Flusslandschaft 1989

Rechtsextremismus

Der in der Paosostraße in Pasing residierende Chef der Deutschen Volksunion(DVU), Dr. Gerhard Frey, lässt im Januar durch die Bundespost einen Brief zustellen, auf dessen Vorderseite ein Bran-
denburger Tor mit Stempel „Erst Deutschland … dann Europa“ und der Zusatz „Persönliche Zu-
stellung durch Ihren Postzusteller“ zu sehen ist. Manche Postbeamte müssen sich als Faschisten beschimpfen lassen. Manche Postbeamte weigern sich, diesen Brief auszuliefern. Eine mit 60 Pfennigen zu frankierende Antwortkarte wird häufig unfrankiert an Frey zurückgeschickt. Für die Post ein Dilemma: Wer zahlt? Zudem wird deutlich, dass die Post bei der Bewertung von politi-
schen Symbolen auf Briefsendungen mit zweierlei Maß misst.1

Am 2. Februar verhindern etwa hundert Antifaschisten ein Republikaner-Treffen.

Wer „Querfronten“ behauptet oder propagiert, bestreitet einer ursprünglichen Frontziehung ihre Existenz. Motiv für diese Behauptung kann in der augenscheinliche Erfolglosigkeit des vergan-
genen politischen Engagements liegen, kann aber auch Ergebnis einer Analyse sein, die zu dem Schluss kommt, dass die Moderne ohne die alte Konfliktlinie auskommt. Ein klassisches Beispiel für die Querfront findet sich bei General Schleicher, der vor der Machtübergabe an die National-
sozialisten seine sehr kurze Kanzlerschaft auf ein Bündnis von Gewerkschaften, Reichswehr und „linken“ Nationalsozialisten des Strasser-Flügels bauen wollte. Querfront ist die eine Idee, den politischen Gegner zu benutzen die andere. Beide Ideen schließen sich nicht aus. Oft ist ein Resümee unmöglich. Wenn Rechtskonservative oder Rechtsextremisten Linksalternative oder Linksradikale zu einer Veranstaltung einladen, können manchmal aus den Nachbereitungen Andeutungen entnommen werden, ob die eigenen Absichten umgesetzt wurden. – Vom 16. bis
19. Februar veranstaltet der Gesamtdeutsche Studentenverband (GDS) und die Burschenschaft Danubia die „7. Bogenhausener Gespräche“ unter dem Thema „Die APO: Revolution und Happening“. Gerd Bergfleth, Georges-Batailles-Spezialist, trägt die „Theorie der Revolte“ vor.
Die Revolte als anthropologisches Ereignis richte sich gegen die Technokratie, die Revolution sei lediglich politisch zweckgebunden. Rainer Langhans unterscheidet in seinem Referat zwischen dem „männlich-patriarchalischen“ Zweig der sich politisch artikulierenden APO und der „weib-
lichen“ Kommunebewegung, der es um Änderung in den privaten Verkehrsformen ging. Reinhold Oberlercher, ehemals SDS Hamburg, findet, 1968 sei die erste wirkliche Weltrevolution gewesen, und kommt zum Schluss, der Kapitalismus selber sei die Revolution. Schließlich befürwortet Manfred Lauermann den Dialog zwischen Links und Rechts „über die Mitte hinweg“ und entdeckt „ein neues Bekenntnis zur nationalen Einheit“ auch bei führenden „Linken“. Die Veranstalter sind trotzdem resigniert: „Die 7. Bogenhauser Gespräche boten wieder einmal die erfrischende Ausein-
andersetzung mit Andersdenkenden, zeigten jedoch auch, dass das konservative Publikum (dem zeitweise auch Armin Mohler beiwohnte) völlig ratlos ist, wie es auf die Herausforderung der Kulturrevolutionäre reagieren soll. Kennzeichnend für viele der jungen Zuhörer: Sie selbst sind bester Beweis für den Schaden, den die Kulturrevolution von 1968 angerichtet hat. Hilflos versuchen sich einige in der Suche nach vorchristlichen Mythen von der ‚liberalistischen Kirche’ abzuwenden; nichts anderes als atheistisches Pfeifen im Dunkel der kulturellen und geistigen Entwurzelung. Die adretten Dandies und Yuppies, die ohne Pappi’s Protektion nicht aus ihrer BWL-Nickelbrille schauen würden, sehnen sich zurückgelehnt im Sofa nach Unterhaltung; Langhans erzählt etwas vom Puddingterrorismus der ‚Kommune 1’, Oberlercher hält eine Brandrede gegen das herrschende Parteiensystem, amüsant. Nein, diese Linken, faszinierend dieser politische Wille! Vielleicht wird sich der eine oder andere Zuhörer tatsächlich von diesem Beispiel hinreißen lassen und nach Abschluss des Staatsexamens einmal die Faust in der Tasche ballen und ganz feste an einen konservativen Gegenentwurf zur linksliberalen Okkupation der Gesellschaft denken, um dann mit der Beziehung ohne Trauschein in den verdienten Skiurlaub zu fahren … Dieter Stein.“2

Wie die Republikaner am 27. April in den von ihnen gemieteten Veranstaltungssaal im Mathäser am Hasenbergl in der Dülferstraße 16 gehen wollen, sitzen schon etwa achtzig Antifas da. Als der Hauptredner beginnen will, ertönen erste Zwischenrufe. Da schlägt der „republikanische Saal-
schutz“ zu.

Am 16. Mai konstituiert sich in Anwesenheit der Bundesgeschäftsführerin der REPs, Centa Hirsch, der Republikanische Hochschulverband (RHV). Die drei Sprecher sind Alexander Wolff, Hans-Ulrich Kopp und Alexander von Schrenck-Notzing, der Sohn von Caspar von Schrenck-Notzing, der 1970 die Zeitschrift „Criticon“ ins Leben rief.

„29. Mai: Das Kreisverwaltungsreferat verbietet eine für den 3. Juni angekündigte Kundgebung der rechtsextremen Deutschen Volksunion auf dem Marienplatz. Das Verbot wird damit begründet, dass die Polizei die Sicherheit in der Innenstadt bei einer solchen Veranstaltung nicht gewährlei-
sten könne. Die DVU legt beim Verwaltungsgericht Widerspruch ein. Zeitgleich ist auf dem nahe gelegenen Odeonsplatz eine Großdemonstration von Anti-Atomkraft-Gruppen angekündigt.“3 – „30. Mai: Das Verwaltungsgericht München bestätigt das vom Kreisverwaltungsreferat ausgespro-
chene Verbot einer Kundgebung der rechtsextremen Deutschen Volksunion am 3. Juni auf dem Marienplatz. Das Verwaltungsgericht stützt seine Entscheidung vor allem auf Warnungen der Polizei, dass die Sicherheit in der Innenstadt nicht mehr gewährleistet werden könne, wenn die DVU ihre Veranstaltung gleichzeitig mit einer Demonstration der Anti-Atom-Bewegung in un-
mittelbarer Nachbarschaft abhalten dürfe.“4 – Samstagvormittag, 3. Juni, 11 Uhr: Unter ohren-
betäubendem Lärm versucht Gerhard Frey von der DVU auf dem Sendlingertor-Platz seine xenophoben Tiraden unters Volk zu bringen. Etwa 2.000 Antifaschisten stehen etwa 200 DVU-
Anhängern gegenüber, getrennt von einem dichte Kordon von Polizisten. Frey bezeichnet die Protestler als „Mob“, „Verbrecher“ und „Gesindel“, woraufhin die Proteste zu einem ohrenbetäu-
benden Getöse anschwellen. Einundzwanzig protestierende Antifaschistinnen und Antifaschisten werden verhaftet. Die Polizei hat alle Hände voll zu tun, den Abzug der DVUler eine viertel Stunde nach 13 Uhr zu schützen. Alle drei Akteure, Veranstalter, Exekutive und Demonstranten, sind mit dem Veranstaltungsablauf zufrieden.5

Am 13. Juni versammeln sich 8.000 Republikaner in der Olympiahalle. Durch Milbertshofen de-
monstrieren 7.000 Antifaschisten bis zum BMW-Werk. Hier findet eine Abschlusskundgebung statt. Einige der Demonstranten ziehen im Anschluss zur Olympiahalle. Hier werden 19 von ihnen verhaftet.

„… Auf dem langen Fußweg von der U-Bahn-Station bis zur riesigen Olympiahalle tauchen dann immer mehr Menschen auf, wie man sie hier auch erwartet hat, in Trachtenanzügen, in Leder-
jacken, in blaßbeigen Anoracks und Trenchcoats. Die Photographen an den Eingängen zu der Halle stürzen sich sofort auf einen Prototyp von deutschem Nazi und bayerischen Provinzdimptl mit Lederhose, Trachtenhut und knallroter Biernase. Diese Photos werden dann in den Zeitungen erscheinen und die Leser in ihrem Weltbild beruhigen. Ja, das sind sie, die alten und die neuen deutschen Rechten, die Unbelehrbaren, the German Nazi. Aber dann im Foyer der Halle stimmen diese Bilder schon nicht mehr so eindeutig. Gegenüber den ersten Jahren seit der Existenz dieser stramm deutschen Partei hat sich der Anteil der Frauen unter den Sympathisanten spürbar erhöht. Alleine tauchen sie hier nicht auf, sie erscheinen immer noch als Accessoire der Männer. Aber lhre Zahl hat zugenommen, sie sind jung, schwärmen vom letzten Tina Turner-Konzert und passen überhaupt nicht in das Bild, das die Demonstranten, die auf Plakaten und Sprechchören ,Nazis raus’ fordern, sich von ihnen machen. Einen besseren Einstieg für seine Abschlußrede des Europa-
wahlkampfes der ,Republikaner’ kann sich Schönhuber gar nicht wünschen. Draußen der käm-
pfende Antifaschismus, drinnen in der Halle ,rechtschaffende deutsche Arbeiter und Handwerker … Die Chaoten da draußen, die Kinder der Großbourgeoisie, die Schicki-Micki-Linken, die Schwu-
len und Lesben, die werden mich nicht wählen am 18. Juni. Aber dieser Tag wird in die Geschichte Bayerns eingehen als der Tag der ,Republikaner’. 15 % der Bayern werden mich wählen.’ Außer seinen Fans in den Schönhuber-T-Shirts und mit den ,Republikaner’-Krawatten hier in der Olym-
piahalle … glaubt niemand daran, dass der notorisch hypertrophe Schönhuber mit dieser Prognose recht behalten würde … Immer wenn Schönhuber während seiner Wahlauftritte in der Olympia-
halle oder am Hasenbergl tief in die demagogische Kiste griff, brauste der Beifall besonders auf: ,Wir sind nicht das Sozialamt des Mittelmeers – In der Türkei gibt es auch kein kommunales Wahlrecht für Ausländer – 97 % der Asylanten sind Wirtschaftsasylanten – Wann steht die erste Moschee neben der Frauenkirche?’ nicht enden wollende johlende Zustimmung …“6

„Die rechtsextreme Partei ‘Die Republikaner’ (REP) erzielt in Bayern bei den Wahlen zum Europa-
parlament am 18. Juni mit 14,6 Prozent einen Spitzenwert — auf Kosten der CSU, die mit 45,4 Prozent eines ihrer schlechtesten Ergebnisse zu verzeichnen hat; REP mit Parolen und Slogans wie ‘Deutschland zuerst’, ‘Deutschland muss das Land der Deutschen bleiben — Ausländer sind Gäste’ und ‘Vorteile, die deutschen Spätaussiedlern den schweren Start in ein neues Leben erleichtern sollen, werden schamlos von Polen, Tschechen, Rumänen, Zigeunern und Angehörigen anderer Fremdnationalitäten ausgenutzt’ ist vor allem im bayerischen Oberland für viele zur durchaus wählbaren Alternative geworden, während die Partei im Bundesdurchschnitt ‘lediglich’ 7,1 Prozent der Stimmen erreicht.“7

Im Hasenbergl wählen fast ein Drittel der Wähler die REPs. In Obergiesing kommen die REPs auf 20,2 Prozent. Im Wahlbezirk 1715, wo sich das „Asylbewerberheim“ in der Untersbergstraße be-
findet, das die Bayrische Staatsregierung zur zentralen Anlaufstelle für Asylsuchende machen will, bekommen die REPs 31 Prozent. OB Georg Kronawitter meint über das geplante Durchgangslager am 4. August: „Jedes Haus, das dafür verwendet wird, fehlt auf dem Münchner Wohnungsmarkt. Alle Mieter müssen damit rechnen, dass die Mieten wieder schneller steigen.“ Die Schlagzeile des Münchner Merkur vom 8. August lautet: „Stoiber wirft OB Kronawitter ‚Hetze gegen Ausländer’ vor.“

„Auf die Frage nach dem großen Wahlerfolg der Republikaner bekennt ein Giesinger, es störten ihn ‘die Neger in den Straßen’. Er trägt den schönen altdeutschen Namen Guido Szul. Im Bayerischen Fernsehen beschwert sich gleichzeitig ein Italiener über die ‘vielen Ausländer’.“8

Hitler hatte vor 1933 erfolgreiche Auftritte vor Unternehmerverbänden, Schönhuber will vor einem Münchner Unternehmerklub sprechen.9

Am 15. Dezember erklingt im überfüllten Pschorrkeller an der Theresienhöhe 7 der Defiliermarsch. Franz Schönhuber zieht unter begeistertem Jubel ein. Das Bier fließt in Strömen. Die Begeisterung wird dadurch getrübt, dass es im Saale stinkt. Schönhuber meint später, es sei ein Buttersäure-
anschlag gewesen. Vor dem Bierkeller demonstrieren etwa dreihundert Menschen. Im Anschluss an ihre Kundgebung ziehen sie hinter dem Transparent „Diese Welt muss unser sein“ und mit Tafeln „Nie wieder GroSSdeutschland“ und „Keine imperialistische Wiedervereinigung“ von einem Großaufgebot von Ordnungshütern begleitet durch das Westend.


1 Siehe „Irriger Versand“.

2 Junge Freiheit. Deutsche Zeitung für Politik und Kultur 2 vom März/April 1989, 12.

3 Stadtchronik, Stadtarchiv München; Süddeutsche Zeitung 121, 1.

4 Stadtchronik, Stadtarchiv München; Süddeutsche Zeitung 122, 1, 10.

5 Siehe „Trotz Unterstützung von KVR und Polizei kein Erfolg der DVU“ und „Die DVU-Großkundgebung …“.

6 Carl-Wilhelm Macke, Die 90er Jahre — ein Haselnußjahrzehnt? in: links. Sozialistische Zeitung 231/232 vom Juli/August 1989, 16 f.

7 Robert Schlickewitz, Sinti, Roma und Bayern. Kleine Chronik Bayerns und seiner „Zigeuner“, 2008, www.sintiromabayern.de/chronik.pdf, 155.

8 Heinz Jacobi, Tod und Teufel. Polemiken. Der Bote Nr. 12. Die politisch-literarische Zeitschrift. Nachrichten aus dem Klassenstaat, München 1991, 290.

9 Siehe „Schönhuber rein – Schönhuber raus“.