Flusslandschaft 1970

Stadtviertel

Die „Wohngegendgruppe Ost“ der Arbeiter-Basisgruppen (ABG) setzt sich auf einem Diskus-
sionsabend im Hofbräukeller am Wiener Platz in Haidhausen am 13. März für sinnvolle Frei-
zeitanlagen und Kinderspielplätze ein und löst eine Unterschriftenaktion aus.1


Das Münchner Forum hat einen Signet-Wettbewerb ausgeschrieben. Gerd Zimmermann gewinnt. Die Jury: „Im 1. Preis ist der Gedanke des aktiven, kritischen Engagements anschaulich verwirk-
licht und durch den auf das aufmerksame Auge zielenden roten Pfeil besonders lebhaft gekenn-
zeichnet.“2

Im Frühjahr entsteht die Interessengemeinschaft der Sanierungsbetroffenen (IGS) in der Altstadt, vor allem im Lehel. Die Projektgruppe Aktion Lehel, die vermutlich erste Bürgerinitiative Mün-
chens, mietet einen Laden in der Christophstraße.3 Sie mobilisiert gegen die Planungen des nord-
östlichen Altstadtrings, gegen Banken, Brauereien, Wohnbauspekulanten und die „Gefräßigkeit“ der Bayerischen Versicherungskammer, der im Lehel allein 21 Gebäude gehören. Zwischen 1961 und 1970 verringerte sich die Bevölkerung im Viertel um ein Fünftel; 1970 verlassen weitere Tau-
send Bewohner das Lehel.4 Am 8. Juli demonstrieren Lehel-Bewohner und die DKP für die Erhal-
tung ihres Wohngebiets. Auf dem Transparent an der Spitze des Zuges heißt es: „Hände weg vom Lehel!“5

In einer Bürgerversammlung in Perlach im September kommt ein Fernsehteam, das das Viertel
als gigantische Fehlplanung bezeichnet, kaum zu Wort. Die Perlacher sind sauer, da sie sich unzu-
treffend beschrieben vorkommen.

Aus dem Café Annast am Odeonsplatz 18 soll eine Bankfiliale werden. Es entsteht ein „Annast-Komitee“; die Staatliche Schlösserverwaltung entdeckt eine Verordnung aus dem Jahre 1861,
die unvermutet Hilfe bietet; die Stadt erlässt eine aufschiebende Verordnung; im Herbst ist das Annast gerettet.6

Schon im Frühsommer trafen sich Engagierte der Maxvorstadt in der Pfarrei St. Ludwig, um zu be-
sprechen, wie und wo man eine Bürgerinitiative aufbaut. Im Herbst bildete sich ein kleiner Kreis von fünf Mitarbeitern der Pfarrei. Dann hat sich eine alte Frau, der gekündigt worden war, umge-
bracht. Am 3. November provoziert Prof. Dr. Werner Suerbaum mit einem aufrüttelnden 20-Punk-
te-Papier7 den Gemeinderat von St. Ludwig. Jetzt entsteht um ihn, Pfarrer Ralf Dantscher und
die weiteren Mitstreiter die Aktion Maxvorstadt. Im Dezember erscheint das erste Flugblatt, eine Fragebogenaktion wird durchgeführt. Die Gruppe erforscht die Besitz- und Nutzungsverhältnisse im Viertel.8

Siehe auch „Kinder“ und „Hasenbergl …“.

(zuletzt geändert am 9.7.2020)


1 Siehe „Drei wohltätige Vereine“.

2 Gebrauchsgraphik International Advertising Art 4 vom April 1970, München, 47.

2 „Als das Lehel den Banken und Versicherungen zum Fraß vorgeworfen werden sollte, haben wir Jungsozialisten in überparteilichen Initiativen die Kommunalpolitik, die bis dato nur eine Angelegenheit des Oberbürgermeisters, des Stadtrats und der Verwaltung war, ‚politisiert’. Jetzt wurde Kommunalpolitik zum Anliegen jeder Mitbürgerin, jedes Mitbürgers. Am lokalen Problem gelang es uns, die Strukturprobleme darzustellen und in der Bevölkerung ein Bewusstsein über die Zusammenhänge herzustellen. Die erste Bürgerinitiative entstand im Lehel. Viele begannen sich zu engagieren. Seitdem nehmen angeschoben von dieser Bürgerbewegung Bezirksausschüsse immer häufiger entscheidende Aufgaben wahr.“ Konrad Kittl am 21. April 2009. Siehe „Zur Geschichte der IGS“ von Eicke Winckler.

3 Siehe „Lehel“.

4 Fotos: Stadtarchiv Standort ZB-Ereignisfotografie-Politik-Demonstrationen.

5 Siehe „Da ging es im Grunde genommen um das Fluidum einer Stadt …“von Karl Klühspies.

6 Vgl. Suerbaums „Eine Provokation“ in 10 Jahre Aktion Maxvorstadt 1971 — 1981, 19 ff.

7 Siehe „Die Kraft habe ich erstens aus meiner Empörung genommen …“von Karl Klühspies.