Flusslandschaft 2002

Internationales

Allgemeines

- Kanada
- Irak und USA
- Israel und Palästina
- Venezuela
- Afghanistan und USA


Allgemeines

Der »World Summit on Sustainable Development« (WSSD) findet vom 26. August bis zum 4. Sep-
tember in Johannesburg statt. Parallel dazu veranstaltet das Münchner Referat für Gesundheit und Umwelt die „Rio + 10“ Aktionstage, die unter dem Motto „bring was, bringt`s was!“ stehen. Das Nord-Süd-Forum trägt mit einer umfangreichen Veranstaltungsreihe dazu bei. Es beteiligt sich auch an der riesigen Aktionsmeile mit ca. 100.000 Menschen in der Ludwigstraße und auf dem Odeonsplatz.1

Der Verein Journalisten helfen Journalisten (JhJ) besteht jetzt seit zehn Jahren. 2002 haben wie-
der weltweit neunzehn Journalisten die Ausübung ihres Berufs mit dem Leben bezahlt. Mit der Unterstützung einer tunesischen Kollegin und von drei Kollegen aus Belorussland setzt der Verein auch ein Zeichen gegen das Vergessen von Regionen, in denen Journalistinnen und Journalisten ihre Arbeit nur unter großen existenziellen Gefahren ausüben können. Kommen doch die meisten Journalisten nicht bei der Verfolgung von Kampfhandlungen ums Leben, sondern werden als Ver-
geltung für ihre Berichterstattung getötet.2

Der 1977 in München gegründete Bundeskongress entwicklungspolitischer Aktionsgruppen (BUKO) heißt seit 2002 Bundeskoordination Internationalismus (also immer noch BUKO) und ist ein Zusammenschluss von derzeit ca. 150 entwicklungspolitischen Gruppen und internationalisti-
schen Basisinitiativen in der Bundesrepublik.

Arend Oetker, Vorsitzender der Atlantik-Brücke: „Die USA werden von 200 Familien regiert und zu denen wollen wir gute Kontakte haben.“3

Siehe auch „Sicherheitskonferenz“.

KANADA

Die Shuswap-Indianer leben in Britisch Kolumbien und leiden nicht nur unter Menschenrechts-
verletzungen durch die kanadische Regierung, auf ihrem Land errichten Investoren Gebäude, da um Sun Peaks ein lukratives Skigebiet entstehen soll. Am 20. Februar protestiert die Aktions-
gruppe Indianer und Menschenrechte
(AGIM) anlässlich des Besuchs des „Team Canada“ in München.4

IRAK und USA

In der Nacht vom 20. auf den 21. März beginnen erste Angriffe auf den Irak.

5
Am 21. Mai demonstrieren 70.000 Menschen in Berlin gegen die Politik der USA. Am Mittwoch, 22. Mai, beginnt in München um 16.30 Uhr die Demonstration von 1.000 bis 1.500 Menschen gegen den US-Präsidenten Bush; der Zug führt von der Münchner Freiheit über das US-Konsulat an der Königinstraße 5 – 7 zum Marienplatz. Die behördliche Auflage für die Demo lautet: „Keine stark negativ zu wertenden Missfallensäußerungen vor dem Konsulat“. Am 23. Mai protestieren noch einmal 50.000 Menschen in Berlin gegen Bush.

US-Vizepräsident Dick Cheney im August: „Es besteht kein Zweifel, dass Sadam Hussein heute Massenvernichtungswaffen besitzt; es besteht kein Zweifel, dass er sie hortet für den Einsatz gegen unsere Freunde, gegen unsere Verbündeten und gegen uns.“

In der so genannten linken Szene in München kommt es zu Streitigkeiten. Manche machen die US-Außenpolitik zur „Sache der Amerikaner“. Ressentiments nehmen zu. Antiamerikanismus ist aber nicht die Haltung von kapitalismuskritischen Gegnern der US-Außenpolitik, sondern von Konkur-
renten innerhalb eines global akzeptierten Kapitalismus.

Am Donnerstag, 21. November, findet eine Kundgebung gegen den drohenden Irakkrieg um 11 Uhr auf dem Marienplatz statt.

ISRAEL und PALÄSTINA

Das 1993 von Rabin und Arafat unterzeichnete Abkommen von Oslo, dass eine Teilautonomie für Palästina, Wahlen und einen Rückzug der israelischen Truppen vorsah, ist faktisch außer Kraft ge-
setzt. Damit sind auch die Hoffnungen auf einen Friedensprozess, die große Teile der israelischen wie palästinensischen Bevölkerung an dieses Abkommen knüpften, vorerst erloschen. Die Intifada vom Anfang der 90er Jahre war von Straßenblockaden und Steine werfenden Jugendlichen ge-
prägt. Bei der Intifada heute kommt es zu Anschlägen auf israelische Zivilpersonen und Soldaten, zu Selbstmordattentaten und dem Beschuss von israelischen Siedlungen. Israel hat Gebiete und Städte im Gaza-Streifen und der West-Bank, die bereits von den Streitkräften geräumt waren, er-
neut besetzt, die in den letzten Jahren aufgebaute Infrastruktur in den besetzten Gebieten weit-
gehend zerstört und palästinensische Gebiete militärisch blockiert. Es herrscht Krieg, gegen den die israelische Friedensbewegung auf Demonstrationen mit Zehntausenden Teilnehmern und Teilnehmerinnen protestiert. Reservisten widersetzen sich dem Einsatz in den besetzten Gebieten. Die Zahl der Kriegsdienstverweigerlnnen, die jeglichen Militärdienst ablehnen, steigt stetig.

Anfang April: Gemeinsam mit französischen Friedensaktivisten schlägt sich die Münchner Lehre-
rin Sophia Deeg mit ihrer erwachsenen Tochter zum belagerten Amtssitz des palästinensischen Präsidenten Yassir Arafat in Ramallah durch, um als „menschliche Schutzschilde“ zu fungieren. Nach ihrer Rückkehr berichtet sie über ihre Erlebnisse bei einer Kundgebung des Palästinensi-
schen Studentenvereins
.6 Daraufhin fordert die Regierung von Oberbayern sie auf, dazu und zu ihrer Mitgliedschaft bei attac eine Erklärung abzugeben. Sie soll „Angaben über Tätigkeiten, Ziele und insbesondere auch eventuelle Verbindungen zu anderen Organisationen“7 machen. Sophia Deeg schaltet die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) ein.8

9
6. April

Am 6., 20. und 27. April finden auf dem Münchner Marienplatz Kundgebungen gegen den Krieg der israelischen Regierung Sharon gegen das palästinensische Volk statt, an denen sich jeweils Hunderte Palästinenser und einige wenige Deutsche beteiligten. Gibt es am 20. April noch Pro-
bleme mit Nazis, die versuchen, die Kundgebung antisemitisch zu beeinflussen, sowie mit religiös-fundamentalistischen und antijüdischen Aussagen aus den Reihen verschiedener Palästinenseror-
ganisationen, verläuft die mehrstündige Kundgebung am 27. April konfliktfrei und eindrucksvoll.

910
Am 21. Juni findet eine palästinensische Mahnwache vor dem Siegestor statt.

Am 12. Juli veranstaltet auf dem Odeonsplatz die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern eine Kundgebung „Gegen Terror und Antisemitismus – für Frieden im Nahen Osten“. Es gibt auch fragwürdige Unterstützer dieser Kundgebung. Die Partei Bibeltreuer Christen trägt Tafeln mit der Aufschrift „Solidarität und Freundschaft mit Israel“. Nicht wenige Gegendemon-
stranten tragen Tafeln mit den Aufschriften „Vertreibung = Terror“ und „Für Palästinenser bedeu-
tet Zionismus → Vertreibung → Verfolgung → Rassismus“.11

Schon am 25. April hat das EineWeltHaus in der Schwanthalerstraße 80 einem Kritiker der Hal-
tung der Israelischen Regierung die Tore geöffnet. Es sprach hier Keren Assaf vom Israelischen New Profile12 über die Friedensbewegung in Israel und ihre Antikriegsarbeit. Am Dienstag, 5. No-
vember, beginnen im EineWeltHaus die Palästina-Tage. Dass hier die Politik des Staates Israel kritisiert wird, ist klar. Die Frage stellt sich, ob es die Veranstalter schaffen, diese Kritik ohne antisemitische Unter- oder Obertöne zu artikulieren? Und die Frage stellt sich, ob Kritik an der Politik des Staates Israel möglich ist, ohne nicht sofort als antisemitisch gebrandmarkt zu werden? Fuad Hamdan vom Palästina-Komitee ahnt es: „Wenn ein kritischer Geist sich meldet, kommt die Auschwitz-Keule.“ Am ersten Abend referiert des Lehrers für Englisch, Französisch und Ethik, Christoph Steinbrink, dessen Fotoausstellung „Palästinensische Alltagsszenen“ auf Anweisung des Oberbürgermeisters schon 1998 und auch 2001 nicht gezeigt werden durfte. Steinbrink nennt Israel einen „eindeutig rassistischen Staat“. Die Empörung lässt nicht lange auf sich warten. Die Rathaus-SPD vermisst die „Ausgewogenheit“ in der Behandlung des Themas, verlangt von Kultur-
referentin Lydia Hartl „Auskunft darüber, wie das Eine-Welt-Haus, dessen Tätigkeit vom Kulturre-
ferat koordiniert wird, künftig zur Völkerverständigung beitragen könnte“, und die Rathaus-CSU spricht von einem „antiisraelischen Programm, wie es in seiner demagogischen Ausprägung kaum zu übertreffen ist“.13 Manche Zeitgenossen vermissen auch in der Süddeutschen Zeitung die „Aus-
gewogenheit“ und antworten mit Leserbriefen.14

Der immer häufiger festzustellende, real existierende Antisemitismus an deutschen Stammtischen interessiert die politischen Entscheider umso weniger, als sie Menschen diskreditieren, die die Politik des Staates Israel anders beurteilen als die deutsche Staatsräson verlangt. Israelkritische Zeitgenossen als antisemitisch zu bezeichnen, formt dieses Verdikt zum leeren Allgemeinplatz genauso wie die inflationäre Wiederholung dieses Vorwurfs.

Im Herbst finden weitere Mahnwachen und Kundgebungen statt. Das Munich American Peace Committee ist hier besonders aktiv.15

VENEZUELA

Venezuelas Regierung wirft insbesondere dem „Imperium“ USA eine Desinformationskampagne vor. In Deutschland wird man von den meisten Medien völlig einseitig über die Situation in Vene-
zuela informiert. Während über die zahlreichen Verbesserungen seit der Regierungsübernahme des Linksbündnisses im Jahr 1998 kaum ein Wort zu hören ist, wird der Fokus in teilweise dema-
gogischer Art auf die vorhandenen Probleme gerichtet. Ein skandalöses Beispiel für die einseitige Berichterstattung kann man beim gescheiterten Putsch vom 12. April gegen die Regierung Chávez sehen. Er wurde nachweislich von den USA unterstützt, die deutsche Konrad-Adenauer-Stiftung förderte Teile der Putschisten zumindest finanziell, Proteste der deutschen Regierung und der deutschen Mainstreammedien unterbleiben. Nachdem durch Massenproteste der gewaltsame Umsturz scheitert, wird Chavez durch ein Referendum klar im Amt bestätigt. Die Opposition wirft daraufhin Chávez Wahlbetrug vor, aber eine von der OAS und dem Carter Center durchgeführte Überprüfung bestätigt das offizielle Wahlergebnis.

AFGHANISTAN und USA

Donnerstag, 10. Oktober: Kundgebung ab 16 Uhr auf dem Marienplatz unter dem Motto „Ein Jahr Afghanistan – ein Jahr Mahnwache – und der nächste Krieg“.


1 Siehe www.nordsuedforum.de.

2 Siehe www.journalistenhelfen.org.

3 Berliner Zeitung vom 17. April 2002.

4 Siehe www.agim-online.de/ und „Kanada fürchtet Protest – und lügt“.

5 Flugblattsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung

6 Sophia Deeg schildert dieses Ereignis und ihre Erfahrungen in: Ich bin als Mensch gekommen. Internationale Aktivisten für einen Frieden von unten, Berlin 2004.

7 Zit. in Christian Mayer, Zweifel an der Verfassungstreue. Regierung will Auskünfte – Gewerkschaft spricht von „Gesinnungsschnüffelei, in: Süddeutsche Zeitung vom 23. Mai 2002.

8 Siehe „Sehr geehrter Herr Regierungspräsident“ von Schorsch Wiesmaier.

9 Foto: Andrea Naica-Loebell

10 Foto: Andrea Naica-Loebell

11 Siehe die Bilder der Kundgebung „gegen terror und antisemitismus“ vom 12. Juli von Andrea Naica-Loebell. Fotos: Stadtarchiv Standort ZB-Ereignisfotografie-Politik-Demonstrationen.

12 New Profile gründete sich 1999 aus persönlichen Erfahrungen mit einer stark militarisierten Gesellschaft. New Profile ist eine feministische Plattform von Einzelpersonen, die die in Organisationen übliche Hierarchie ablehnt. Sie setzt sich für Kriegsdienstverweigerer und die Anerkennung dieses Menschenrechts ein. New Profile spricht sich für die Zwei-Staaten-Lösung aus und tritt für eine Entmilitarisierung der israelischen Gesellschaft ein. New Profile, POB 48005, Tel Aviv 61 480, Email: ghiller@haogen.org.il

13 Zit. in Berthold Neff, „Antiisraelische Propaganda“ – Eine-Welt-Haus: Scharfe Kritik von CSU und SPD, in: Süddeutsche Zeitung vom 6. November 2002.

14 Siehe „Leserbriefe“ zur Berichterstattung über die Palästina-Tage im EineWeltHaus.

15 Siehe „Brief an einen Piloten“ von Uri Avnery.

Überraschung

Jahr: 2002
Bereich: Internationales

Schlagwörter