Flusslandschaft 1980
Alternative Medien
Der Direktor der städtischen Bibliotheken veranlasst mit dem „dämlichsten aller Argumente“, es sei „prokommunistisch“, dass das Blatt aus den Filialen Milbertshofen, Fürstenried und Harthof entfernt wird.1 — Für den presserechtlich Verantwortlichen des Blatt erfolgt im Februar ein Straf-befehl über 400 DM. Zugleich finden Ermittlungen gegen Blatt 177, 178 und 179 statt.2
„Münchner ,Blatt’-Prozess – Den sich häufig als alternativ verstehenden Stadt-Zeitungen wird zu-
nehmend juristisch an den Karren gefahren: Nach der Bonner ,De Schnüss’ und der Kölner ,Stadt Revue’ bekam nun auch das Münchner ,Blatt’ zu spüren, dass der Abdruck nichtstaatstragender Beiträge unliebsame juristische und finanzielle Folgen haben kann. Während der Faschingstage standen die ,Blatt’-Leute sowie der Schriftsteller Heinz Jacobi wegen eines im Blatt abgedruckten Beitrages von Jacobi vor Gericht, in dem der Autor Karl Carstens bescheinigt, dass er prädestiniert sei, ,diesen mörderischen Staat zu vertreten’. Das bot dem Staatsanwalt genügend Anlass, um die betr. ,Blatt-Nr. zu beschlagnahmen, mit kriegsmäßig bewaffneten Polizisten die Redaktionsräume, die Privatwohnung des presserechtlich Verantwortlichen, die Wohnung des Autors und selbst die seiner alten Mutter zu durchsuchen. Auch die Beschlagnahme der Liste der ,Blatt’-Verkaufsstellen schien dem Staatsanwalt zur ,Wahrheitsfindung’ unerlässlich. Der Prozess hatte nun die Aufgabe, all dem eine juristische Legitimation nachzuliefern. Um mehr ,Stoff’ präsentieren zu können, tisch-
te der Staatsanwalt noch zwei weitere Anklagepunkte auf , die mit dem ,Blatt’-Beitrag überhaupt nichts zu tun haben (eine Beleidigungsklage und eine Anklage wegen Ladendiebstahls gegen Jaco-
bi, die dann allerdings in eine Anklage wegen fahrlässigen Vollrausches umgeändert wurde, nach-
dem offensichtlich geworden war, dass Jacobi sich die im Kaufhaus wahllos zusammengeklaubten Kitschgegenstände gar nicht aneignen, sondern damit einen Gag landen wollte. – Der offene Brief von Jacobi an Carstens wurde von dem Staatsanwalt als besonders böswillige Staatsverunglimp-
fung gewertet. Die Weimarer Republik sei schließlich hauptsächlich daran zugrunde gegangen, dass man sie ständig mit Dreck beworfen habe, weshalb man mit aller Härte gegen derlei Verun-
glimpfungen vorgehen müsse. Und das taten Staatsanwalt wie Richter: Jacobi wurde zu 120 Tages-
sätzen je 20,– DM, der ,Blatt’-Verantwortliche zu 80 Tagessätzen verurteilt. Kommentar von Heinz Jacobi: ,lch werfe nicht mit Dreck, ich zeige den Dreck und er wird immer mehr.‘ Dieses Urteil ist Teil von diesem Dreck!“3
In der Bild vom 13. März meint Bürgermeister Winfried Zehetmaier (CSU): „Das BLATT ist laut Innenministerium eine ‚linksextreme Schrift der undogmatischen Szene der Neuen Linken und verfassungsfeindlich’ …“
Im und nach dem „Deutschen Herbst“ 1977 erkennt jeder kritische Zeitgenosse, dass alle Berichte in der bundesdeutschen Medienlandschaft mehr oder weniger die Sprachregelungen der Regierung und der Exekutive übernehmen und wiedergeben. Anderslautende oder alternative Meinungen finden gerade mal in Szeneblättern, die ständig mit Repression bedroht und verfolgt werden, ein begrenztes Forum. Um einer „linken Gegenöffentlichkeit“ den Ausbruch aus diesem Ghetto zu er-
möglichen, werden immer häufiger Piratensender eingesetzt. Am 25. März wird der dreiundzwan-
zigjährige Jan van de Loo verhaftet. Er hat einen Volkshochschulanfängerkurs in Elektronik be-
sucht, eine kleine Werkstatt angemietet und damit begonnen, einen Sender zu basteln. Nun sitzt er in Untersuchungshaft.4 Erst nach einem halben Jahr beginnt der Prozess. Bis jetzt wurden Ver-
stöße gegen das Fernmeldeanlagegesetz (FAG) immer mit Geldbußen geahndet. Ganz offensicht-
lich will die Staatsanwaltschaft ein Exempel statuieren.5 Ende Oktober erfolgt das Urteil. Jan be-
kommt acht Monate Haft, die noch abzusitzenden Wochen sind gegen eine happige Buße von 15.000 Mark zur Bewährung ausgesetzt.6 Rechtsanwalt Hartmut Wächtler geht selbstverständlich in Revision.
„Ans Blatt! Hört sofort auf, das Blatt auf Umweltschutzpapier zu drucken! Sonst können wir eure Zeichnungen nicht mehr raubdrucken! Wir brauchen die aber dringend zum Lay-Out! Vielen Dank! Schülerzeitung Adam’s Blättler“7
Am 26. September um 22.19 Uhr explodiert in einem Papierkorb am Haupteingang des Oktober-
fest eine Rohrbombe. Es gibt Tote und Verletzte. Die neue Nummer des Blatt. Stadtzeitung für München 182 weist einige wenige Texte auf, dafür viele leere Seiten, Ausdruck von Fassungs- und Sprachlosigkeit. Zunächst erreichen die Redaktion nur wütende Protestschreiben, etwas später melden sich ein paar, die anmerken, dass diese Form genau ihrem Empfinden entsprochen habe.
(Zuletzt geändert am 16.5.2021)
1 Vgl. Blatt. Stadtzeitung für München 166 vom 22. Februar 1980, 5.
2 Siehe www.ur.dadaweb.de/dada-p/P0000901.shtml.
3 Spuren. Zeitschrift für Kunst und Gesellschaft 2 vom April/Mai 1980, Köln, 51.
4 Siehe „Stellungnahme“ von Jan van de Loo.
5 Siehe „antrag auf einstellung des verfahrens bezüglich des fernmeldeanlagengesetzes“, „Prozesserklärung“ und „Beweisantrag“ von Jan van de Loo.
6 Siehe „schlusswort“ von Jan van de Loo und „Prozess gegen Piratensender“ von Stefan Haug.
67 Blatt. Stadtzeitung für München 175 vom 4. Juli 1980, 33.