacher. Für sie haben verantwortungslose, unmorali-
sche, korrupte und parasitäre Politiker die staatlichen Futtertröge gekapert. Unbescholtene Bürger quälen sie mit einem bürokratischen Monstrum und leben auf Kosten der Allgemeinheit. Schließ-
lich mündet die Ablehnung einzelner Individuen in ein sehr unkonkretes Gefühl des „Wir, die nor-
malen Leute“ gegen „Die, die Eliten, die da oben“. Den „Volksverrätern“ rufen sie zu: „Wir wollen unser Land zurück!“ Der Blick auf eine Oligarchie bleibt verschwommen, der Blich auf Strukturen fällt weg. Rechtspopulisten verstehen sich als Antidemokraten; sie streben zum autoritären Staat, der dekretiert, wer zum „wahren“ Volk gehört und wer nicht. So verhalten sich Mehrheiten wie verfolgte Minderheiten, aber mit Alleinvertretungsanspruch und verfolgen ihre Ziele im Namen scheinbar demokratischer Ideale. So scheitert beinahe jede rationale Argumentation gegen Rechts-
populismus. Einzig die Infragestellung des Alleinvertretungsanspruchs bietet eine Chance für einen Streit mit offenem Ausgang. Dann steht begründungslose Behauptung gegen begründungs-
lose Behauptung. – „Blickt man auf diese Entwicklung zurück, so kann man abschließend schwer-
lich leugnen, dass Crèvecoeur recht behalten hat. Er hat als erster vorausgesagt, dass ‚der Privat-
mensch mit dem Bürger fertigwerden wird, dass die politischen Grundsätze verfliegen werden‘, dass jedermann sagen wird: ‚Der einzige Gegenstand meiner Wünsche ist das Glück meiner Fami-
lie‘, dass man sich im Namen der Demokratie voll Wut gegen die ‚großen Herren’ wenden wird, die es sich herausnehmen, mehr vom Leben zu erwarten, und dass man im Namen des ‚gemeinen Mannes‘ oder unter Berufung auf unklare liberalistische Anschauungen die Tugenden des Öffent-
lichen, die fraglos nicht mit denen des Familienvaters identisch sind, als Laster ‚entlarven‘, als ‚Ehrgeiz‘ und ‚Machtwillen‘ denunzieren wird, um am Ende noch diejenigen als ‚Aristokraten‘ zu verleumden, denen man doch selbst die Freiheit verdankt.”2
(zuletzt geändert am 10.3.2019)
1 Siehe „Neun Thesen zur Gefahr von rechts“ von Rolf Eckart.
1 Hannah Arendt: Über die Revolution, München 1963, 181. Siehe dazu auch „Der ideelle Gesamtpopulist“ von Norbert Seitz.und „Semantische Raubzüge“ von Carl-Wilhelm Macke.