Flusslandschaft 1990

Internationales

Allgemeines

- Türkei und Kurdistan
- Sri Lanka
- Südafrika
- Nepal
- DDR und BRD
- Nordamerika
- Irak, Kuweit und USA
- Nicaragua
- Panama und USA


Allgemeines

Im Münchner Rathaus findet der erste „Entwicklungspolitische Ratschlag“ statt. Die Wünsche
des Nord-Süd-Forums an die Stadt München lauten: Unterstützung der Dritte-Welt-Arbeit in München, Initiativen gegen den Rassismus sowie Engagement bei der Ökologie. Gefordert wird von der Stadt München ein Verbot der Verwendung von Tropenhölzern. Der Stadtrat beschließt dieses noch im selben Jahr.1

TÜRKEI und KURDISTAN

Hella Schlumberger, im Gefängnis in Diyarbakir in der Türkei inhaftiert wegen des Wortes „Kurdi-
stan“ im Gästebuch eines Vogelparks in Birecik, wird nach zehn Tagen Haft und zwei Prozessen wegen „Beleidigung des Türkentums und Sympathien für Separatisten und Terroristen“ aus „Man-
gel an Beweisen“ freigesprochen. Eingesetzt dafür hatten sich neben vielen Freundinnen und Freunden Münchens Bürgermeister Klaus Hahnzog, Außenminister Genscher und Bundespräsi-
dent Weizsäcker.2

„Freispruch für Regime-Kritikerin – Sie hatte die berüchtigten Lager für die kurdische Bevölke-
rung in der Türkei besucht und danach in ein Gästebuch geschrieben: ‚Nieder mit der Barbarei. Lang lebe eine freie Türkei und ein Kurdistan mit gleichen Rechten.’ Deswegen saß die Münchner Soziologin und Schriftstellerin Hella Schlumberger (47) seit dem 10. Januar in dem Foltergefäng-
nis von Djiarbakir in Untersuchungshaft. Beim ersten Verhandlungstermin vor einem Schnellge-
richt hatte der Staatsanwalt fünf Jahre Freiheitsstrafe für die Schriftstellerin beantragt. Das Delikt, dessen sie sich schuldig gemacht haben soll, heißt: Separatismus. Für ihre sofortige Freilassung hatte sich auch Außenminister Genscher eingeschaltet. Am 23. Januar wurde sie freigesprochen. ‚Separatistische Propaganda’ habe ihr nicht nachgewiesen werden können.“3

Noch im selben Jahr nimmt sie Kontakt zur Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) auf, besucht Abdul-
lah Öcalan in Damaskus und schreibt darüber ihr Buch „Der brennende Dornbusch. Im verbotenen Land der Kurden“ (Eichborn 1991)

In Istanbul werden am Ersten Mai 4.500 Menschen festgenommen, drei Demonstranten durch Schüsse schwer verletzt. Am Ersten Mai demonstrieren in München etwa fünfzig Türken und Kurden vor dem Türkischen Konsulat in der Menzinger Straße 3 gegen das Verbot der Ersten-Mai-Demonstrationen in der Türkei, bei denen es einen Toten und zahlreiche Verletzte gab. Ein Konsulatsbeamter schießt und verletzt Tugrul Giritli schwer. Im Anschluss daran behaupten Konsulatsvertreter, aus den Reihen der Demonstranten sei ein Molotowcocktail geworfen worden. Daraufhin kommt es am 5. Mai zu einer weiteren Demonstration von hundertfünfzig Menschen vor dem Konsulat, das von einem großen Polizeiaufgebot beschützt wird.

Am 12. September demonstrieren zweihundert Menschen, vor allem Kurden und Kurdinnen, mit einem Fackelzug anlässlich des 10. Jahrestags des Militärputsches in der Türkei.

Am 26. Oktober verteilt der Arbeitskreis Kurdistan vor dem bayrischen Innenministerium Flug-
blätter und weist mit einem Infostand auf dem Odeonsplatz darauf hin, dass „die BRD der Türkei beim Völkermord an den Kurden hilft“.4

SRI LANKA

1986 eroberten die Milizen der Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) die fast ausschließlich von Tamilen bewohnte Jaffna-Halbinsel und weite Teile der Nordzentral- und der Ostprovinzen, die hauptsächlichen Siedlungsgebiete der Tamilen. Seitdem eskaliert der Bürgerkrieg. Zur Zeit werden täglich bis zu Hundert Menschen vom Militär, der Polizei, Spezialeinheiten des Militärs, von Killerkommandos und Todesschwadronen ermordet. Die Zahl der Todesopfer während des Krieges zwischen 1983 und 2009 wird auf 80.000 bis 100.000 geschätzt.5

SÜDAFRIKA

Am 11. Februar wird Nelson Mandela nach 28 Jahren aus der Haft entlassen.

Am 22. März verpflichten sich die Automobilhersteller BMW, VW und Mercedes auf „Mindest-
standards“ der IG Metall, die Arbeitnehmern in ihren südafrikanischen Fabriken die gleichen Rechte einräumen wie den deutsche Kollegen. Am Kap darf jetzt auch gestreikt werden. Mitte
des Jahres tritt auch Siemens dieser Vereinbarung bei.

NEPAL

Bei einer Demonstration werden in der zweiten Februarhälfte 34 Menschen getötet. Dann begin-
nen Massenverhaftungen, darunter von über 250 Schriftstellern, Professoren und Künstlern, die am 16. März auf dem Campus der Universität von Kathmandu an einer Protestkundgebung des Movement for the Restoration of Democracy (MRD) teilnehmen. Die inzwischen 8.000 Gefange-
nen sitzen ohne Anklage oder Gerichtsverfahren in Haft, einige sind gefoltert wo:den. Unter den Gefangenen befinden sich über 50 Anwälte, mindestens 21 Journalisten. Mitglieder der National-
versammlung, Ärzte und mindestens 26 Lehrer von Universitäten und Schulen, einige Sympathi-
santen des MRD sind „verschwunden“.

DDR und BRD

Im Dezember des letzten Jahres verschickte die Aktion Lebensqualität 10.000 Exemplare eines „Briefs an die DDR“ des politischen Psychologen Hans Werner Saß in die DDR. Viele Antworten darauf wurden wiederum beantwortet. Mit der Volkskammerwahl vom 18. März scheint der Weg zum Anschluss an die Bundesrepublik und ihre D-Mark unausweichlich. Ein alternativer „dritter Weg“ ist nicht mehr absehbar. Saß beschließt, exemplarische Briefe aus der DDR zu veröffentli-
chen und ein endgültiges Statement zu verfassen.6

NORDAMERIKA

Die Aktionsgruppe Indianer und Menschenrechte (AGIM) veranstaltet eine Demonstration zur Unterstützung der Mohawk/Oka-Indianer und die Umbenennung des Kolumbusplatzes in „Platz der Opfer des Kolonialismus“.7

IRAK, KUWEIT und USA

Die US-amerikanischen Regierungen gab im letzten Jahrzehnt 2,3 Billionen Dollar für das Militär aus.

Der Irak hat Kuweit überfallen. Saddam Husseins Waffen sind nicht nur US-amerikanische, son-
dern auch deutsche und unter diesen befindet sich auch Waffentechnologie der Siemens AG und Kriegsgerät von Messerschmidt-Bölkow-Blohm (MBB). — Am 2. Oktober findet um 17 Uhr eine Demonstration gegen den Golfkrieg und das bundesdeutsche Bestreben, daran teilnehmen zu dürfen, statt.

Nur zwei Länder stimmen am 29. November im UN-Sicherheitheitsrat gegen die Resolution 678 (Kriegsbefürwortung am Golf): Kuba und Jemen. China enthält sich in der Abstimmung. Die USA kürzen für das nächste Haushaltsjahr ihre Entwicklungshilfe an Jemen um 90 Prozent. Übrig blei-
ben 2,9 Mill. Dollar jährlich – ungefähr der Gegenwert von knapp 3 Cruise Missiles.

NICARAGUA

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PANAMA und USA

Der panamaische Diktator Noriega hinterließ eine Blutspur. Die panamaische Opposition versuchte ihn wiederholt zu stürzen. Da kamen Ende des letzten Jahres US-Streikräfte und brachten einen Regime Change mit verheerenden Folgen.9

(zuletzt geändert am 3.12.2020)


1 Siehe www.nordsuedforum.de.

2 Siehe „Durchs wilde Kurdistan“ von Mira Beham.

3 Metall. Zeitung der Industriegewerkschaft Metall 2 vom 26. Januar 1990, 6.

4 Siehe „Die BRD hilft der Türkei: Völkermord in Kurdistan!“.

5 Siehe „Beendet das Morden in Sri Lanka!“.

6 Siehe „Antwort an das Volk“ von Hans Werner Saß. Siehe auch „Brief an die DDR“ von Hans Werner Saß 1989.

7 Siehe www.agim-online.de/

8 Plakatsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung

9 Siehe „Panama“ von Brigitte Schmidt.