Flusslandschaft 1980
Bundeswehr
»Fiad Leid beim Barras // S Land brennd / Miadda schrein / Kinda woana / da Vada is dod / Sei Sohn tritt ois / mid de Stiefen in Dreck / Mid Bluad / an de Finga / langda aa nach dia / S Land brennd«2
Wer bei der Musterung verweigert, hat eine Gewissensprüfung zu bestehen. Dies fällt eloquenten Gymnasiasten leichter als Lehrlingen.3
28. Oktober: „Wegen der geplanten öffentlichen Vereidigung von Rekruten der Bundeswehr am 6. November 1980 auf dem Königsplatz kommt es zu Auseinandersetzungen zwischen den Stadtrats-
fraktionen. In einer gemeinsamen Erklärung begrüßen die drei Bürgermeister und die Vorsitzen-
den der CSU- sowie der FDP-Stadtratsfraktion das Gelöbnis … Der SPD-Fraktionsvorsitzende Salzmann heißt in einer eigenen Stellungnahme die nach München kommenden Soldaten will-
kommen, spricht sich aber gleichzeitig gegen das öffentliche Ritual aus. Gegen das ‚militärische Schauspiel’ wendet sich auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft.“4 – Am 4. Novem-
ber begründet die Stadt das Demonstrationsverbot bei dem feierlichen Gelöbnis der Bundeswehr.5 Am Tag danach bestätigt das Verwaltungsgericht dieses Verbot.6 In der Nacht zum 6. November richtet ein Molotow-Cocktail beträchtlichen Sachschaden im Kreiswehrersatzamt in der Hufe-
landstraße an.
6. November, sechs Wochen nach dem Wiesnattentat: „Aus Anlass des 25-jährigen Bestehens der Bundeswehr legen 2.000 Rekruten das ‚feierliche Gelöbnis’ ab. In Ansprachen heben der Befehls-
haber im Wehrbereich VI, Generalmajor Wolfgang Kessler, und Ministerpräsident Strauß die Be-
deutung der Bundeswehr für die Erhaltung des Friedens hervor. Abschluss der Feier ist im Rah-
men eines militärischen Zeremoniells der Große Zapfenstreich.“7 Die Rekrutenvereidigung auf dem Königsplatz, die Erinnerungen an Militäraufmärsche während der NS-Zeit auf dem Platz lebendig werden lässt, provoziert etliche Gegendemonstrationen, die von Polizeiketten in die Ecken des Königsplatzes gepfercht sind.8 Strauß meint unter massiven Missfallenskundgebungen: „… Denn Bayern hatte stets in Geschichte und Gegenwart ein unverkrampftes Verhältnis zum Militärischen als politischer Gestaltungsform …“
Einer, der vereidigt werden soll, Pionier Richard Eicher, ruft: „Ich sage JA zum Gelöbnis, das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, aber ich sage NEIN zum Militärspek-
takel. Vor allem auch deshalb, weil dieser militärische Aufmarsch offenbar bewusst an einem Ort durchgeführt wird, an dem schon die Nazis ihre Soldaten auf den bisher schrecklichsten Krieg der Weltgeschichte eingeschworen haben.“ Eicher wird sofort abgeführt, da tönt es von der Ehrentri-
büne „Schlagt ihn zusammen, den Hund!“
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Unter anderem organisiert auch die Münchner Bürgerinitiative für Frieden und Abrüstung den Protest. Heinz Jacobi trägt ein Schild, auf dem zu lesen ist „Für den Sieg im III. Weltkrieg“. „Als Oberst Ochsenkühn – ich glaube, so hieß er – als Oberst Ochsenkühn rief ‚Fahnenträger her zu mir’, da habe ich mein Schild genommen und bin brav zu ihm hinmarschiert. Und es gab ein wunderbares Foto, als ich so demonstrativ vor ihm stand. Dann schloss ich mich erst der Gleich-
schritt-Horde an, wurde mehrmals aufgefordert, abzuhauen und schritt schließlich noch die Front ab.“10
„Am 6. November fand zum 25. Bestehen der Bundeswehr auf dem Königsplatz in München mal wieder ein – politisch umstrittenes – Rekrutengelöbnis statt. Mitglieder des Ortsvorstandes und des Ortsverbandes nahmen an einer Gegendemonstration teil, deren Versammlung an der Feld-
herrnhalle verboten worden war. Trotzdem zogen die Demonstranten mit Fackeln und aufgespieß-
ten Tauben aus Pappe (nach J. Heartfield) in loser Formation (3 m Abstand zwischen den Teil-
nehmern) durch München und wurden an der Feldherrnhalle und allen weiteren Zugangswegen zum Königsplatz ständig von großem Polizeiaufgebot abgedrängt. Trotz dieser Hindernisse gelang es den Gegendemonstranten bis zuletzt, einen einheitlichen Zug zu bilden.“11
Bei Auseinandersetzungen mit der Polizei werden dreißig Demonstranten verletzt, fünfzig fest-
genommen.12 – Nach der Rekrutenvereidigung schreibt ein besorgter Mensch an Politiker, um Antworten auf seine Fragen zu bekommen. Diese „Antworten“ veranlassen einen weiteren, jetzt sehr unzufriedenen Menschen zu einem Artikel.13
Siehe auch „Frauen“ und „Internationales“.
(zuletzt geändert am 29.1.2021)
1 werden 80. Jahrbuch für die deutschen Gewerkschaften, Köln 1980, 197.
2 Bernhard Setzwein. Hobzd mi gern. Haß – und Liebesgedichte, Feldafing 1980, 16.
3 Siehe „Dann hat das Leben den berühmten Sinn …“ von Stefan Reitsam.
4 Stadtchronik, Stadtarchiv München; vgl. Süddeutsche Zeitung 252/1980 und 253/1980.
5 Vgl. Süddeutsche Zeitung 256/1980.
6 Vgl. Süddeutsche Zeitung 257/1980.
7 Stadtchronik, Stadtarchiv München. Foto von Thomas Tielsch: Rekrutengelöbnis Königsplatz 6. November 1980, Verlag Hias Schaschko.
8 Vgl. Süddeutsche Zeitung 258/1980 und 259/1980.
9 Heinz Jacobi beim Rekrutengelöbnis, Privatsammlung
10 Heinz Jacobi am 9. August 2009.
11 Mitteilungen der Humanistischen Union 4 vom Dezember 1980, 88.
12 Siehe „Königsplatz 1980 Aufmarschplatz“ von Stefan Haug.
13 Siehe „Faule Antworten von Ministern“ von Walter Harless.