Flusslandschaft 1993

CSU

Es gibt einen leitenden Steuerbeamten, der sich schon seit den Zeiten des sel. Franz Josef Strauß weigert, der auch von ihm geforderten gängigen Protektion begüterter CSU-Spezln nachzugeben. Unbestechlich besteht das CSU-Mitglied auf Recht und Gesetz und behält Haltung; dafür wird Dr. Wilhelm Schlötterer mit Disziplinarverfahren eingedeckt und schließlich als Querulant diffamiert. Am 27. Januar 1993 erscheint in der Abendzeitung auf Seite 3 die Geschichte des David, der gegen Goliath kämpft. Wer über die Skandale der Partei Bescheid weiß, für den ist das nichts Neues.1 – „Welches Ausmaß die Unruhe bayerischer Finanzbeamter über die Begünstigung bestimmter Steuerpflichtiger erreicht hatte, zeigte ein veröffentlichter Protest der Bayerischen Finanzgewerk-
schaft gegen politische Protektion. Darüber berichtete das Handelsblatt im Dezember 1993, ebenso die übrige Presse. Der Vorsitzende der Finanzgewerkschaft, Josef Bugiel, zugleich Vorsitzender des Hauptpersonalrats im bayerischen Finanzministerium, hatte in einem Brief an Finanzminister von Waldenfels bitter beklagt, dass es unter den Finanzbeamten erhebliche Kritik daran gebe, dass durch Weisungen ‚von oben’ Millionenbeträge nicht festgesetzt, erlassen oder aber niedergeschla-
gen wurden. Bei den Beamten bestehe der Eindruck, es gehe nicht mit rechten Dingen zu.“2

Beim politischen Aschermittwoch in Passau begrüßt Ministerpräsident Max Streibl seine Zuhörer mit „Saludos Amigos“. In der Öffentlichkeit wird dies zwiespältig aufgenommen. Edmund Stoiber3 wird am 27./28. Mai zum Nachfolger des wegen der „Amigo-Affäre“ vom Amt des Ministerpräsi-
denten zurückgetretenen Streibl gewählt. Dieser hatte von der Caritas ein Grundstück in der Nähe des Nymphenburger Schlosses zu einem Spottpreis erworben, mit dem Bau einer Villa begonnen und erst nach Bekanntwerden des Kaufs das Grundstück zurückgegeben. Streibl hat sich später zweimal von Industriellen Burkhart Grob auf seine Hazienda in Brasilien einladen lassen sowie sich beim Verteidigungsministerium dafür eingesetzt, dass der Flugzeugbauer bei der Auftragsver-
gabe berücksichtigt wurde.4 „Sein Nachfolger Edmund Stoiber ging in die Offensive, als es für ihn selber gefährlich wurde. Er hatte sich von Strauß-Spezi und Steuerflüchtling Eduard Zwick an die Côte d’Azur fliegen lassen. Der ‚Bäderkönig’ schuldete dem Freistaat 68 Millionen Mark (Zwick-Affäre). Um von sich abzulenken, hängte Stoiber seinen Ziehvater Franz Joseph Strauß und dessen Nachfolger Streibl hin. Er erzählte, dass die beiden ihre Ministerpräsidentenbezüge wundersam verdoppelt hatten. Zu ihrem Amtsgehalt von 390.000 Mark kamen seit 1984 jährlich weitere 300.000 Mark für ihre ‚Arbeit’ als Testamentsvollstrecker der Versandhaus-Witwe Kati Baur dazu. Er, Stoiber, habe darauf verzichtet. Strauß-Tochter Monika Hohlmeier und ihre Brüder weigerten sich, das Geld zurückzuzahlen.“5

Nach den Pogromen in Hoyerswerda, Rostock und Mölln ändert die Bundesregierung am 26. Mai 1993 den Artikel 16 des Grundgesetzes, das Recht auf Asyl. Drei Tage später, am 29. Mai kurz nach 1.30 Uhr, kommt es zum Brandanschlag auf das Haus Untere-Werner-Straße 81 in Solingen. Fünf türkische Frauen und Mädchen sterben in den Flammen. Ein sechs Monate alter Säugling, ein dreijähriges Kind und ein 15 Jahre alter Junge werden mit lebensgefährlichen Verletzungen ins Krankenhaus gebracht. „»Wir lassen uns unsere Demokratie nicht kaputtmachen!« sagte ein Bundestagsabgeordneter, als Demonstranten am Tag der Änderung des Grundgesetzartikels 16
die Zufahrtswege zum Plenarsaal versperrten. »Deutschland ist kein Aufmarschgebiet für Ter-
roristen!« sagte Kohl in seiner Solingenrede. Jedoch meinte er die Türken in Deutschland. Ein anderer krasser feiner Unterschied: Anschläge von rechts schadeten dem Ruf des Landes im Ausland und hielten Investoren aus anderen Staaten ab. Anschläge von links aber bedrohten die innere Sicherheit und seien Angriffe auf die Demokratie. Jurek Becker benannte diesen Unter-
schied: Je nachdem, ob einem etwas peinlich oder zuwider sei, reagiere man verschieden. Peinlich ist einem etwas, an dem man teilhat, peinlich ist, wenn die verschwiegene Teilhabe ans Licht der Öffentlichkeit (des Auslands) kommt. Ist einem etwas zuwider, so gibt es keine Spaltung zwischen öffentlich Gesagtem, privat Gemeintem und wirklich Getanem. Der Terror von rechts ist manchen Verantwortlichen peinlich. Sie sind verstrickt.“6

„Untreu-Händler: Erich Kiesl, CSU-Politiker und Ex-Oberbürgermeister von München, steckt offenbar tiefer im Untreue-Sumpf mit Treuhand-Geschäften. Im Prozess gegen seinen Partei-Spezl und Geschäftspartner Hans-Joachim Gaub, dem Untreue gegenüber dem von der Treuhand ergatterten DDR-Betrieb Heimelectric vorgeworfen wird, hatte Kiesl als Zeuge Mitte Juni be-
hauptet, er habe von den krummen Finanzmanövern ‚nichts gewusst’. Mittlerweile jedoch hat sein Spezl Gaub vor Gericht ein Geständnis abgelegt – und dabei angedeutet, dass Kiesl bei dem Geschäft eine Extraprovision kassiert hatte, was der als Zeuge bestritten hatte. Nun wird die Staatsanwaltschaft wegen Falschaussage ermitteln müssen.“7 – „CSU-Politiker nahmen Ost-
Betrieb wie eine Weihnachtsgans aus: Haft wegen Untreue – Einer Seilschaft von prominenten CSU-Politikern ist die ,Heim-Electric’, das viertgrößte Außenhandelsunternehmen der Ex-DDR, zum Opfer gefallen. Dies geht aus der Urteilsbegründung hervor, mit der das Landgericht München I jetzt den ehemaligen Münchner CSU-Stadtrat Hans-Joachim Gaub zu fünf, zwei Ex-Manager zu siebeneinhalb Jahren wegen Untreue verurteilte. Mit im Geschäft, bei dem die Heim-Electric wie eine Weihnachtsgans ausgenommen wurde, war auch Münchens Ex-Ober-
bürgermeister Erich Kiesl, der Bonner Staatssekretär Rudolf Kraus (CSU) und Hermann Fellner, Ex-Bundestagsabgeordneter der CSU. Der Richter, vor dem die drei als Zeugen aufgetreten waren, hat gegen Erich Kiesl mittlerweile von Amts wegen Anzeige wegen Falschaussage und Beihilfe zur Untreue erstattet. Gegen Fellner läuft bereits ein Verfahren, und dass der Staatssekretär sein Amt für die krummen Touren der CSU-Seilschaft in die Waagschale geworfen hatte, war dem ersten Prozess ebenfalls zu entnehmen. H. Messow“8 Der Bayrische Landtag hebt die Immunität seines CSU-Abgeordneten „Amigo“ Erich Kiesl auf.

„‚Mandantenstamm’ verpachtet – Friedrich II., der Landgraf von Hessen-Kassel, verpachtete vor zwei Jahrhunderten an die Engländer für 21 Millionen Taler 12.000 seiner Landeskinder als Soldaten zum Kampf gegen die aufständischen Nordamerikaner. Jetzt hat der Menschenhändler einen Nachfolger gefunden. ,Tatort München’, warnt die CSU auf ihren Plakaten zur Oberbürger-
meisterwahl in München, und darunter steht auch gleich der Name des Täters: Ihr eigenes Mit-
glied Peter Gauweiler. Der CSU-Mann, zur Zeit noch als Stoibers Umweltminister auf freiem Fuß, handelt mit einer ganz besonderen Ware und verdient gut dabei. Von den rund 40.000 Mark, die er monatlich einstreicht, stammen jeweils 10.000 Mark aus der Verpachtung von Menschenmate-
rial. Der ehemalige Rechtsanwalt Gauweiler hat 1990, als er zum Umweltminister berufen wurde, ein Abkommen getroffen. Danach verpachtet er nicht etwa seine Anwaltskanzlei – Gauweiler verleiht vielmehr die Menschen, die sich ihm anvertraut hatten. In dem ,Pachtvertrag’, wie er das Seelenhändlerpapier nennt, das er mit der Kanzlei Nörr, Stiefenhofer & Lutz abgeschlossen hat, ,überlässt’ er seinen ,Mandantenstamm’ den Kollegen. Zusatzklausel: Falls Gauweiler eines Tages aus dem öffentlichen Dienst ausscheidet, wird er als Sozius in die Kanzlei aufgenommen: ,In diesem Falle gilt der verpachtete und der über den Verpächter dazu erworbene Mandantenstamm als von ihm in die Sozietät eingebracht.’ Und das bedeutet: er wirbt als Minister künftige Mandanten für die Kanzlei. Der bayerische Justizminister Hermann Leeb halt Gauweilers Menschenverpachtungsvertrag für rechtmäßig.“9

„Geldstrafe für Mertes – Heinz Klaus Mertes, Informationsdirektor des privaten Fernsehsenders Sat (VG) 1 und vorher TV-Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks (BR), muss 18.000 Mark Geldstrafe wegen Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung zahlen. Ein entsprechender Strafbefehl des Amtsgerichtes München wurde im Oktober rechtskräftig. Sat 1 will daraus aller-
dings keine Konsequenzen ziehen, Mertes bleibt dem Sender als Informationsdirektor und Gast-
geber von Bundeskanzler Helmut Kohl (in der Reihe ‚Zur Sache, Kanzler’) erhalten. Die falsche eidesstattliche Versicherung hatte der TV-Journalist noch während seiner Zeit beim BR im Verlauf eines Rechtsstreits mit der SPD über einen umstrittenen Eingriff in die BR-Nachrichten abgege-
ben. Weil er einen CSU-Politiker vor dessen eigener Dummheit schützen wollte, hatte der TV-Jour-
nalist und CSU-Nahesteher eine bereits fertige Meldung über die Forderung des Politikers nach der Todesstrafe für Rauschgifthändler aus dem Programm gekippt. — Klaus Off“10

Siehe auch „Frieden/Abrüstung“.„Gewerkschaften/Arbeitswelt“ und „Rechtsextremismus“.


1 Vgl. Wilhelm Schlötterer, Macht und Missbrauch. Franz Josef Strauß und seine Nachfolger. Aufzeichnungen eines Ministerialbeamten, Köln 2009, 197 ff.

2 A.a.O., 335.

3 Peter Gauweiler über den jungen Stoiber: »Stoiber kennt sich mit den ganzen parteiinternen Machtstrukturen bestens aus … Ihm fehlt das Öl der Liebe. Wir kommen da aus verschiedenen Denkschulen. Mir geht es um die Sache, ihm eher um die Taktik.« Zit. in: Jan Heidtmann: „Der Kandidat“, Süddeutsche Zeitung. Magazin 2 vom 4. Januar 2005, 15.

4 Siehe „Saludos Amigos!“ von Karl Stankiewitz.

5 Abendzeitung 103/18 vom 4./5. Mai 2013, 2.

6 Bodo Morshäuser, Warten auf den Führer, Frankfurt am Main 1993, 19 f.

7 Metall. Zeitung der Industriegewerkschaft Metall 14 vom 9. Juli 1993, 20 (07).

8 Metall. Zeitung der Industriegewerkschaft Metall 15 vom 23. Juli 1993, 20 (07).

9 Metall. Zeitung der Industriegewerkschaft Metall 17 vom 20. August 1993, 6 f.

10 Publizistik & Kunst. Zeitschrift der IG Medien 11 vom November 1993, 24.

Überraschung

Jahr: 1993
Bereich: CSU

Materialien

Schlagwörter