Flusslandschaft 1986

Kunst/Kultur

Wenns um zeitgenössische Kunst geht, sagen manche, „des konni a, so a G’schmier auf d’ Lein-
wand“. Die Gegenfrage, „warum machst es dann nicht und verkaufst es teuer“ erntet nur Kopf-
schütteln. Ein Gespräch über die Moderne gelingt in den seltesten Fällen. Vorurteile sitzen dort besonders fest, wo es ihnen gelingt, als Vorurteil nicht erkannt zu werden. Und Vorurteile freuen sich, wenn sie Bestätigung erfahren. So sehr sich Sigi Sommer um die Blicke auf das Leben der „einfachen Leute“ verdient gemacht hat, so sehr bedient er aber auch den Stammtisch.1

Alles ist wahrgenommen worden. Es wurde analysiert und interpretiert. Es ist schon alles gesagt. Jede und jeder hat es schon einmal gehört. Niemand kann sich herausreden, er hätte es nicht ge-
wusst. Alles ist gezeigt, alles ist gesagt. Umso erstaunlicher ist die Beobachtung, dass Wissen in den seltensten Fällen zu richtigen Konsequenzen führt. Ganz im Gegenteil: Wissen scheint dazu da zu sein, als vernachlässigbaren Größe zu gelten, noch schlimmer, als Projektionsfläche, gegen die erst recht zu agieren ist. So benötigt der korrupte Machthaber seinen Hofnarren, der die Wahrheit zu sagen hat, liebt es der reaktionäre Politiker, sein Spiegelbild in der Münchner Lach- und Schießge-
sellschaft
vorgeführt zu bekommen, schlagen sich die Funktionäre des Bauernverbandes wiehernd auf die Schenkel, wenn vor ihnen auf der Bühne die Biermösl Blosn ein kritisches Gstanzl spielen. Schlussfolgerungen aus dem, was die Bauernfunktionäre da hören, ziehen sie nicht. Zur Zeit läuft im Fernsehen „Kir Royal“. Ob es sich hier nur um Unterhaltung handelt oder auch um Zeitkritik, darin sind sich die Zuschauer nicht einig. Alles haben sie wahrgenommen, analysiert und interpretiert. Und es ist schon wieder alles gesagt.2

BILDENDE KÜNSTE

Der Universitätsprofessor und Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, Erich Steingräber, wehrt sich gegen linksradikalen Bildersturm und Ideologen, die die Kunst poli-
tischen Zwecken opfert: „… Die industrielle Massenkultur leistete im Verein mit der Lehre des ma-
terialistischen Marxismus der Aushöhlung des Originalitätsbegriffes Vorschub. Am radikalsten hat Walter Benjamin im Jahre 1936 die für ihn ,unheimlichen‘, weil unkontrollierbaren Begriffe wie Schöpfertum und Genialität, das heißt das im Grunde unbeschreibbare Geheimnis des Kunstwer-
kes, seine Aura, in Frage gestellt. Auf Benjamin beriefen sich gerne die ikonoklastischen Apo-Ideologen, die mit der Frage nach der ,gesellschaftlichen Relevanz‘ Kongressen, Podiumsgesprä-
chen und ganzen Festschriften Nahrung gaben. Sie forderten, das Kunstwerk als Produkt seiner Rezeptionsgeschichte zu begreifen. – Wir haben die lautstarken Parolen noch im Ohr: Die Muse-
umsdirektoren wollten immer nur die heile Welt, den ästhetischen Genuss und mithin den Status quo des behaglichen bürgerlichen Kulturbetriebes gegen jeden aufrüttelnden Eingriff verteidigen. – Die mit Reformverlangen getarnte radikale Politisierung aller Lebensbereiche, auch der Kunst, zielte schließlich häufig genug längst nicht mehr auf den Abbau autoritärer Strukturen, sondern auf die Unterminierung der bestehenden demokratischen Ordnung. Vergessen wir nicht die deut-
sche Gründlichkeit: Der von den massenmedialen Multiplikatoren angefeuerte Zeitgeist tobte sich in der Bundesrepublik Deutschland mehr denn anderswo aus. Auch so mancher Kunstbeamter ist vor ihm in die Knie gegangen oder hat doch aus der fatal deutschen Angst vor Rückständigkeit immer wieder Verbeugungen nach allen Seiten gemacht …“3

THEATER

Unter der Regie von Annette Spola und Achim Hall bringt das Theater am Sozialamt Wolfgang Weyrauchs „Die japanischen Fischer“ auf die Bühne. Kritik in der Zeitung bewirkt, dass das Stück abgesetzt wird. Dagegen protestieren 14 Besucher.4


1 Siehe „Hochbegabte Pinselschwinger“ von Sigi Sommer.

2 Siehe „Kir Royal“ von Jürgen Walla.

3 Die Welt vom 2. April 1986, 31.

4 Siehe „Kulturkritik“ von Heinz Ullmann.

Überraschung

Jahr: 1986
Bereich: Kunst/Kultur