Flusslandschaft 1976

Militanz

Strafverteidiger, die in politischen Prozessen tätig werden, laufen in ganz Deutschland Gefahr, selbst zu Beschuldigten zu werden. Auch Münchner Rechtsanwälte werden überwacht und auch festgenommen.1

„Anschläge auf Hypobank: Politische Motive? – Die Zeit der Explosion im Rohbau des Hypobank-Verwaltungszentrums an der Arabellastraße, bei der am Wochenende ein Schaden von rund 100.000 DM entstand, konnte jetzt festgelegt werden. Eine Passantin, die am vergangenen Sams-
tag um 23 Uhr in der Arabellastraße ging, meldete sich jetzt beim Landeskriminalamt in der Mail-
lingerstraße. ‚Ich hörte einen Krach wie Donnerrollen’, gab sie zu Protokoll. Dabei dürfte es sich um die Explosion gehandelt haben, die, wie sich jetzt herausstellte, durch sechs Sprengkörper ausgelöst worden ist. Der Anschlag hat Ähnlichkeit mit einem anderen, der am 13. April dieses Jahres gleichfalls auf einen Hypobank-Bau verübt worden war. An jenem Tag – zwischen zwei und fünf Uhr morgens – war im Keller des Rohbaues der Hypobank München-Perlach eine Sprengla-
dung detoniert, wobei ein Schaden von 30.000 DM entstanden ist. Es könnte sich in beiden Fällen um die gleichen Täter handeln, möglicherweise um Anschläge mit politischer Motivation, da sie sich gegen eine Großbank richteten.“2 (Bogenhausen) — Seit dem 18. August stellt das Anti-Terror-Gesetz die „Bildung terroristischer Vereinigungen“ unter Strafe.

Am 16. September spricht der Münchner Rechtsanwalt Hartmut Wächtler auf einer Veranstaltung anlässlich des 51. deutschen Juristentags in Stuttgart. Einer der Zuhörer im Saal ist Heribert Prantl, welcher den Referenten nach seiner Rede anspricht, um Näheres erläutert zu bekommen.3

Rolf Pohle wurde im Juli 1976 in Athen verhaftet. Deutschland verlangt nun seine Auslieferung. Das Athener Oberlandesgericht lehnt dies ab, worauf die deutsche Diplomatie ihren Druck erhöht und mit wirtschaftlichen Sanktionen droht. Eine breite Welle der Solidarität erfasst im Herbst Griechenland. An vielen Athener Hauswänden ist auch noch Jahre später „Freiheit für Pohle“ zu lesen. Erst der mit 6:1 Stimmen erfolgte Spruch des höchsten Gerichts, des Areopag, im Oktober (zwei Tage vor den deutschen Wahlen) veranlasst die Auslieferung. Bis 1978 sitzt Pohle in der JVA Straubing, bis zum September 1982 in der JVA Kaisheim.

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Das Flugblatt der Bewegung der neuen Linken fordert „Freiheit für Pohle —
unabhängige griechische Justiz“.

(zuletzt geändert am 4.1.2021)


1 Siehe „Einschränkung der Verteidigerrechte – Berufsverbot für Anwälte!“ von Jürgen Arnold.

2 Süddeutsche Zeitung vom 8. Juli 1976. Siehe dazu auch „Der Osten“.

3 Siehe „Die strafrechtliche Verfolgung politischer Meinungsäußerungen in der Bundesrepublik Deutschland“ von Hartmut Wächtler.

4 Privatsammlung

Überraschung

Jahr: 1976
Bereich: Militanz