Flusslandschaft 2001

Internationales

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Allgemeines

Das 1. Weltsozialforum (WSF) tagt vom 25. Januar bis 30. Januar 2001 in Porto Alegre in Brasilien mit ca. 12.000 Teilnehmern und mehr als 1.000 Organisationen aus allen Kontinenten.

Die „Vereinten Transnationalen Republiken“ sind eine Staatengemeinschaft, die mit der Gründung der ersten Transnationalen Republik am 16. April 2001 im Münchner Atomic Café und einer trans-
nationalen Bürgerwoche bei den program angels ins Leben gerufen wurden. Im Frühjahr 2005 hatte die erste Transnationale Republik über 3.000 Bürger. Zu den Initiatoren zählen Georg Zoche, Jakob Zoche, Tammo Rist, Cornelius Everding, Flo Biehler und Edwina Blush.1

14. Juni, EU-Gipfel in Göteborg: Über 20.000 Globalisierungskritiker protestieren unter dem Motto „Bush not welcome“. Polizei eröffnet das Feuer und verletzt Demonstranten.

Freitag, 13. Juli, Eröffnung des Eine-Welt-Hauses. Siegfried Benker: „Das Eine-Welt-Haus hat
sich viel vorgenommen: Wo die Welt auseinander bricht, wollen die Gruppen im Eine-Welt-Haus trotzdem zusammenhalten: Völker, die sich irgendwo auf der Welt bekriegen, werden sich hier manchmal ein Zimmer teilen müssen. So will das Eine-Welt-Haus im Kleinen vorleben, was im Großen oft schiefgeht.“2

„Wohin geht die Europäische Union? Rüstung und Krieg – Abschottung und Erweiterung – Kapital und Entwicklung. Wohin die Kritik? Wohin der Protest?“ Mit diesem Thema beschäftigt sich vom 12. bis 14. Oktober in München der BUKO 24.

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Der 1977 in München gegründete Bundeskongress entwicklungspolitischer Aktionsgruppen (BUKO) ist ein Zusammenschluss von z.Zt. ca. 170 Dritte-Welt-Gruppen und internationalistischen Basisinitiativen in der Bundesrepublik. Das Anliegen des BUKO ist es, die oft isoliert voneinander arbeitenden Gruppen der Solidaritätsbewegung, die verschiedenen Arbeitsschwerpunkte, Kampag-
nen und Aktionen miteinander zu vernetzen und damit ihre politische Durchsetzungskraft zu erhö-
hen. Die Fragen nach Handlungsperspektiven gegen globalen Kapitalismus, Rassismus und Patri-
archat stehen im Zentrum der BUKO-Aktivitäten.

„In den letzten Jahren führte die Kritik des Raubzuges der entfesselten Herrscher des Weltmark-
tes, die sog. Globalisierung, dazu, dass sich in Deutschland wieder mehr Menschen für internatio-
nale Solidarität interessieren“, heißt es in der Einladung. „Von Prag über Nizza und Göteborg bis nach Genua formierte sich starker Protest. Die vermehrten Treffen der ökonomischen und politi-
schen Weltelite in Deutschland machten deutlich: Die Europäische Union (EU) als ein Akteur spielt in der gegenwärtigen Entwicklung eine zentrale Rolle. … Der BUKO 23 entwickelte sich im letzten Jahr zu einem Forum, auf dem die Perspektiven und die Entwicklung von Widerstand vom Stadtteil bis zur globalen Ebene diskutiert wurden … Beim BUKO 24 werden wir die Entwicklung der EU-Politik auf verschiedenen Ebenen analysieren. Wir diskutieren auch, wie sich diese Politik durch Massenmedien Legitimation verschafft und wie wir einen gegenmächtigen Widerstand ent-
wickeln können, dessen Perspektive jenseits von EU und Nationalstaat liegt.“ Der BUKO 24 findet, in Zusammenarbeit mit dem Studentischen Sprecherrat, in den Räumen der Ludwig-Maximilians-Universität am Geschwister-Scholl-Platz 1 statt. Aus dem Programm: 12. Oktober, 19 Uhr: Eröff-
nungsreferat Wolf-Dieter Narr: „Europäisches Deutschland – deutsches Europa?“; 12. Oktober, 21 Uhr: Milchstrasse; Filme, Büchertische, Münchner Gruppen stellen sich vor; 13. Oktober, ab 10 Uhr: Tagungen der Ag’s; ab 19 Uhr BUKO-Mitgliederversammlung, ab 22 Uhr Musik & Fete; 14. Oktober, 10.30 Uhr: Abschlussplenum „think lokal – act global? Perspektiven des Internationa-
lismus … der Anfang einer Debatte“.4

Montag, 10. Dezember, um 18 Uhr auf dem Odeonsplatz: „Tag der Menschenrechte“.

IRAK

Das Münchner Friedensbündnis ruft für den 19. Februar um 18 Uhr zur Protestkundgebung gegen die Bombardierung des Irak vor dem amerikanischen Konsulat in der Königinstraße auf.

KANADA

Die Proteste gegen Sun Peaks gehen weiter.5

ITALIEN

Vom 18. bis zum 22. Juli findet der G8-Gipfel in Genua statt. Von überall her, auch aus München, kommen Demonstrantinnen und Demonstranten. Viele schaffen es nicht, werden an den Grenzen, auf den Autobahnen oder in Bahnhöfen gestoppt. 20.000 Polizisten und Carabinieri sind im Ein-
satz. Politiker und Medien „warnen“ vor „bürgerkriegsähnlichen Zuständen“. Tatsächlich geht die Polizei gegen die insgesamt 300.000 Globalisierungsgegner, die sich an verschiedenen Demon-
strationen beteiligen, äußerst brutal vor, verletzt 500 zum Teil schwer, verhaftet 600 und verfrach-
tet viele ins Bolzaneto-Gefängnis, wo sie massiv misshandelt werden. Am Mittag des 20. Juli wird der 23-jährige Student Carlo Giuliani durch einen Kopfschuss getötet. In mehr als 120 deutschen Städten, auch in München, kommt es zu Protestdemonstrationen. Siehe „Alternative Szene“.

MAZEDONIEN

„Keine NATO-Intervention in Mazedonien“ – Protestkundgebung von Münchner Friedensbündnis und Bündnis gegen Rassismus am Freitag, 24. August, um 18 Uhr auf dem Münchner Marienplatz.

ISRAEL/PALÄSTINA

In der Juli-Veranstaltung »Antisemitismus: In Deutschland unausrottbar oder auch ein Totschlag-
argument« verteidigen Fuad Hamdan und Christoph Steinbrink im EineWeltHaus die angeblich antisemitische Haltung des FDP-Politikers und Präsidenten der Deutsch-Arabischen Gesellschaft, Jürgen W. Möllemann.

Bei der Weltkonferenz gegen Rassismus in Durban in Südafrika, die vom 31. August bis 7. Septem-
ber abgehalten wird, wird das Recht des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung aner-
kannt und die ausländische Besetzung der palästinensischen Gebiete angeprangert.

USA/AFGHANISTAN

Im Abstand von 18 Minuten rasen am Dienstag, 11. September, um 9 Uhr morgens (Ortszeit) zwei entführte Passagierflugzeuge in die Zwillingstürme des World Trade Center in New York. Nach schweren Explosionen gehen die 411 Meter hohen Gebäude in Flammen auf und fallen etwa eine Stunde später in sich zusammen. In den beiden Türmen arbeiten normalerweise rund 50.000 Menschen. Zehntausende sind in benachbarten Häusern beschäftigt. Etwa eine halbe Stunde nach dem Anschlag in New York wird der Nerv der amerikanischen Militärmacht ebenfalls Ziel einer Terror-Attacke: Ein Flugzeug rast unmittelbar beim Verteidigungsministerium in Washington zu Boden; Explosionen zerstören Teile des Pentagon. Nach Bekanntwerden der Anschläge verteuern sich die Preise für Öl und Gold in großem Ausmaß. Weltweit brechen die Aktienkurse ein. Titel der Rüstungskonzerne verzeichnen dagegen einen starken Anstieg.

An diesem Tag stehen Trauben von Menschen vor den Schaufenstern der Münchner Geschäfte oder in Elektronikfachgeschäften, in denen sich laufende Fernseher befinden. Zur angenehm gruselnden Schaulust gesellt sich Fassungslosigkeit und eine Ahnung der ganz selbstverständlich kommenden, nicht prognostizierbaren und unkontrollierbarer Katastrophen.

Auf die Frage: „Warum hat das World Trade Center in New York zwei Türme?“ antwortete Jean Baudrillard 1976: „Die zwei Türme des WTC sind das sichtbare Zeichen.für die Abgeschlossenheit eines Systems im Rausch der Verdopplung, während jeder andere Wolkenkratzer das Ursprungs-
moment eines Systems ist, das sich durch die Krise und die Herausforderung ständig selbst über-
trifft. Es liegt eine besondere Faszination in dieser Verdopplung. Wie hoch sie auch sind, und sie sind höher als alle anderen, die zwei Türme bedeuten einen Bruch mit der Vertikalität. Sie ignorie-
ren die anderen Gebäude, sie sind nicht von deren Art, sie fordern sie nicht mehr heraus, wie sie sich nicht mehr mit ihnen vergleichen, sie spiegeln einander und dominieren durch das Prestige der Ähnlichkeit. Was sie wechselseitig spiegeln ist die Idee des Modells, das sie füreinander sind, und ihre gleiche Höhe wird nicht mehr als ein Übertreffen bewertet – sie bedeutet nur noch, dass von nun an die Strategie der Modelle und der Austauschbarkeit im Herzen des Systems selbst … historisch die Vorherrschaft über die traditionelle Strategie der Konkurrenz gewonnen hat … Da-
mit das Zeichen rein ist, muss es sich selbst verdoppeln: erst die Verdoppelung des Zeichens macht dem, was es bezeichnet, ein Ende.“6

Zwei Türme spiegeln sich in ihrer Perfektion, über die nichts mehr hinausführt als ihr gemeinsa-
mer Untergang. Genauso spiegelt sich kapitalistisches Wirtschaften in seinem Doppelgänger Ter-
rorismus.

Jacques Derrida: „Der Beweis des Ereignisses hat als tragisches Korrelat nicht etwa das, was der-
zeit passiert oder was in der Vergangenheit passiert ist, sondern das vorlaufende Zeichen dessen, was zu passieren droht. Die Zukunft macht die Nichtaneigenbarkeit des Ereignisses aus, weder die Gegenwart noch die Vergangenheit … Es handelt sich um ein Trauma und also um ein Ereignis, dessen Temporalität weder vom gegenwärtigen Jetzt noch von der gegenwärtigen Vergangenheit ausgeht, sondern von einem Undarstellbaren, das noch kommen wird.“7

Und Paul Virilio: „Das Gefühl der Unsicherheit … scheint das Symptom eines neuen Erwartungs-
horizonts zu sein, des dritten seiner Art nach der ‚Revolution’ und dem ‚Krieg’ …; ich spreche von der Erwartung des vollständigen Unfalls.“8

Am 12. September spricht der Kanzler im Bundestag: „Meine Damen und Herren, ich habe dem amerikanischen Präsidenten das tief empfundene Beileid des gesamten deutschen Volkes ausge-
sprochen. Ich habe ihm auch die uneingeschränkte – ich betone: die uneingeschränkte – Solidari-
tät Deutschlands zugesichert.“ Ein Münchner: „UN-EIN-GE-SCHRÄNK-TE SOLIDARITÄT! Ja pfuideife! Ausg’rechnet fiaran Bos vonana massnmörderischn Weltdiktatua, de wo iberoi zindlt, bombt, gift’ und gast, drei Dutznd regionale Tyrannen finanziat, dee’s genau aso trei’m, und wenn’s nimma midmachan, liquidiat: Im Namen der Demokratie mit Schmiergeld und Wahlbetrug!“9

In einem Diskussionszirkel in München wird die These aufgestellt, dass sich nach dem Ende der Systemkonfrontation zwischen kapitalismuskritischen und kapitalismusapologetischen Zentren sich ein neuer Gegensatz etabliert habe. Auf der einen Seite stelle die Logik des Kapitals mit ihrem irrationalen Selbstzweck eine säkularisierte und arrogante Religion dar, an der Argumente genauso abprallen wie an der Religion der Gotteskrieger, die den Kapitalismus als „Werk des Teufels“ anse-
hen. Beide Seiten sähen gläubig in der anderen „das Reich des Bösen“. Die Ökonomie des Terrors entspreche spiegelbildlich dem Terror der Ökonomie. Die „Dialektik der Aufklärung“ gerate hier zwischen die Mühlsteine.

Einige wenige Linke in München sehen das anders. Für sie ist der Angriff auf die Twin Towers ein Angriff vormoderner, barbarischer Traditionen auf die Errungenschaften der französischen und amerikanischen Revolution, insbesondere auf die Emanzipation des Individuums, das die Voraus-
setzung sei für die Emanzipation aller. Freiheit sei die Basis aller emanzipatorischen Bewegung, ihre Gängelung durch Gleichheit führe in letzter Konsequenz in die völkische Massenbewegung. Nicht jedes staatliche Handeln und noch weniger jedes gesellschaftliche Bewußtsein sei mit ökono-
mischen Zwängen und Interessen zu erklären. Wenn die USA sich wehrten, wäre dies zu unterstüt-
zen. Das Argument, die USA würden ihren Gegenschlag mit hehren Zielen ausschmücken, tatsäch-
lich ginge es ihnen aber um knallharte Interessen in der internationalen Konkurrenz und um poli-
tische und ökonomische Hegemonie, wie sie es ja selbst ganz ungeschminkt erläutern, lassen sie nicht gelten.

Die ersten Tage nach dem 11. September sind keine Sternstunden des kritisch hinterfragenden Journalismus. Einzig Gabriele Gillen schlägt in der Sendung „Neugier genügt“ im Westdeutschen Rundfunk, der auch in München zu hören ist, am 14. September um 10.40 Uhr nachdenkliche Töne an.10

Die USA sehen den Angriff auf das World Trade Center als Kriegserklärung. Am 22. September demonstrieren mehr als 2.000 Menschen nach einer Auftaktkundgebung auf dem Stachus zum Odeonsplatz. Unter dem Motto „Nein zum Krieg“ hatten fünfundzwanzig Organisationen zum Protest aufgerufen. Rednerinnen und Redner meinen, dass die USA jetzt geerntet haben, was sie im ganzen letzten Jahrhundert gesät.11 Bei der Eröffnung der Wiesn wird Blues gespielt, der OB hält eine pietätvolle Rede und verzichtet aufs Ozapfn. Dann wirds aber wieder zünfti.

Im Oktober marschieren die USA und ihre Verbündeten in Afghanistan ein. Ein neuer Begriff wird hoffähig: „Asymmetrische Kriegsführung“. Kundgebung Tag X, Beginn des Afghanistankrieges: 1.000 Menschen demonstrieren auf dem Marienplatz am 8. Oktober um 18 Uhr gegen die Militär-
schläge der USA und die deutsche Unterstützung dafür.

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Jeden Montag, so auch am 15. Oktober13, demonstriert die Friedensbewegung gegen den Krieg. Nach den ersten Großdemonstrationen am 30. Oktober in Berlin (50.000 Menschen) und Stuttgart (25.000), nach Wochen von verheerenden US-Bombardements auf eines der ärmsten Länder der Welt, die nur das Elend weiter verstärkt und die Todeszahlen unschuldiger Opfer in die Höhe ge-
trieben haben, mehren sich die kritischen Stimmen. Weit mehr Menschen als noch vor zwei Jah-
ren, beim NATO-Krieg gegen Jugoslawien, beginnen zu erkennen, dass es beim Morden weder um Menschenrechte, noch um Kampf gegen Terrorismus geht, sondern um knallharte imperialistische Interessen der selbsternannten Weltpolizisten USA und NATO. Und die BRD? Am 7. November stimmt die Bundesregierung der Entsendung von 3.900 Bundeswehrsoldaten nach Afghanistan zu.

Donnerstag, 8. November um 18 Uhr auf dem Stachus: Spontane Protestkundgebung anlässlich der Bundestagsdebatte zur Bereitstellung von Bundeswehrsoldaten für den Afghanistankrieg. — Die Proteste gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr häufen sich. Am 13. November wirbt die „Freiwilligenerfassungsstelle Süd I“ in der Neuhauserstraße um neue Diensttuende.14 Im Novem-ber findet jeden Tag um 16.30 Uhr auf dem Marienplatz eine Mahnwache gegen den Krieg statt.

„Wer ein Volk als Geisel nimmt, um seine Interessen durchzusetzen, ist ein Volks- und Kriegs-
verbrecher. Das serbische Volk ins Elend zu bomben war so ein Verbrechen. Das afghanische Volk ins maßlose Elend zu stürzen und den korrupten Banditenhaufen, der sich Nordallianz nennt, an die Macht zu bomben, ist ein solches Verbrechen. Die USA haben in den letzten fünfzig ]ahren vie-
le Politverbrechen begangen. Gott sei Dank bin ich kein Amerikaner, aber wenn ich der Berliner Republik zuhöre – egal, ob rot, grün, gelb oder schwarz – schäme ich mich immer öfter, Deutscher zu sein. Wir sind nämlich auf dem Weg – zurück! – ins Kriegsverbrechergeschäft. Diese Haltung bedeutet nicht, dass ich religiöse Bastarde, welcher Richtung auch immer, toll fände. Ganz im Ge-
genteil; aber man darf kein Volk als Geisel nehmen wegen eines Verbrechens, das es nicht began-
gen hat. Der theoretischen Erörterung, ob Soldaten Mörder seien, gibt die aktuelle Wirklichkeit eine klare Antwort: ja. Daraus folgt: Stoppt diesen Krieg! Keine deutschen Soldaten nach Afghani-
stan. Franz Xaver Kroetz, 55, Schauspieler, Dramatiker und Regisseur"15

Unter dem Motto „2001 Luftballons für den Frieden“ veranstaltet die ,Jugend für Frieden am Samstag, 24. November, um 13 Uhr eine Kundgebung auf dem Odeonsplatz. Es sprechen die Af-
ghanin Mahbuba Maqsoodi, John Otranto vom Munich American Peace Committee und Konrad Schuhler. »Für das parteipolitisch unabhängige Jugendbündnis fand Anna vor rund 200 Teilneh-
mern deutliche Worte: ,Gewalt ist kein Mittel zur Lösung von Konflikten – das hat man uns bereits als Kleinkinder beigebracht. Und nun sollen wir Krieg als Mittel zu Lösung von Problemen akzep-
tieren. Da werden die einfachsten Regeln des Zusammenlebens missachtet. Fighting for peace is like fucking for virginity!‘ Mahbuba, eine seit sieben Jahren in Deutschland lebende afghanische Künstlerin, stellte klar, dass die heute gezeigten Bilder einer ,Befreiung’ des afghanischen Volkes in keiner Weise der geschichtlichen Wahrheit entsprechen. Die angeblichen ,Erfolge’ der Militär-
schläge hätte man auch vor der Herrschaft der Muhjaheddin ‚bewundern‘ können. Diese seien von den USA hochgezüchtet worden und hätten in Afghanistan ein Regime errichtet, das das Gegenteil von Freiheit garantiert habe. Zuvor habe es in Afghanistan weibliche Dozentinnen, Ärztinnen sowie das aktive und passive Wahlrecht für Frauen gegeben. – Der Publizist Conrad Schuhler erinnerte, dass 1967 nicht mehr Menschen gegen den Vietnamkrieg auftraten als an diesem verschneiten Novembertag. 1968 waren es bereits 30.000 – ,Grund genug weiterzumachen!‘ Auffällig sei an der gesamten Situation, dass es in Afghanistan – aber auch in anderen Staaten – gar nicht zu einem islamischen Terrorismus gekommen wäre, hätten nicht die USA immer wieder entsprechende Personen und politische Richtungen mit massiven Mitteln unterstützt oder erst ins Leben gerufen. Die Familie Bush pflege außerdem mit der Familie Bin Ladens als Teilhaber einer Rüstungsfirma eine enge Komplizenschaft – dies sei der Nährboden des Terrorismus. Worum es letztlich gehe, mache ein Blick auf die weltweiten Öl- und Gasvorkommen klar: ,In Zentralasien und im Nahen Osten liegen die Vorräte, die die sogenannte zivilisierte Welt in den nächsten Jahren und Jahr-
zehnten dringendst benötigt – hier gilt es, sich entsprechende Zugänge zu sichern, da will natür-
lich auch die Bundesrepublik nicht hintenan stehen.‘ Zwischen den Redebeiträgen heizten musika-
lische Einlagen immer wieder ein und am Ende stiegen tatsächlich 2001 Luftballons für den Frie-
den in den Himmel. – Christiane Kröll«16

Montag, 3. Dezember, 18 Uhr auf dem Marienplatz: Kundgebung gegen den Krieg, so lange er an-
dauert.

„Krieg ist kein Mittel gegen Terror – Krieg ist Terror. – Ein militärischer Sieg, so werden sich in-
zwischen viele beruhigen – eine Lösung für Afghanistan bringt Krieg aber nicht. Er brachte und bringt Tod und Zerstörung in eines der ärmsten Länder der Welt, das durch jahrelange Kämpfe der verfeindeten Volksgruppen ohnehin schon weitgehend verwüstet ist … Tatsächlich geht es wieder einmal um die Sicherung von Rohstoffen und Transportwegen und um strategische Interessen. Für den Westen wäre es interessant, einen militärischen Brückenkopf in unmittelbarer Nähe Russlands zu installieren. Außerdem ist es sehr verlockend, sich den Zugang zu den riesigen Ölvorkommen und Gasvorkommen zu sichern, die in den Nachbarstaaten Afghanistans vorhanden sind … Ameri-
kanische Konzerne verfolgen bereits seit 1995 Pläne für eine Ölpipeline durch Afghanistan …“ So der Aufruf des Münchner Friedensbündnis zur Demo am Montag, dem 10. Dezember. Die Aktion beginnt mit einer Kundgebung um 18 Uhr am Orleansplatz; es folgt um 18.30 Uhr eine Demonstra-
tion zum Jakobsplatz. Es sprechen Ernst Antoni (ver.di München) und Tommy Rödl von der DFG/ VK; Achim Grauer liest Arundhati Roy.17

Matin Baraki spricht am 18. Dezember zum Thema »Politik des Krieges: Geostrategische Groß-
machtinteressen und Afghanistan« im EineWeltHaus.18

ARGENTINIEN

Der Aufstand vom 19./20. Dezember fegt die Regierung de la Rua weg. Jetzt stellt sich die Frage, übernehmen linke, institutionalisierte Parteien das Staatsruder oder dominieren autonome Ba-
sisgruppen. Dieser Konflikt beherrscht seit langem schon die Diskussion in der Münchner Szene: Grassrootsorganisation oder der Marsch durch die Institutionen mithilfe einer Partei, Marx oder Bakunin?

(zuletzt geändert am 1.5.2023)


1 Siehe „Globalisierung braucht Demokratie“.

2 www.siegfried-benker.de. Siehe auch www.nordsuedforum.de.

3 Plakatsammlung, Papiertiger. Archiv & Bibliothek, Berlin

4 Siehe Stefanie Kron, Multiple Dilemmata, Jungle World 42 vom 17. Oktober 2001, https://www.jungle.world/artikel/2001/42/multiple-dilemmata.

5 Siehe www.agim-online.de/ und „Internationales“ 2000.

6 Jean Baudrillard, Der symbolische Tausch und der Tod, München 1982, 110 f.

7 Jacques Derrida/Jürgen Habermas, Philosophie in Zeiten des Terrors. Zwei Gespräche, geführt, eingeleitet und kommentiert von Giovanna Borradori, Berlin 2004, 130.

8 Paul Virilio, Der eigentliche Unfall, Wien 2009, 53.

9 Uwe Dick, Marslanzen oder Vasallen recht sein muss, Bad Nauheim 2007, 42.

10 Siehe Gabriele Gillen, Der Preis der Lüge – oder Die Schatten der Geschichte, http://www.natokh.de/merkenswertes/Der_Preis_der_Luege.htm

11 Siehe „Globalisierung – Nährboden von Armut und Terror“ und „Return to sender?“ von Conrad Schuhler.

12 Grafik: Bernd Bücking. In: Galbraith/Garnreiter/Mayer/Schmid/Wolff, Krise und Krieg. Weltwirtschaftskrise – Globaler Imperialismus – „Krieg gegen den Terror“, isw-Report Nr. 49, Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung Mün-
chen e.V., Dezember 2001, 20.

13 Siehe die Rede „Will Deutschland den Krieg?“ von Winfried Hauck.

14 Siehe „FreiwilligenErfassungsStelle Süd I“ von Günter Wangerin und Wolfram P. Kastner.

15 Stern 47 vom 15. November 2001, 54.

16 unsere zeit. Sozialistische Wochenzeitung 48 vom 30. November 2001, Essen, 1.

17 Vgl. Haidhauser Nachrichten 12 vom Dezember 2001, 13.

18 Siehe http://www.gegenentwurf-muenchen.de/baraki.htm.