Flusslandschaft 1975

Wohnen

Seit 1. Januar müssen Mieter für gestiegene Verwaltungs- und Instandhaltungskosten aufkommen. Die Mieten für die Sozialwohnungen im „Emilienhof“ im Stadtviertel Alte Heide steigen im Februar durchschnittlich um 25 Prozent.

Wer sich in der Politik auskennt, weiß, dass zwischen einem Verfassungsgebot und einer Verfassungswirklichkeit immer Unterschiede bestehen. Manche Mitmenschen bezweifeln deshalb, dass es sinnvoll sein könnte, sich beim Auftreten in der Öffentlichkeit auf das Verfassungsgebot zu berufen.1

In Neuhausen braut sich etwas zusammen. Hauseigentümer wollen endlich mit ihrem Hab und Gut gutes Geld verdienen. Da sind alte, finanzschwache Mieter nur im Wege.2

Schwabing: Während im Fuchsbau, im Olympia-Park und im Schwabylon Luxuswohnungen leer stehen, sind 11.000 Dringlichkeitsfälle von Wohnungssuchenden bei den Behörden gemeldet. Die Bau-Union hat die 1958 errichteten und seit Jahren leer stehenden, ehemaligen Werkswohnungen der Firma Lodenfrey in der Osterwaldstraße 119 – 129 erworben. Im Juli sollen die Blöcke abgerissen werden. Einige der zur Zeit 40.000 Wohnungssuchenden in München wären hier liebend gerne eingezogen. Das Haus am Arthur-Kutscher-Platz 3 „steht seit zwei Jahren leer. Die alteingesessenen Bewohner wurden bereits vor drei Jahren aus ihren angestammten Wohnungen vertrieben. Sie wurden ans Hasenbergl ‘umgesetzt’. Obwohl es möglich wäre, diese Häuser zu

modernisieren und die Fassaden zu erhalten, werden diese Häuser abgerissen. Sie sollen einem dort geplanten Verwaltungsgebäude Platz machen. Der Abbruch wird im nächsten halben Jahr stattfinden … 1971 verkaufte ein Hausbesitzer sein Haus in der Herzogstraße 48, da er der Auflage, den im Krieg ausgebrannten Dachstuhl zu erneuern, nicht nachkommen wollte. Bis auf den bis dahin nur provisorisch instand gesetzten Dachstuhl ist das Haus noch in gutem Zustand. Der neue Hausbesitzer kündigt den alteingesessenen Mietern und vermietet dann ausschließlich einzelne Zimmer. Für einen Raum mit zwei Betten kassiert er 500,- DM! Nachdem er sich so drei Jahre skrupellos bereichert hat, verkauft er das Haus wieder. Da er nur Miete kassiert hatte, aber nichts hatte instand halten oder reparieren lassen, ist das Haus jetzt verwahrlost. Der nächste Besitzer bezeichnet es als nicht renovierbar. Es soll jetzt ‘saniert’ werden. Alle Mieter werden quasi über Nacht auf die Straße gesetzt. Die Sanierung soll ein Jahr dauern. Was kommt dabei heraus? Sündhaft teuere Altbauwohnungen für die Schickeria auf dem Nostalgietrip oder Büros. Auf jeden Fall keine Wohnungen für Normalverdienende!“3

1975 wird München „Weißer Kreis“. Bis jetzt waren zumindest in Teilen des Stadtgebiets Höchstmieten festgelegt. Jetzt bekommt die „unsichtbare Hand“ des Marktes ihre Chance. Perlach und Neu-Perlach werden 1975 zu einem neuen Zentrum der Protestbewegung.4 Die Bürgerinitiative Neuperlach protestiert am 16. Mai gegen Mieterhöhungen.5


1 Siehe „Stoppt die unsozial hohen Mieten!“.

2 Siehe „Nymphenburger Straße 125“ von Ferry Stützinger.

3 Unsere Sache. Zeitung der DKP-Wohngebietsgruppe Schwabing-Nord, für Schwabing, Alte Heide und Freimann 2 vom April 1975, 4 f.

4 Siehe „Die Mieterinitiative Perlach-Ost“, „Selbstverwaltetes Stadtteilzentrum“ und „Der Süden“.

5 Vgl. Münchner Merkur 112/1975.

Überraschung

Jahr: 1975
Bereich: Wohnen