Flusslandschaft 2004

Gewerkschaften/Arbeitswelt

Allgemeines
DGB

- Deutsche Post, Postbank, Telekom
- Gerichte, Bauamt und Behörden
- Kindertagesstätten
- Öffentlicher Dienst
- Schulen
- Siemens
- Tageszeitungen
- Zeitarbeitsfirmen


1

Am 6. November findet in Nürnberg eine Demonstration unter dem Motto „Gemeinsam gegen Sozialraub, Agenda 2010 und Hartz IV“ statt. Ein Bus mit etwa fünfzig Menschen fährt aus Mün-
chen los.2

DGB

Am Dienstag, 16. März, findet um 12 Uhr ein „buntes Programm“ auf der Praterinsel statt, ab
15.30 Uhr demonstriert der DGB und um 16.30 Uhr kommt es zur Kundgebung gegen Sozialabbau („Stoibers Kürzungsorgie“) auf dem Marienplatz mit über 10.000 Menschen unter dem Motto „Ge-
genwehr“.

Etwa 1.200 Menschen gehen am Ersten Mai bei der Demonstration des DGB mit.3

DEUTSCHE POST, POSTBANK, TELEKOM

ver.di ruft am 14. September in München und Hamburg sowie am 16. September in Düsseldorf Beamtinnen und Beamte der Unternehmen Deutsche Post AG, Deutsche Postbank AG und Deut-
sche Telekom AG
zu Demonstrationen für bessere berufliche Perspektiven auf. Damit machen die Gewerkschafter mobil gegen Pläne der Postnachfolgeunternehmen und der Bundesregierung, das Postpersonalrechtsgesetz für die rund 160.000 Beamtinnen und Beamten massiv zu verschlech-
tern.4

GERICHTE, BAUAMT und BEHÖRDEN

Am 17. November protestieren vor dem Justizgebäude am Lenbachplatz etwa hundert Beschäftigte des Münchner Amtsgerichts, des Landgerichts München I, des Oberlandesgerichts sowie des Bau-
amts München
und weiterer Behörden gegen die Arbeitszeitverlängerung auf 42 Stunden. – Mitt-
woch, 17. November 9.30 – 11.30 Uhr Agentur für Arbeit München: „Bundesweiter dezentraler Aktionstag gegen Hartz IV. Arbeitslosenhetze schafft keine Arbeitsplätze. Stoppt die Räuber! Kundgebung mit Redebeiträgen, Infoständen, Straßentheater u.a. Aktion gegen Sozialkahlschlag im Sozialforum München.“5

KINDERTAGESSTÄTTEN

Das neu geplante Kindertagesstättengesetz (KitaG) soll dafür sorgen, dass Kommunen und Land finanziell entlastet werden. Entweder werden die Elternbeiträge angehoben und/oder die Kinder-
gruppen wachsen auf über 25 Kinder. Auch die Arbeitsbedingungen für ErzieherInnen werden durch erhöhten Verwaltungsaufwand erschwert werden. Das Aktionsbündnis Kinder brauchen Qualität protestiert am 9. Oktober auf dem Marienplatz.

ÖFFENTLICHER DIENST

Am 26. Januar stellen die Staatsminister Wiesheu (Wirtschaft), Huber (Verwaltungsreform) und Faltlhauser (Finanzen) die Pläne zur „Reform" von Arbeitszeiten und weiteren Sparmaßnahmen bei den Beschäftigten im Öffentlichen Dienst vor. Zu Beginn werden die Konferenzteilnehmer mit einem Zitat von Mao Tse-tung begrüßt: „Wenn man den Sumpf austrocknet, darf man nicht die Frösche fragen." Beim Freistaat sollen ca. 5.200 Stellen durch Arbeitszeitverlängerung entfallen. Auch bei der Landeshauptstadt drohen Arbeitszeitverlängerung und Stellenabbau. Am 16. März demonstrieren 12.000 Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter auf dem Marienplatz.

SCHULEN

Das Kultusministerium plant eine Arbeitszeiterhöhung für Lehrer ohne Bezahlung. Daraufhin be-
schwert sich ein Beamter, der darauf hinweist, dass die Arbeitsbedingungen sowieso schon mise-
rabel und die persönlichen Belastungsgrenzen bei weitem überschritten seien. Das Ministerium antwortet am 6. Februar: »Dienstpflichten der Lehrkräfte – Nach der Regeierungserklärung (kein Druckfehler der DDS, sondern Originalwortlaut d.V.) des Herrn Ministerpräsidenten vom 6. No-
vember 2003 ist Ziel der Staatsregierung die Ver1ängerung der Arbeitszeit der Beamten und An-
gestellten auf 42 Stunden pro Woche. Es ist noch nicht entschieden, wie eine solche Arbeitszeiter-
höhung auf die Unterrichtspflichtzeit der Lehrer übertragen werden soll. Im Übrigen verpflichtet Art. 64 Abs.1 Satz 1 des Bayerischen Beamtengesetzes den Beamten dazu, sich mit voller Hingabe seinem Beruf zu widmen. Eine Diensterfüllung „nach Vorschrift“ würde eine Dienstpflichtverlet-
zung darstellen, die disziplinarrechtlich geahndet werden kann.«6 Seltsam, dass der Empfänger dieses Briefs sich zurechtgewiesen und eingeschüchtert vorkommt.

SIEMENS

Angeblich sind die deutschen Arbeiterinnen und Arbeiter zu teuer. Drohungen, dass Arbeitsplätze ins Ausland verlagert werden, schüchtern die Belegschaften so ein, dass sie beinahe jede Kröte schlucken. Siemens-Vorstandschef Heinrich von Pierer, den Jahre später, im September 2009 der Konzern auf Milliarden verklagen will, wenn er nicht sechs Millionen Euro Schadenersatz für die Schmiergeldaffäre zahlt, drohte am 9. März 2004 auf der Betriebsversammlung von Siemens Per-
lach
recht erfolgreich.7

Gebetsmühlenartig wiederholt auch der Chef des Münchner Ifo-Instituts, Hans Werner Sinn, dass deutsche Arbeiterinnen und Arbeiter zu teuer sind. In jeder Talkshow tritt er auf, in jeder Zeitung wird er zitiert, natürlich auch im Bayernkurier.8

Am 14. Mai 2004 bekam bei den Betriebsratswahlen bei Siemens Hofmannstraße die Liste der IG Metall 46 Prozent der abgegebenen Stimmen im Unterschied zur letzten Wahl (40 Prozent). Die Arbeitsgemeinschaft unabhängiger Betriebsangehöriger (AUB), eine „gelbe Gewerkschaft“, er-
hielt 17 Prozent (vorher 27 Prozent).9 „Rd. 200 Kündigungsschutzklagen waren eingereicht wor-
den. Der Betriebsrat hatte Widerspruch erhoben. Die IG Metall unterstützt die Kolleginnen und Kollegen. In 1. Instanz entschied das Arbeitsgericht in allen bisher verhandelten 125 Fällen gegen den Konzern. Siemens ging in Berufung. Das Landesarbeitsgericht (LAG) entschied jetzt am 19. 5. d.J. die ersten beiden Berufungsverfahren und erklärte die Kündigungen für unwirksam. Das lässt für die übrigen (gleichgearteten) Fälle erwarten, dass das LAG die Kündigungen auch für unwirk-
sam erklären wird. Revision ließ das LAG nicht zu. Die Urteile sind also rechtskräftig; Siemens muss die Kollegen weiter beschäftigen.“10 Für den 16. Juni waren Demonstrationen an allen Sie-
mens
-Standorten geplant.

Am 17. Dezember kommt ins Siemens-Casino in der Richard-Strauss-Straße der Weihnachts-
mann.11

TAGESZEITUNGEN

Die ersten Streiks der Redakteurinnen und Redakteure bei Tageszeitungen beginnen am 29. Janu-
ar. In bundesweit siebzig Redaktionen sind am Donnerstag rund 2.000 Beschäftigte dem Aufruf vom Deutsche Journalisten-Verband (DJV) und von der Deutschen Journalistinnen- und Jour-
nalistenunion
(dju) in ver.di gefolgt und treten in den unbefristeten Ausstand. In München legen Beschäftigte der Süddeutschen Zeitung bei einem Warnstreik die Arbeit nieder. „Jetzt sind die Arbeitgeber am Zug, ein verhandlungsfähiges Angebot auf den Tisch zu legen“, sagt ver.di-Vize Frank Werneke.

ZEITARBEITSFIRMEN

In der Nacht vom 15. auf den 16. November klirren bei drei Zeitarbeitsfirmen die Fenster.12

(zuletzt geändert am 29.11.2020)


1 Aufkleber-Sammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung

2 Siehe „Antrag an die Bürgerversammlung im 11. Stadtbezirk“ von Erwin Brandl.

3 Vgl. Münchner Lokalberichte 10 vom 13. Mai 2004, 4 f.

4 Siehe „Den ehemals im Postdienst Beschäftigten“ von Knut Becker.

5 www.m-sf.de/archiv-aktuell-2004-11.php#nuernberg

6 Zit. in: Die Demokratische Schule. Hg. von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Bayern vom Mai 2004, 17.

7 Siehe „Skandal“.

8 Siehe „International üblich“ von Franz Niedermaier.

9 „Musterkonzern Siemens: Eine kriminelle Vereinigung? – Wie es scheint, hat Siemens von langer Hand, d.h. über die Strecke von Jahrzehnten, zur Aushebelung der IG Metall eine eigens auf die Konzernbedürfnisse zugeschnittene Gewerk-
schaft ausgebaut. Und dies, nach derzeitigem Stand der Ermittlungen, also noch nicht gerichtsfest bewiesen, mit Hilfe des Sohnes von Helmut Schelsky, jenes CDU-Ideologen, der 1975 mit seinem Bestseller ‘Die Arbeit tun die anderen. Klassen-
kampf und Priesterherrschaft der Intellektuellen’ das Rollback gegen die 68er und deren Klassenkampftheorie auf die de-
magogische Spitze trieb. Jetzt sitzt der Sohn als heimlicher Klassenkämpfer für Siemens in U-Haft.“ BIG. Business Crime 2/2007, 13.

10 Arbeiterstimme 144 vom Sommer 2004, 7.

11 Siehe „Weihnachtsmann klaut Weihnachtsgeld“ und „Siemens: Erfahrungen eines Arbeitskampfes“ von Leo Mayer.

12 Siehe „Zeitarbeit ist moderner Sklavenhandel“.