Flusslandschaft 1983

CSU

Der Chef der Mahag, Fritz Haberl, lädt im Januar zu seinem 50. Geburtstag rund 1.000 Freundin-
nen und Freunde ins Deutsche Theater ein. Anwesend ist auch beinahe vollzählig die bayerische Staatsregierung mit Franz Josef Strauß an der Spitze. Das Fest kostet rund 300.000 Mark. Aber es lohnt sich. Man trifft sich, läßt es krachen und betreibt politische Landschaftspflege.

Otto Wiesheu übernimmt am 1. April das Amt des CSU-Generalsekretärs. Nach einem von ihm mit seinem Dienst-Mercedes 380 SE am 29. Oktober auf der Autobahn verschuldeten Verkehrsunfall mit 1,69 Promille im Blut und mit einem toten polnischen Taxifahrer veranlassen ihn viele Prote-
ste, dass er im November des Jahres sein Amt niederlegt. Wiesheu wird zu zwölf Monaten Haft auf Bewährung und zu 20.000 DM Geldstrafe verurteilt, woraufhin er zurücktritt und zunächst Ge-
schäftsführer der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung wird. Von 1993 bis 2005 wirkt er nach der Wahl Edmund Stoibers zum bayrischen Ministerpräsidenten als bayrischer Staatsminister für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie, ab November 2005 bis 2009 ist er Vorstands-
mitglied der Deutschen Bahn AG. Manche finden das gut, denn dann „sei er weg von der Straße“.


„Eine neue Jugendsekte findet in der BRD reißenden Anhang, rein äußerliches Kennzeichen ihrer Anhänger sind selbstgestrickte Janker, ein weichgekochter Fertigbinder mit Salmimuster und ein um den dicken Hals hängender Bilderrahmen aus braunem Nappaleder, der das Bild ihres Gurus zeigt. Am schnellsten erkennt man seine Jünger aber am Gesicht, auf dem sie mit aller Hingabe zeigen, was Meister Franz Josef Strauß ihnen schon alles gelernt hat.“1

Schon 1945 hatte Bayern mit der sowjetischen Besatzungszone ein Handelsabkommen geschlos-
sen. Über Jahrzehnte profitieren bayrische Firmen vom niedrigen Lohnniveau und der Billigpro-
duktion vor der eigenen Haustüre. Diese gewinnbringende „Partnerschaft“ gefährdet die Bonner Politik, die eine Konföderation von BRD und DDR anstrebt. Franz Josef Strauß will, dass alles so bleibt, wie es ist. Kurz nach der „Bonner Wende“ treffen sich am 5. Mai im Gästehaus des Rosen-
heimer Wurstfabrikanten Josef März in Spöck am Chiemsee Strauß mit dem Gesandten der DDR-Regierung, Schalck-Golodkowski, „und verstanden sich sogleich. Schon zu Beginn des deutsch-
landpolitischen Meinungsaustausches legte Strauß seine grundsätzliche Position dar, die von sei-
nem Gesprächspartner sicherlich mit einiger Überraschung notiert wurde: ,Die Leute, die immer von der angeblichen Wende reden und von Konfrontation, die sitzen nicht in Bayern. Ich bin und bleibe in der Sache hart und konsequent. Ich bekenne mich dazu, dass ich auch das Karlsruher Urteil des Bundesverfassungsgerichts veranlasst habe. Aber ich bin – wie oft dargestellt – kein emotionaler Buhmann, sondern ein nüchterner Intellektueller, der die Gesamtlage in der Welt einschätzt und daraus auch das Verhältnis zwischen den beiden deutschen Staaten – das politisch Machbare und Nichtmachbare.’ – Schon diese erste Begegnung zwischen Schalck und Strauß ging weit über ein Abtasten politischer Grundsatzpositionen hinaus. Offen sprach Schalck die Frage an, wie ,die Gespräche zur Gewährung eines Finanzkredites von einer Milliarde DM ohne Junktim zu anderen Fragen (d.h. ohne eine Gegenleistung der DDR in Sachen Reisefreiheit oder andere poli-
tische Vorleistungen – G.G.) weitergeführt werden können’. Die Antwort von Strauß fiel eindeutig aus: ,Herr Schalck, nachdem ich Sie persönlich kennen gelernt habe und den Eindruck habe, dass man Ihnen trauen kann, möchte ich mich dafür engagieren, in einem Gespräch am 19. Mai mit Kohl, dass die Bundesrepublik den ersten Schritt geht ohne Herstellung eines Junktims und der Finanzkredit in zwei Raten mit 500 Millionen Mark durch ein Bankenkonsortium an die Außen-
handelsbank der DDR ausreicht.’ – Ohne sich umständlich winden zu müssen, war Schalck und Strauß auch sofort klar, dass ein für beide Seiten akzeptabler Weg gefunden werden müsste, das Entgegenkommen der Bundesrepublik in der Kreditfrage politisch zu belohnen. Strauß, der in vergangenen Zeiten so oft ein unmittelbar sichtbares ,do ut des’, ein Geben und Nehmen, ange-
mahnt hatte, musste dabei gar nicht erst überzeugt werden, dass dies nicht durch eine formelle Verknüpfung geschehen könne: Er ,verstehe gut’, dass für Honecker ,ein Junktim unannehmbar ist’. Statt dessen schlage er vor, dass der SED-Chef ,zu einem Zeitpunkt, den er für angemessen hält’, seine Gegenleistung erbringe, ,ohne dass es dazu irgendwelche schriftlichen Vereinbarungen gibt’.“2 – Die DDR bekommt im Juli ihren Milliardenkredit, Strauß verzögert aus eigensüchtigen Gründen den Zusammenbruch der DDR.3 Im Rahmen einer als privat bezeichneten Reise in die Tschechoslowakei, Polen und in die DDR trifft Strauß mit dem Staats- und Parteichef der DDR, Erich Honecker, im Schloß Hubertusstock am Werbellinsee zusammen. Nachdem der Deal be-
kannt wird, protestieren CSU-Mitglieder. Einige spalten sich ab und gründen eine neue Partei: Die Republikaner. Siehe „Rechtsextremismus“.

Am 22. Oktober spricht Strauß auf dem Marienplatz. Das Anti-Strauß-Komitee verteilt im Vorfeld Flugblätter und ruft zu Protesten auf. Am 21. Oktober durchsucht die Politische Polizei zwei Woh-
nungen von Mitgliedern des Komitees.4

An Strauß scheiden sich die Geister. Der Nimbus, der ihn umgibt, löst beinahe religiöse Verehrung aus. Strauß bedient Heilserwartungen und zelebriert den omnipotenten Staatsmann – Proteste prallen an ihm ab.5

(zuletzt geändert am 18.12.2019)


1 Titanic. Das endgültige Satiremagazin 5 vom Mai 1983, 4.

2 Die Zeit 16 vom 12. April 1991.

3 Näheres dazu bei Prof. Albrecht Goeschel und Dipl.Geogr. Markus Steinmetz, „Bayern: 1980er Offensive von Strauß und Ärztezeitung gegen Bonn“ in: https://heise.de/-4603999

4 Siehe „Justiz … oder Haussuchung nach Brecht“ von Heinz Jacobi.

5Der Frieden und die Leserbriefe“ von Werner Graf.