Flusslandschaft 1986

CSU

Welches sind die Voraussetzungen, um in einer Partei Karriere machen zu können? Sicher ist
es wichtig, die Parteiführung auf sich aufmerksam zu machen. Dabei ist es nicht so wichtig, ob schlecht oder gut über einen geredet wird, Hauptsache ist, DASS geredet wird.1

„Bäderkönig“ Eduard Zwick steckt mit einer 71-Millionen-Mark-Steuerschuld in der Zwickmühle. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, die Polizei sucht ihn per Haftbefehl. Zwick flieht in die Schweiz. Was soll er tun. Da kommt am 29. April der gute Rat, er solle sich doch auf seine Verhandlungs-
fähigkeit hin untersuchen lassen. Franz Josef Strauß schreibt seinem alten Spezi: „Wenn Deine Verhandlungsunfähigkeit festgestellt ist, wird die Strafjustiz, wie mir mitgeteilt wird, das Ver-
fahren entweder vorläufig oder endgültig einstellen und damit zugleich den Haftbefehl aufheben müssen.“ Zwick dankt am 22. Dezember: „Dein Brief hat mir sehr geholfen, ich werde es nie ver-
gessen. Diesem Ratschlag, mich ärztlich untersuchen zu lassen, bin ich nachgekommen … Dein Eduard.“2

„26. Juni 1986: In einem Festakt verlieh Ministerpräsident Franz Josef Strauß den Bayerischen Verdienstorden u.a. an den Exnazi und früheren Bundesvertriebenenminister Prof. Theodor Oberländer (CDU). Oberländer war bereits beim Hitler-Putsch gegen die Weimarer Republik (Marsch auf die Feldherrnhalle in München, am 9. November 1923) dabei und trat 1933 in die NSDAP ein. 1939 schrieb er: ‚Jede deutsche Volksgruppe kann draußen ein Drittes Reich im Kleinen sein und … das Judentum bekämpfen.’ Entsprechend handelte er. 1960 wurde er nach siebenjähriger Amtstätigkeit als Bundesminister entlassen, nachdem das Oberste Gericht der
DDR ihn in Abwesenheit wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt hatte. In seiner Festansprache lobte Strauß die Ordensträger. Sie hätten ‚Wert und Würde unseres freiheitlichen Rechtsstaates’ dadurch bezeugt, dass sie aus ihrem engeren privaten Bereich herausgetreten sind und in die Öffentlichkeit wirken’. Solche Bürger brauche unsere Demokratie.“3

Franz Josef Strauß: „Ich werde den Verdacht nicht los, dass den Hintermännern und Drahtziehern der Anti-Atombewegung daran gelegen ist, die Bundesrepublik in ein Chaos zu stürzen, dessen einziger Nutznießer, die Sowjetunion, dann in Europa die Macht übernehmen könnte. Moskau könnte einen großen strategischen Sieg erringen, wenn sich die Sowjetunion ein zweites Reaktor-
unglück wie in Tschernobyl leisten würde. Das rot-grüne Bündnis, das als Folge davon in Bonn an die Regierung käme, wäre eine Todsünde wider die Zukunft des deutschen Volkes …“4

„Gottseidank is des mitten im August gscheng,“ meinen Verantwortliche der Partei. Schließlich titelt die Abendzeitung am 13. August genüßlich: „Bürgermeister von Kreuth starb im Sexclub. 58jähriger CSU-Politiker erlag einem Herzversagen.“ „Da san d’Leit im Urlaub, da merkas nix,“ meinen die Verantwortlichen. Aber ist das so schlimm, wenn d’Leit was merken? Im Gegenteil, da menschlts endlich. Ein gstandener christ-sozialer Politiker, der nicht dem Bild der herrschenden Doppelmoral entspricht, „is koa guader, is koaner von uns“.

„17. September 1986: Die Bundestagswahl am 25. Januar 1987 wird nach Ansicht des CSU-Chefs Franz Josef Strauß eine ‚schicksalhafte Weichenstellung’ für die Zukunft der Bundesrepublik bringen. Es gehe darum, ob bei einem rot-grünen Wahlsieg ‚der Marsch ins Abenteuer, in das Traumnarrenschiff wieder beginnen’ solle. ‚Ob das rot angestrichen ist oder damals braun angestrichen war, ändert am Endergebnis nicht allzuviel’, sagte Strauß vor mehreren tausend Zuhörern in München.“5

6
Aufkleber, dem Sportflieger FJS gewidmet

Am 12. Oktober sind Landtagswahlen. Um jedes Abstimmungsgebäude zieht sich eine Bannmeile, in der Anti-WAA-Plaketten und -Plakate verboten sind. Auf einem Flyer ist zu lesen: „WARUM BAYERN VORN IST – Heimat Bayern: Kultur und Brauchtum – 1.200 Trachtenvereine, 1.800 Blaskapellen, über 650 öffentliche Museen und Sammlungen, rund 110.000 Denkmäler – Deshalb am 12. Oktober CSU“ Besonders in der Oberpfalz fährt die CSU Verluste ein. Die Grünen ziehen zum ersten Mal in den Landtag ein.

Strauß meint auf dem CSU-Wahlkongress vom 21./22. November 1986: „… Die SPD ist unfähig, eine politisch angelegte Politik zu machen, und die Grünen, die wollen ein ganz anderes Deutsch-
land, die wollen ein Deutschland ohne NATO, ohne Schutzschild der Alliierten, sie wollen die Auflösung der Bereitschaftspolizei, die Auflösung des Bundesgrenzschutzes, die Entwaffnung der Polizei, die Auflösung der Verfassungsschutzämter, praktisch die Auflösung des Bundeskriminal-
amtes – d. h. freie Bahnen nicht für den Tüchtigen, sondern für den Verbrecher, das ist das grüne Programm …“7

Dezember: „Während der Fernsehaufzeichnung der >Fledermaus< aus dem Münchener National-
theater ersieht man inmitten der großen Ensemble-Verbrüderungsszene und mitten im malstrom-
artigen Sog des »Dujidu, dujidu« hinterm Dirigenten in der ersten Parkettreihe, dort, wo immer die Ministeriellen aus der bayerischen Staatsregierung ihre Freiplätze absitzen, einen ebensolchen über die Maßen verschwärmt, ja verzückt wie in seliger Vision sich mitwiegen, ja fast mitschun-
keln. Der unverkennbare CSU-Schädel kriegt dabei übers sterbensdumm Immerschläfrige hinaus etwas fast Mystisches, christushaft-leidend Überirdisches: als ob sein Träger im Rahmen eines Doppelleben-Ichs, so wie es ja Leo Wagner einst der Partei vorgelebt, den auf der Bühne ver-
schwurbelten Obskurdiplomaten und Würdenträgern in nichts nachgäbe, zwängen ihn nicht andererseits erhöhte Wachsamkeit wegen Wackersdorf und eben der Erfahrung Leo Wagner gleichwohl dazu, dieses sofort wieder zu vergessen und es bei einem zweieinhalbstundenlang voll ausgelebten, lottrig wollüstig hingegossenen Traume zu belassen: »Lalala la lala! Lalala lalala!«“8

Siehe auch „Atomkraft“, „Flüchtlinge“, „Gedenken“, „Gewerkschaften/Arbeitswelt“ und „Die Wahrheit von Trudering“.

(zuletzt geändert am 13.12.2020)


1 Siehe „Der Weißwurst-Rambo“ von Carl-Wilhelm Macke.

2 Zitiert in Stern 17 vom 21. April 1994, 24.

3 kürbiskern. Literatur, Kritik, Klassenkampf 1/1987, 106.

4 Zitiert in: Natur. Das Umweltmagazin 7 vom Juli 1986, 3.

5 kürbiskern. Literatur, Kritik, Klassenkampf 1/1987, 108.

6 Privatsammlung

7 Franz Josef Strauß, Auftrag für die Zukunft. Beiträge zur deutschen und internationalen Politik 1985 – 1987, Percha am Starnberger See 1987, 412.

8 Eckhard Henscheid, Polemiken, Frankfurt am Main 2003, 503.

Überraschung

Jahr: 1986
Bereich: CSU

Schlagwörter