Flusslandschaft 1997
Rechtsextremismus
„Zu Risiken und Nebenwirkungen von Nazi-Aufmärschen lesen Sie ein Geschichtsbuch oder fragen Sie Ihre Großeltern!“ Demonstration gegen den Neonaziaufmarsch am 1. März. Es gelingt, die Neo-
nazis vor dem Marienplatz zu stoppen. Siehe „Gedenken“. — Viertausendfünfhundert Rechtsex-tremisten planen im Juli eine neue Demonstration. 6,4 Kilometer wollen sie durch München mar-schieren. Auch dies scheitert.
Der Münchner Presseclub hat den Kärtner FPÖ-Führer Jörg Haider zu einer Veranstaltung am 22. April eingeladen. Das Münchner Bündnis gegen Rassismus protestiert am selben Tag um 10 Uhr dagegen auf dem Marienplatz.
Im Juli entsteht die Antifaschistische Jugendfront München-Laim (AJF München-Laim), ihre Publikation nennt sich red & hot.
Der ehemalige Vorsitzende der Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP), Friedhelm Busse, plant am 19. Juli mit einer Gruppe seiner Anhänger die Besichtigung des „Führerhauptquartiers“ auf dem Obersalzberg bei Berchtesgaden. Nachdem die Polizei die Gruppe an der Weiterfahrt hindert, spricht er in Putzbrunn vor einer Gruppe Skinheads.
Bundeskanzler Gerhard Schröder in der Bild am Sonntag vom 20. Juli: „Wir dürfen nicht mehr so zaghaft sein bei ertappten ausländischen Straftätern. Wer unser Gastrecht missbraucht, für den gibt es nur eines: raus, und zwar schnell.“
„Georg-Büchner-Realschule – Lehrstoff Rassismus – Der Liedermacher Frank Rennicke genießt in Neonazi-Kreisen mit Recht hohes Ansehen: Vor allem gegen Ausländer/innen, die angeblich den Deutschen die Arbeitsplätze wegnehmen würden, richten sich die lyrischen Ergüsse dieses Herrn. So weit, so schlecht. Dass zwei als rechtsextrem bekannten Schülerinnen der Klasse 9c der Georg-Büchner-Realschule erlaubt wurde, über Rennicke ein Referat zu halten, könnte dann akzeptiert werden, wenn dies zur Diskussion und zur Aufklärung über Rassismus genutzt worden wäre. Im christlich-sozial geprägten Schulsystem Bayerns ist dies natürlich nicht zu erwarten. Der zuständi-
ge Lehrer verteidigte inhaltlich das rassistische Referat. Widerstand von einigen Schülern wurde vom Direktorat verfolgt. Verteiler/innen eines Flugblattes der Autonomen Antifa München wur-
den angezeigt. Gegen die gar nicht mehr klammheimliche Kumpanei zwischen CSU-gesteuerten Lehrern und offenen Rechtsradikalismus haben Schüler/innen der Gisela-, Geschwister-Scholl- und Ludwigs-Gymnasien bereits protestiert. Nachahmung wird empfohlen: Gemeinsame Gegen-
wehr gegen den zunehmenden Rechtsextremismus an den Schulen – und nicht nur dort – wird immer dringender.“1
Am 16. August demonstrieren etwa sechshundert Antifaschistinnen und Antifaschisten, die gegen Aktionen zum 10. Todestag von Rudolf Heß protestieren, vom Marienplatz zum NPD-Büro in der Holzstraße 49 und verbrennen dabei eine Fahne der Jungen Nationaldemokraten. Rechtsextremi-
sten zeigen den Demonstranten den Hitlergruß, gehen dann hinter Polizeischildern in Deckung und bewerfen abziehende Demonstranten mit Flaschen. Am Ende sind zehn Demonstrationsteil-
nehmerInnen und sieben Rechtsextreme festgenommen. Dies trägt dazu bei, dass Rechtsextremi-
sten für den 8. November eine Demonstration unter dem Motto „Kein Fußbreit der gewaltbereiten Antifa – Stoppt den linken Terror von Antifa und Jusos“ planen. Auch hiergegen kommt es zu einer breiten Mobilisierung von Antifaschisten für eine eigene Demonstration.2 Beide Kundgebun-
gen werden verboten. Aus Protest gegen diese Gleichsetzung zitiert Max Brym lautstark die Grund- und Bürgerrechte aus dem Grundgesetz mitten auf dem Marienplatz. Umstehende Gefährten skan-
dieren laut mit, bis die Polizei das Grundgesetz beschlagnahmt. Brym muss sich wegen der Durch-
führung einer verbotenen Versammlung verantworten.3
Rechtsextreme planen eine Demonstration für den 8. November. Sie wollen vor der SPD-Zentrale am Oberanger 38 eine SPD-Fahne verbrennen. Die Kundgebung der NPD wird wie auch die ange-
kündigte Gegendemonstration verboten. Trotzdem finden Auseinandersetzungen statt; sechzehn Menschen werden festgenommen. Jugendlichen, die am Sendlinger-Tor-Platz am 8. November „links aussehen“, bietet die Polizei „an, entweder ein ganztägiges Innenstadtverbot durch sofortige Abfahrt mit der nächsten U-Bahn zu akzeptieren oder statt dessen der Ettstraße einen Besuch ab-
zustatten.“4
1 Freidenkerinfo. DFV Ortsgruppe München vom September — Dezember 1997, 23.
2 Siehe „Keine Demonstrationsfreiheit für die Nazis!“.
3 Siehe „Chronik eines angekündigten Verbots“ von Angelika Lex und Siegfried Benker ; vgl. Münchner Lokalberichte 24 vom 21. November 1997, 3 und 10/11 vom 22. Mai 1998, 3 f.
4 Freidenkerinfo. DFV Ortsgruppe München vom Januar — April 1998, 18.