Flusslandschaft 1981

Wohnen

Im Januar wechselt das Anwesen Türkenstraße 68A in der Maxvorstadt den Besitzer. Es beginnt ein jahrelanger Kampf zwischen dem neuen Hausherrn, der modernisieren und verkaufen will, und den Mieterinnen und Mietern.1

Im Westend wehren sich türkische Mieter, unterstützt von griechischen, jugoslawischen und deut-
schen Mietern, erfolgreich.2

11. April: „Mit Möbeln und Hausrat demonstrieren rund fünfhundert Schwabinger Mieter auf dem Marienplatz gegen ‚Luxusmodernisierung und Vertreibungsspekulation’. Die Mieter ziehen in zwei Demonstrationszügen vom Nordbad und vom Josephsplatz in die Fußgängerzone.“ Auch im Glok-
kenbachviertel hat sich eine Mieterinitiative gebildet, die für den „Erhalt des gewachsenen Wohn-
viertels“ kämpft.

Am 25. April ketten sich Demonstranten aus Protest gegen die Wohnungsnot an der Mariensäule an.3

Am 29. April protestieren die Bewohnerinnen und Bewohner der von Luxussanierung betroffenen Ungererstraße 68 in Schwabing. Sie haben aus den Fenstern viele Bettücher gehängt. Die Auf-
schriften lauten: „Du bist erkannt, Spekulant“, „Nimm die Hand von der Wand, Spekulant“, „Wir lassen uns nicht wegsanieren“, „Spekulator ante portas“, „Heute wir, morgen Ihr, unser Bier ist Euer Bier“, „Hurra, ich hab ein neues Haus, Bewohner und Ausländer raus“, „20 Jahre mein Heim, ich soll hier raus, ich sage nein“, „Sind wir die Löcher im Gesetz, durch die die Spekulanten schlüp-
fen?“, „Spekulation droht – unsere Not ist Eure Not“, „Mieter wehren sich gegen Spekulanten“ und „Wohnraumvernichtung Ungererstraße 68? NEIN“. Nachdem zu einem festgesetzten Zeitpunkt ge-
nügend Fotografen vor der Hausfassade stehen, ziehen in jedem Fenster die Bewohnerinnen und Bewohner die Hosen herunter und zeigen ihren nackten Arsch. Die Abendzeitung titelt: „Ge-
schmackloser Mieterprotest gegen Luxussanierung“.4

Der Text auf einem Transparent bei der „Mieterprozession“ am 26. Mai heißt: „Eine Reise, die sich lohnt,/Spekulanten auf den Mond!/Diese Reise ist ’ne Last,/Spekulanten in den Knast!“ Der Him-
beerdoni trägt unter großem Beifall einen von ihm neu verfassten Text vor.5

Argumente von Hausbesitzern können durchaus schlagfertig sein, so in der Hübnerstraße 12 in Neuhausen.6

1. Juli: Genehmigung eines Demonstrationszuges der Aktionsgemeinschaft Münchner Mieterini-
tiativen.
7 Am 4. Juli findet ein Sternmarsch „Mieter machen Dampf“ statt. Vom Josephsplatz in Schwabing, vom Rotkreuzplatz in Neuhausen, vom Gollierplatz im Westend, vom Stachus (Stadt-
mitte), vom Pariser Platz in Haidhausen, vom Isar-Tor-Platz, vom Kolumbusplatz in Giesing, von der Impler-/Valley-Straße in Sendling und vom Roecklplatz im Isarviertel ziehen Demonstrations-
züge zum Marienplatz als Abschluss der „Mietertage“. An der Spitze der Protestbewegung steht die Mieterinitiative Haidhausen. Die Stadt hat vor Ausschreitungen gewarnt und mahnende Schrei-
ben an Akteure verschickt.8 Etwa 5.000 Menschen befinden sich auf dem Marienplatz. Das Guitar-
ren-Duo „Schreier und KO“ singt das Häuserkampflied.9

Der neue U-Bahn-Anschluss macht das Wohnen in Neuhausen attraktiv, was manche Mieterinnen und Mieter zu spüren bekommen.10


1 Siehe „Oase der Ruhe“ von Bertram Verhaag und „Vielleicht gehörte es auch zu den Spätfolgen von ’68 …“ von Christian Ude.

2 Siehe „Widerstand lohnt sich“ von Hilde Keller und Peter Eberlen.

3 Vgl. Süddeutsche Zeitung 96/1981.

4 Abendzeitung 99/1981; vgl. Stadtchronik, Stadtarchiv München; vgl. Süddeutsche Zeitung 86/1981.

5 Siehe „mir und ihr“ vom Himbeerdoni.

6 Siehe „Hausbesitzer: ‚Diese linken Schweine’“.

7 Vgl. Süddeutsche Zeitung 148/1981.

8 Siehe „Sehr geehrter Herr Pfarrer!“.

9 Siehe „I geh durch Neihausn …“ von Bernd Schreyer und „Bierprozess“ ; vgl. Süddeutsche Zeitung 151/1981.

10 Siehe „Wer will den Luxus, Herr Spekulant?“.

Überraschung

Jahr: 1981
Bereich: Wohnen