Flusslandschaft 2010

Rechtsextremismus

Der ehemalige Rechtsextremist und Liedermacher Felix Benneckenstein meint, obwohl es im Januar mehrere Haftbefehle gegen ihn gegeben habe, sei die Polizei an seiner eigenen Verhaftung nicht besonders interessiert gewesen.1

Für den 16. März lädt der Bezirksausschuss 14 der Landeshauptstadt München die Bürger des Stadtteils zu einer Bürgerversammlung in der Baumkirchner Straße 17 in Berg am Laim ein.
Das Thema: die Eröffnung eines Wohnprojektes für 35 unbegleitete, minderjährige, männliche Flüchtlinge und junge Erwachsene aus dem Irak, Afghanistan und Afrika. Vor der Haustür des Versammlungsortes verteilen Mitglieder der Bürgerinitiative Ausländerstopp (BIA) und eine weitere Gruppe ihre Info-Blätter mit ausländerfeindlichem Inhalt, ohne dass jemand dagegen einschreitet. Auch in der Versammlung kommt es zu rassistischen Meinungsäußerungen.

Am Mittwoch, 14. April, werden „drei Münchner Neonazis von Antifas geoutet. Bei ihnen handelt es sich um Philipp Hasselbach (Anführer der „Freien Nationalisten München“), Toni Kuster (Kader des „Freien Netz Süd“ und Betreiber des faschistischen Odin-Versands) und Felix Benneckenstein (Kader des „Freien Netz Süd“ und als „Liedermacher Flex“ bzw. im Rechtsrockduo „Bock auf Frei-
heit“ aktiv).“2

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Am 25. April veranstaltet eine dem rechtsextremen Spektrum zuzuordnende Gruppe auf dem Ma-
rienplatz von 19 bis 21.30 Uhr eine Mahnwache zur Erinnerung an Reinhold Elstner, der sich am 25. April 1995 vor der Feldherrnhalle verbrannt hat. Dem traditionellen Protest („Nazis, verpisst euch, keiner vermisst euch“, „Nazis raus, Nazis raus!“) schließt sich eine seltsame Gruppierung an, die Front Deutscher Äpfel (FDÄ), die sich nach dem Fraktionsvorsitzenden der NPD im sächsi-
schen Landtag Holger Apfel nennt.4 Manche AntifaschistInnen beäugen die „Äpfel“ sehr vorsichtig, tragen diese doch Uniformen, und so ganz sicher kann man sich nicht sein, ob diese ungewohnten Gesellinnen und Gesellen nicht doch irgendetwas mit den Rechtsextremen am Hut haben. Außer-
dem: Ironie ist nicht gerade eine Stärke in linksradikalen Kreisen.

Am 8. Mai planen Rechtsextreme einen Marsch mit Fackelzug vom Schweizer Platz (U-Bahn Für-
stenried West) nach Großhadern. An der Kriegsgräberstätte wollen sie eine Zwischenkundgebung mit Kranzniederlegung machen, Abschlusskundgebung ist in Großhadern. Der Zug soll u.a. an einem Asylbewerberheim und einem Jugendclub vorbeigehen. Dagegen regt sich breiter Wider-
stand: Die beiden betroffenen Bezirksausschüsse rufen zu Gegenaktivitäten auf und mobilisieren überparteilich, die örtlichen Vereine und Initiativen sind ebenfalls rege aktiv.

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Gegendemonstrantinnen und Gegendemonstranten benutzen den Ausschnitt eines Stadtplans, auf dem der geplante Marsch der Rechtsextremen eingezeichnet ist. Es kommt zu einer Blockade des Marsches.6

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Nach ihrem etwas reduzierten Aufmarsch eskortiert die Polizei die Rechtsextremen am 8. Mai in die U-Bahn-Station Forstenried West, die von Hunderten von Antifaschisten belagert wird.8

Im Zentrum der Aktivitäten gegen Rechts steht immer auch Martin Löwenberg. Am 12. Mai feiert er seinen 85. Geburtstag im Gewerkschaftshaus an der Schwanthalerstraße 64.9

Am 26. Mai werden zwei Nazi-Kader geoutet.10

In München-Germering wohnt ein seriöser Leihwagenhändler, der außerhalb seiner Arbeitszeit im Internet unterwegs ist.11

Am 19. September 2011 findet der Prozess gegen K. statt, der an der Blockade vom 8. Mai beteiligt gewesen sein soll. Da die Polizei die Blockade nicht abgesperrt hatte, konnte nicht bewiesen wer-
den, dass K. die ganze Zeit in der Blockade stand. Freispruch! J. dagegen, der auf dem Weg zur Blockade von Polizisten zu Boden gerissen wurde und dem daraufhin Widerstand gegen die Staats-
gewalt vorgeworfen wurde, wird zu 400 Euro Strafe plus Anwalts- und Gerichtskosten verurteilt.

Thilo Sarrazin spricht bei einer Veranstaltung des Münchner Literaturhaus und der Deutschen Verlags-Anstalt in der Reithalle München am 29. September.12

»In der Nacht auf den 7. Oktober verschönerten autonome Antifaschist_innen die Fassade des „Sudetendeuschen Haus“ am Lilienberg mit Farbbomben und Sprühereien. Diese Lokalität wurde in der Vergangenheit von verschiedenen Burschenschaften genutzt. In letzter Zeit fanden hier ver-
mehrt geschichtrevisionistische und antisemitische Vernastaltungen statt, unter Anderem eine Veranstaltung, die sich mit der „antifaschistischen Schuld am 2. Weltkrieg“ befasste. An dieser Stelle dokumentieren wir ein anonymes Bekenner_innenschreiben, das seit einigen Tagen in der linksradikalen Szene in München kursiert: „wir haben in der nacht auf den 6. oktober die fassade des „sudetendeutschen-haus“ in münchen mit farbe verschönert. hierbei handelt es sich um einen regelmäßigen treffpunkt für (alt-)nazis. dort finden immer wieder veranstaltungen mit antisemiti-
schen und geschichtsrevisionistischen inhalten statt, zuletzt eine veranstaltung zur „antifaschisti-
schen schuld am 2. weltkrieg“. für uns ist es unerträglich, dass nazis mitten in der münchner in-
nenstadt und auch sonstwo eine öffentlich zugängliche plattform für ihre menscheverachtende ideologie gegeben wird. – kommt alle am 13.11. zum antifa actionday und macht den naziauf-
marsch zum desaster! auf allen ebenen! Mit allen mitteln! – AG FARBENPOWER“« – »Am Don-
nerstag, den 11.11.2010 brachten einige autonome Antifaschist_innen bei strahlenden Sonnen-
schein an mehreren stark frequentierten Brücken Transparente mit der Aufschrift „13.11.: Antifa Actionday – Nazis stoppen“ an. Die Transparente konnten teilweise fast 24 Stunden hängen blei-
ben und wurden so von mehreren Tausenden Autofahrer_innen und Passant_innen gesehen. Da-
rüber hinaus gab es im gesamten Stadtgebiet eine Vielzahl von Graffitis, die sich auf den Antifa Actionday bezogen (unter anderem eine große Tag am Stachus, das sich gegen Nazis und Polizei richtete), außerdem wurde in mehreren Vierteln plakatiert.«13

Am 13. November wollen die Neonazis wieder marschieren.14 Sie planen einen „Heldengedenk-
marsch“, der die Soldaten des Zweiten Weltkriegs „ehren“ soll. Das Münchner Bündnis gegen Naziaufmärsche mobilisiert. Der Bezirksausschuss Isarvorstadt-Ludwigsvorstadt plant für diesen Tag ein Kulturfest am Sendlinger Tor, an dem die Rechtsextremisten vorbei marschieren wollen.15 – Etwas hat sich im Laufe der letzten Jahre verändert. Die stadtteilbezogenen Werbeblätter waren ursprünglich „unpolitisch“ und veröffentlichten, wenn überhaupt, Verlautbarungen von Politikern der etablierten Parteien. Offenbar hat hier ein Generationenwechsel sowohl bei RedakteurInnen wie bei der die Werbeblätter finanzierenden Privatwirtschaft stattgefunden. Immer häufiger finden sich in den Gazetten auch mehr oder weniger vorsichtige, kritische Artikel. Kolumnist Albrecht Ackerland meint, dass die Rechtsextremen auf die Straße gehen dürfen sollen, „weil so erst ihr ganzes Elend offenbar wird. Es muss sich schon arg schrecklich anfühlen, wenn man so unglaub-
lich viel Polizei braucht, um sich überhaupt sicher zu fühlen; eine Polizei, die einen Staat vertritt, den man ja so gar nicht haben will. Und dann hat man innerhalb des Schutzkessels noch nicht einmal den Frieden, seine unheilsamen Parolen und Lieder zu zelebrieren – das Pfeifkonzert von ‚draußen’ ist einfach zu laut …“ Und er fordert dazu auf, auch beim nächsten Aufmarsch wieder mit größtem Vergnügen den „Neonazis Lärm und Abscheu“ entgegenzusetzen. „So geht’s: Ein Volksfest daraus machen, dass unser Recht sogar den Verfassungsfeindlichen das Menschsein einräumt, wir uns aber als Bürger noch lange nicht gefallen lassen, dass es überhaupt auch nur einen Einzigen gibt, der für seine Menschenverachtung ein Stück Straße beansprucht.“16 – Das Kulturfest am Sendlinger Tor ist erfolgreich. Allerdings gelingt es den Ordnungskräften, die knapp hundertzwan-
zig Rechtsextremisten an großräumig gezogenen Absperrungen unbeschadet vorbeizuführen. Daraufhin ziehen viele der Feiernden durch die Stadt, um an anderen Orten eine Blockade zu versuchen. Eine etwas erfolgreiche findet auf dem Platz zwischen dem Haus der Kunst und der Staatskanzlei statt.17 Es kommt zu Verkehrsstaus und die Rechtsextremen müssen einen anderen Weg nehmen, erreichen aber erfolgreich den Ort, an dem sie ihre Abschlusskundgebung geplant haben. Festgestellt werden muss, dass die Absperrungen sogar verhinderten, dass Menschen, die gegen den Marsch protestieren wollten, die Rechtsextremisten nicht einmal sehen konnten. Die Veranstalter reichen daher Klage gegen das Polizeipräsidium ein. „Nach Einschätzung von Anwäl-
tin Angelika Lex haben die Ordnungshüter gleich zwei Grundrechte der Gegendemonstranten verletzt – das auf freie Meinungsäußerung sowie die Versammlungsfreiheit. Demokratischer Protest müsse direkt an Ort und Stelle stattfinden können – und zwar so, dass er von der Gegen-
seite auch wahrgenommen wird. Lex kündigte an, notfalls bis vor die höchste Instanz zu ziehen: das Bundesverfassungsgericht.“18 – „Rowdys oder Zivilpolizisten? – Auch im Rahmen eines anderen Naziaufmarsches gab es Repression. In diesem Fall beim sogenannten Heldengedenk-
marsch am 13. November 2010. Z., ein älterer Herr, befand sich in der Nähe der Demo, als er Zeuge folgender Szene wurde: Zwei Herren hielten eine Frau fest – offensichtlich gegen ihren Willen. Drum herum waren einige Menschen, die sich empörten, aber nicht eingriffen. Im Hin-
terkopf noch die ganzen Diskussionen über Zivilcourage ging er hin und forderte die Männer auf, die Frau loszulassen. Das Problem war nur: es handelte sich um Zivilpolizisten, die die Frau wegen angeblicher Beleidigung festhielten. Anstatt sich auszuweisen und die Situation zu erklären, schlug einer der Polizisten Z. nieder. Als wäre das noch nicht krass genug, bekam nun Z. eine Anzeige wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Am Ende eines – vor allem dank der sich wider-
sprechenden Aussagen der Polizisten – absurden Prozesses stand ein klarer Freispruch, weil Z. nicht gewusst hatte, dass es sich um Polizisten handelte. Das skandalöse Handeln der Polizisten wird leider, wie so oft, keine Konsequenzen haben.“19

Am 13. Dezember treffen sich Mitglieder der rechtsextremen Gemeinschaft deutscher Frauen (GDF) im Haus der Burschenschaft Danubia in der Möhlstraße in Bogenhausen.20

Über weitere rechtsextreme Aktivitäten berichtet a.i.d.a., die antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München unter https://www.aida-archiv.de/index.php/chronologie/chronik/.

Siehe auch „Bürgerrechte“.

(zuletzt geändert am 10.5.2024)


1 Siehe
- https://linksunten.archive.indymedia.org/node/57440/index.html,
- https://linksunten.archive.indymedia.org/node/57450/index.html und
- https://linksunten.archive.indymedia.org/node/57453/index.html.

2 https://linksunten.archive.indymedia.org/node/19045/index.html

3 Foto vom 25. April: Felicitas Hübner

4 Siehe „Mund auf statt mundtot!“ von Bernd Oswald.

5 Flugblattsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung

6 Siehe die Fotos unter http://www.galerie-arbeiterfotografie.de/galerie/reportage/index.html.

7 Foto: Franz Gans

8 Siehe auch https://linksunten.archive.indymedia.org/node/20165/index.html.

9 Siehe „Rede zu Martin Löwenbergs 85. Geburtstag“ von Siegfried Benker sowie www.martinloewenberg.de/vita.html.

10 Siehe https://linksunten.archive.indymedia.org/node/20706/index.html

11 Siehe https://linksunten.archive.indymedia.org/node/25423/index.html und https://linksunten.archive.indymedia.org/node/25471/index.html.

12 Siehe https://linksunten.archive.indymedia.org/node/25677/index.html und https://linksunten.archive.indymedia.org/node/25939/index.html.

13 https://linksunten.archive.indymedia.org/node/28290/index.html

14 Siehe „gegenrechts“ von Volker Derlath.

15 Siehe die Bilder vom „heldengedenkmarsch“ am 13. November von Andrea Naica-Loebell.

16 Albrecht Ackerland: „Da schau her: Protest gegen Rechts“ In: Münchner Samstagsblatt 41 vom 16. Oktober 2010, 3.

17 Siehe „Bericht: Antifa-Actionsday und Naziaufmarsch 13.11.“.

18 Süddeutsche Zeitung 281 vom 4./5. Dezember 2010, R 4.

19 info der Roten Hilfe e.V. Ortsgruppe München vom Februar 2012, 7. Siehe auch
- https://linksunten.archive.indymedia.org/node/28564/index.html,
- https://linksunten.archive.indymedia.org/node/28572/index.html,
- https://linksunten.archive.indymedia.org/node/28585/index.html,
- https://linksunten.archive.indymedia.org/node/28736/index.html,
- https://linksunten.archive.indymedia.org/node/29550/index.html und
- https://linksunten.archive.indymedia.org/node/54190/index.html.

20 Vgl. Münchner Lokalberichte 26 vom 23. Dezember 2010, 4.