Flusslandschaft 1973
Bürgerrechte
Am 15. Mai findet eine Kundgebung des Kommunistischen Studentenverbandes (KSV) gegen Polizeiaktionen statt, die sich gegen Linksradikale richten.1 — 23. Mai: 500 StudentInnen demonstrieren gegen Polizeiaktionen, die sich gegen kommunistische Organisationen richten.2
„Polizeispiel. ‚Die Handgranaten der Regierenden sind die Paragraphen’ und ‚Das System kann jeder bekämpfen – tun Sie es mit Fantasie, dann brauchen Sie Ihre Faust nicht!’ – So stand es auf Handzetteln, die die Berliner Straßentheatergruppe DAGOL am 20. September bei einer Auf-
führung in der Münchner Fußgängerzone an Passanten verteilte. DAGOL spielte wie immer in Schwarz, stumm und mit farbigen Masken. In symbolischen Szenen wurde der sogenannte Rechts-
staat angeprangert. Im verunsicherten Publikum war zu hören: ‚Jetzt wird unser schönes Bayern auch noch versaut’ und ‚Während die spielen, wird sicher eine Bank überfallen.’ Diskutierende Trauben standen noch, als DAGOL längst zusammengepackt hatte. Nach der Aufführung kam die Polizei aus der Ettstraße raus und nahm die Personalien der drei Akteure auf. DAGOL-Gründer Uwe Krieger: ‚Wortgefechte mit Polizisten gehören zum Spiel.’ Einer der Gründe, warum DAGOL meist unangemeldet und ohne Erlaubnis spielt.“3
„Es muss 1973 gewesen sein, als mich der DGB als seinen Vertreter in den Beirat der Münchner Volkshochschule schickte. Hier saßen der Stadtschulrat Anton Fingerle, Abt Odilo Lechner, Hans Limmer, dann der Vorsitzende der SPD-Stadtratsfraktion — ich glaube, es war Hans Preißinger — und einige andere. Nun schlug Preißinger in einer Sitzung vor, man möge beschließen, dass jeder VHS-Dozent ein Revers unterschreiben müsse, in dem er bestätige, vorbehaltlos auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung unseres Rechtsstaats zu stehen. Darauf habe ich in einer Sitzungspause Herrn Fingerle zur Seite gezogen und ihn gefragt, wie er das denn finde. „Mei,“ hat er g’sagt. Darauf hab’ ich g’sagt, „also muss auch die Frau, die den Häckelkurs anbietet, so etwas unterschreiben?! Ham Sie denn Angst vor Kommunisten?“ „Na,“ hat er g’sagt, „Angst hob i koane vor Kommunisten!“ Und dann hat er länger überlegt und dann gesagt, „Oiso, des mach’ ma jetzt dann doch net!“ Auch der Abt Odilo Lechner war dagegen, und so haben wir den Antrag des SPD-Fraktionsvorsitzenden verhindert.4
In den Auseinandersetzungen um die unter der Regierung Brandt beschlossenen Berufsverbote kommt es zu unterschiedlichen Urteilen, auch zu korrigierenden, die das behördliche Vorgehen wieder aufheben. Führende Politiker der CSU halten an der harten Linie des Radikalenerlasses trotzdem fest.5 — Der Kreisverband der GEW München lädt für den 26. November zu einer Pro-testveranstaltung in das Theater der Jugend in der Reitmorstraße im Lehel. Es geht um den Kon-flikt zwischen dem bayrischen Kultusministerium und dem Lehrer Rüdiger Offergeld.6 Am 18. Februar 1974 findet vor dem Kultusministerium eine Demonstration von SchülerInnen für ihren Lehrer Offergeld statt.7
1 Vgl. Süddeutsche Zeitung 112/1973.
2 Vgl. tz 117/1973.
3 Blatt. Stadtzeitung für München 7 vom 28. September 1973, 13.
4 Wolfram Kastner am 28. Juni 2009.
5 Siehe „Die Praxis: Diskriminierung progressiver Pädagogen und Juristen“, „Aha, der Sumpf“, „Die Praxis des Radikalenerlasses“ von Klaus Hartung und „Die Anwendung des Radikalenbeschlusses im Freistaat Bayern“; siehe auch „Rasse und Raum“. — Franz Josef Strauß meint später: „Es gibt keinen Radikalenerlass … Berufsverbot ist ein Wort der psychologischen Kriegsführung, das Wort täuscht einen Zustand vor, den es gar nicht gibt, das Wort ist ein gefährliches Gift. Wir jedenfalls, wir werden alles tun, um Feinde unserer demokratischen Ordnung aus dem öffentlichen Dienst fernzuhalten.“ Bayernkurier vom 24. Juni 1978.
6 Siehe „Der ‚Fall’ Offergeld“ und „Ein unredlicher Minister — eine unredliche Schulpolitik“ von Rüdiger Offergeld. Vgl. Frank von Auer (Hg.), Der Fall Offergeld. Dokumentation des Konflikts zwischen Bayerns Kultusminister und einem gewerkschaftlich engagierten Lehrer, Frankfurt am Main 1974.
7 Vgl. Münchner Merkur 42/1974.