Flusslandschaft 1982

AusländerInnen

Gegen den Ausländererlass, die sogenannten „Maßnahmen zur Stabilisierung der ausländischen Wohnbevölkerung“ bildet sich ein Initiativkreis in der Evangelischen Studentengemeinde in der Friedrichstraße 25, darunter die Initiative der mit Ausländern verheirateten Frauen, Kinderbe-
treuung
e.V., Projektladen Haidhausen, Arbeitskreis Mehr Ausländer an die Hochschulen, die Abteilung „Ausländische Arbeiter“ an der Volkshochschule, SchülerInnen und Rechtsanwälte. Der Initiativkreis ruft für den 6. Februar um 10.30 Uhr zu einer Demonstration auf. „Vom Königsplatz zum Marienplatz bewegt sich heute ein Demonstrationszug unter dem Motto ‚Sind Ausländer Menschen 2. Klasse?’ Rund tausend Menschen nehmen an der Veranstaltung der ‚Initiative gegen Ausländererlasse’ teil.“1

Die Regierung Helmut Kohl kündigt die Lösung des „Ausländerproblems” an. Der herrschende Diskurs zeichnet sich durch eine ausgeprägte Wortwahl aus:
• ‚Überfremdung’, ‚Ausländerproblem’, ‚Assimilationsunfähigkeit’.
• Komposita mit ‚flut’ als Zweitkonstituente, zum Beispiel ‚Ausländerflut’ oder ‚Gastarbeiterflut’.
• ‚Asylantenschwemme’ und ‚Ausländerschwemme’, ‚Asylantenlawine’.
• Komposita mit ‚welle’ (‚Einwanderungswelle’, ‚Übersiedlerwelle’) oder mit ‚strom’ (‚Asylbewer-
berstrom’, ‚Flüchtlingsstrom’, ‚Aussiedlerstrom’); ‚Ausländerzustrom’.
• ‚Wirtschaftsflüchtlinge’, ‚Scheinasylanten’, ‚Einwanderungsland’, ‚Schmelztiegel’ und ‚multi-
kulturelle Gesellschaft’.
In der Süddeutschen Zeitung vom 22. Februar 1982 heißt es: „‚Negativ besetzt’ ist jeder mit ‚Asyl’ gebildete Begriff allemal, dazu bedarf es keiner Meinungsumfrage. Dafür haben schon die an-
haltenden Horrormeldungen über die ‚Flut’ und den ‚Strom’ von ‚Wirtschaftsflüchtlingen’ und ‚Scheinasylanten’ gesorgt.“2

„Untersuchungen von Soziologen belegen, dass ‚erlebte Diskriminierung’ in der Bundesrepublik Deutschland stärker zu Ghettobildung unter Ausländern führt als in der Schweiz, in der eine In-
tegration leichter fällt; es wird u.a. festgestellt, dass in Deutschland Italiener und Türken gleich ‚schlecht’ behandelt werden, womit das gern vorgebrachte Argument ‚fremde Religion’ bzw. ‚ande-
rer Kulturkreis’ entkräftet wird; Roma, die als Jugoslawen, Türken, Spanier oder Griechen in der BRD leben, nimmt die deutsche Umgebung nicht differenziert als ‚Zigeuner’, sondern nur als ‚fremd’ bzw. ‚ausländisch’ wahr; sie rechnet nicht damit, mit ‚Zigeunern’ zusammenzuleben.“3

Am Platz der Opfer des Nationalsozialismus befindet sich am 4. Juni eine Mahnwache gegen Aus-
länderfeindlichkeit.4

Unbekannte laden eine Fuhre Mist am 3. Juni vor dem Sozialreferat ab; sie demonstrieren damit gegen Sozialreferent und CSU-Stadtrat Hans Stützle. Dieser hatte Ende März vor „Problemen und Gefahren gewarnt, die durch Überfremdung durch ethnisch und kulturell fern stehende Zuwande-
rer“ drohten.5 Etwa hundert Mitarbeiter des Sozialreferats distanzierten sich daraufhin am 21. April mit einer Unterschriftenaktion vom Referenten. Dieser schrieb an die Unterzeichner, dass ihre „vom Sozialreferenten abweichende in demonstrativer Form zum Ausdruck gebrachte Mei-
nung“ der vertrauensvollen Zusammenarbeit nicht dienlich sei. – Am 8. Juni stellt sich die ÖTV hinter die gescholtenen Kolleginnen und Kollegen. – Am 27. Juni soll eine öffentliche Diskussion im Gemeindesaal von St. Elisabeth in der Breisacher Straße 8a in Haidhausen stattfinden. Stützle sitzt auf dem Podium, wird aber durch ständige Rufe „Stützle raus!“ am Reden gehindert. Schließ-
lich räumen dreißig Polizeibeamte den Saal. – Am „Tag des Ausländers“, am 26. Juni protestieren achtzehn Menschen mit Spruchtafeln für die Entlassung des Sozialreferenten Stützle. Bürgermei-
ster Gittel lässt die Demonstranten von der Polizei ins Rathaus für eine Personalienfeststellung drängen.

Ein Sozialarbeiter hört, 30.000 Türken gehörten vergast, dann wär Ruhe in München.6

Für den 4. Juli lädt die Evangelische Studentengemeinde ein: „Ausländer und Deutsche feiern ein Straßenfest für den Frieden! Gemeinsam gegen Ausländerfeindlichkeit!“7

Thomas und Münnever Schnackenburg wollen sich in friedlichem Einvernehmen scheiden lassen. Die beiden wohnen mit ihrem Kind Denya in der Senftenauerstraße 20. Thomas will ausziehen und den Mietvertrag auf seine Frau übertragen lassen. Durch ihren Anwalt lässt „die Hausherrin der Bewohnerin mitteilen, sie habe die Wohnung ‚unverzüglich zu räumen‘. Es sei ‚unzumutbar‘, so heißt es in der Begründung, ‚dass ihr nunmehr ein Mietverhältnis mit einer Ausländerin und einem ausländischen Kind aufgedrängt wird, das weder in den sozialen Charakter des Hauses noch in die Umgebung überhaupt passt‘. In der umliegenden Wohngegend, erläutert der Anwalt …, seien ‚äußerst wenig Ausländer vorhanden‘, und es handele sich um ‚einen Stadtteil, der gutbürgerlich bewohnt wird‘; die Ausländerin Schnackenburg ‚würde daher als „Fremdkörper“ in der Wohnanla-
ge wirken, besonders dann, wenn ihr deutscher Ehegatte nicht mehr anwesend bzw. nicht mehr dort wohnhaft ist‘ … Die ‚Angelegenheit‘ habe ‚nicht im geringsten mit Nazi-Ideologie zu tun‘, son-
dern beruhe auf ‚natürlichen Unterschieden in der Mentalität und Lebensweise zwischen jenen Mitbürgern aus Ländern der südlichen Hemisphäre gegenüber denen der nördlichen Hemisphäre‘. Und: ‚Diese Unterschiede sind bei der Besetzung einer Wohnung allein schon aus sozialpolitischen Gründen zu berücksichtigen.‘ …“8

(zuletzt geändert am 24.6.2020)


1 Stadtchronik, Stadtarchiv München; vgl Süddeutsche Zeitung 31/1982. Siehe „Die Gefolgschaft formiert sich“.

2 Siehe „Stoppt die Ausländerhetze!“.

3 Robert Schlickewitz, Sinti, Roma und Bayern. Kleine Chronik Bayerns und seiner „Zigeuner“, 2008, www.sintiromabayern.de/chronik.pdf, 149.

4 Vgl. Süddeutsche Zeitung 127/1982.

5 Vgl. Süddeutsche Zeitung 126/1982; siehe „Was sind uns Menschenrechte noch wert …“.

6 Süddeutsche Zeitung vom 25. Juni 1982.

7 Stadtarchiv, Zeitgeschichtliche Sammlung 167/3.

8 Der Spiegel 33 vom 16. August 1982, 74.