Flusslandschaft 1992
CSU
Beim Pfingsttreffen der Sudetendeutschen Landsmannschaft spricht Bürgermeister Ude bei seinem Grußwort auch von den Verbrechen, die im deutschen Namen am tschechischen Volk verübt wurden. Dafür wird er ausgepfiffen, nieder geschrieen, es kommt zu Tumulten. In einer Erklärung dazu bezeichnet die CSU-Stadtratsfraktion Udes Erklärung als „peinlich und blamabel“. Siehe auch „Internationales“.
„Majestät fühlt sich beleidigt – Kritik an seiner kostbaren Person betrachtet Bayerns Ministerprä-
sident Max Streibl (CSU) als Majestätsbeleidigung und lässt sie unterbinden. In einem Pressege-
spräch kündigte er eine härtere Gangart gegen Journalisten an, die ihn kritisieren. Dabei erwähnte er ausdrücklich den Münchner Korrespondenten des »Donaukurier«. Darauf parierte Wilhelm Reißmüller, der Herausgeber dieses Ingolstädter Monopolblattes, aufs Wort. Einen Tag noch der Streibl-Rüge entließ er seinen Chefredakteur Erhard Heinzmann. Der Chefredakteur, der Wider-
worte gegen den Ministerpräsidenten ins Blatt gelassen hatte, musste unverzüglich seinen Arbeits-
platz räumen. Was mit dem Münchner Korrespondenten des »Donaukurier« geschehen wird, ist noch ungeklärt. Der Landesherr hatte auf einer Pressekonferenz sein allerhöchstes Missfallen kundgetan. Nachdem er allgemein die unkorrekte Berichterstattung des Pressevolkes angeklagt hatte, wandte er sich dem Korrespondenten des »Donaukurier« zu: »Da würde ich auch bei Ihnen einiges finden, was nicht stimmt.« Statt demütig zu schweigen, ärgerte der Korrespondent seinen Landesherren mit der Frage nach dem Anlass für eine solche Behauptung. Streibl reagierte ho-
heitsvoll-empört: »Ihre Frage beantworte ich nicht.«“1
Lobbyismus weht in den Parlamenten und es gibt keine Befangenheitsregeln. Abgeordnete meinen: Was für mich gut ist, ist für alle gut. „Freimütig berichten auch die CSU-Abgeordneten Albert Deß und Herbert Frankenhauser von ihrem Einsatz für nachwachsende Rohstoffe. Deß baut seit lan-
gem auf seinem 90-Hektar-Hof im oberpfälzischen Röckersbühl Raps an und wandte sich 1991 an den Abgeordnetenkollegen Frankenhauser. Der ist nicht nur Mitglied im Umweltausschuss, son-
dern auch Sonderbeauftragter bei der Münchner Mercedes-Filiale, Gegner von Tempolimits und »ideologischen Zwangsvorstellungen« vom Fünf-Liter-Auto. Gegen Rapsöl hatte Frankenhauser keine Einwände. Deshalb regte er nach seinem Gespräch mit Deß 1992 einen Modellversuch an, bei dem Mercedes-Taxen das Biodiesel erfolgreich erprobten. Sogar eine DIN-Norm für Biodiesel gibt es nun – gut für die Umwelt, gut für Mercedes-Benz, gut für Raps-Anbauer Deß. Frankenhauser spricht von einer »sinnvollen Wechselbeziehung«.“2
7. November. In der Süddeutschen Zeitung erklären am Tag vor der Berliner Großdemonstration gegen Ausländerfeindlichkeit Rosa-Sophie Freifrau zu Guttenberg und ihr Sohn Enoch Freiherr zu Guttenberg ihren Austritt aus der CSU: „In einer Zeit, in der in einem friedlichen Land Menschen getötet, verfolgt, verletzt und verunglimpft werden, in einem Land, in dem jüdische Friedhöfe und Gedenkstätten verwüstet werden (auch in Bayern), darf die Regierungspartei (CSU) nicht zuhause bleiben.“ Carl Wilhem Macke analysiert: „Da der Dirigent Enoch zu Guttenberg innerhalb Bayerns große Sympathie gerade in dem bildungsbürgerlichen Renomierklientel der CSU besitzt, ist sein Parteiaustritt auch ein symptomatisches Zeichen für die aktuelle Entwicklung am rechten Flügel des, mit Gramsci gesprochen, »konservativen Blocks der Partei«. – Die Guttenbergs sind Reprä-
sentanten eines wertkonservativen christlichen, immer auch heimattümelnden, aber nie wortradi-
kal populistisch agierenden Bürgertums, das in den vergangenen Jahrzehnten eine wichtige Rolle innerhalb der CSU-Machtstrategie gespielt hat. Ihm entstammten die mit dieser Partei eng verbun-
dene klerikal-konservative lntelligenz, fast das gesamte Führungspersonal des Freistaaates, viele der künstlerischen »Hofschranzen« und Meinungsmacher, insbesondere im »Bayerischen Rund-
funk«. Miteinander versippt, verschwägert und verfilzt, hatte dieses christ-soziale Bildungsbür-gertum in der Vergangenheit großen Anteil an der konservativen Dominanz fast aller akademischer und künstlerischer Institutionen des Landes. Es vermittelte zwischen Klerus und Staat, zwischen Kleinstadt-Honoratioren und dem Machtzentrum in München. Ohne Beziehungen zu diesem Bür-
gertum ist ein Aufstieg innerhalb der bayerischen Gesellschaft kaum denkbar. – Diese bislang tra-
gende Säule im CSU-Machtsystem scheint jedoch zu bröckeln, stellenweise zu brechen. Die »alte« aus der Nähe betrachtet keineswegs ausschließlich reaktionäre CSU, wie sie außerhalb Bayerns immer dämonisiert wurde, ist dabei, ein neues Profil zu gewinnen. Und dieses Profil ist nicht mehr schillernd wertkonservativ und sozial, »heimatverbunden« und weltoffen, traditionell und mo-
dern, sondern nur mehr eindeutig rechts-populistisch. Die Stabilität und Stärke eines rechten La-
gers außerhalb der CSU zwingt diese Partei heute zu einer neuen Standortbestimmung. – Tatsäch-
lich befindet sich keine andere der etablierten Parteien des deutschen politischen Systems in einer so programmatischen wie personellen Nähe zur »Neuen Rechten« im Umkreis der »Republikaner« wie die CSU. Die Grenzen zwischen den Programmen von CSU und »Republikanern« sind mittler-
weile so verschwommen, daß die eine Partei jeweils auf die Aussagen der anderen verweisen kann … Die im Landtag vertretenen Oppositionsparteien werden die sich am Horizont abzeichnende rechtsdemagogische Entwicklung der bayerischen Politik nicht verhindern können. Somit bleiben die Hoffnungen auf eine noch relativ intakte liberale Öffentlichkeit in den großen Städten, dissi-
dente Teile der Kirchen, einige mutige Gewerkschaftsgliederungen, ein Netz von unabhängigen politischen lnitiativen und die nicht zu unterschätzenden anarchischen Funken in der bayerischen Mentalität.“3
„Servus »Karli« – Die weithin sichtbare Reichskriegsflagge, die der DASA-Vorständler Karl Dersch jahrelang im Garten seiner Münchner Villa flattern ließ, brachte den Manager im Hause Daimler zu Fall: »Um Schaden vom Unternehmen abzuwenden", so die offizielle Version, bot der in Spezl-
tum und Kameraderie profilierte DASA-Mann Anfang Dezember seinen Rücktritt an. Inoffiziell verlautet, dass er damit einem noch unrühmlicheren Rausschmiss durch Daimler-Chef Edzard Reuter zuvorgekommen sei. Damit hat der einstige Mercedes-Chefverkäufer von München, der
die CSU-Prominenz mit Rabatten, kostenlosen »Leihwagen« und Abenteuerfahrten versorgte, auch seinen Posten als Präsident des Bundesverbands der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie verspielt. In dieser Eigenschaft hatte er die Gedenkfeier der Alten Kameraden in Peenemünde unterstützt, wo am Einheitstag der 50. Jahrestag des ersten Abschusses einer A-4-Rakete, dem Vorläufermodell von Hitlers V-2, gefeiert werden sollte. Erst Proteste aus dem In- und Ausland hielten den Raketennarr von einer Teilnahme ab. Ganz sang- und klanglos aber geht Derschs Rücktritt nicht über die Bühne: Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hatte ihn noch am Tag der Veröffentlichung der Fahnen-Affäre im »Spiegel« in sein Präsidium gewählt – und die CSU-Spezln (Peter Gauweiler, Erich Riedl, Hans Klein) murren öffentlich, »dass man einen natio-
nal und international erfolgreichen und beliebten Mitstreiter über die Klinge springen lässt«. Der »Karli«, so meinen die Spezln, habe einfach nicht gewusst, dass die Reichs-Kriegsflagge von Nazi-
Schlägern missbraucht werde.“4
Siehe auch „Gewerkschaften/Arbeitswelt“, „Lebensart“ und „Medien“.
(zuletzt geändert am 14.10.2024)
1 Metall. Zeitung der Industriegewerkschaft Metall 9 vom 4. März 1992, 6.
2 Stern 16 vom 12. April 1995, 207 f.
3 links. Sozialistische Zeitung 271/272 vom Dezember 1992/Januar 1993, 25.
4 Metall. Zeitung der Industriegewerkschaft Metall 25 – 26 vom 14. Dezember 1992, 6.